Zusammenführen von Kunst und Wissenschaft – über Peter Weibel († 2023)

Mit “Renaissance 3.0″ macht uns Peter Weibel, der ja in diesem Jahr das ZKM verlassen hätte, ein Abschiedsgeschenk. Er zeigt uns, dass wir jeden Abschied, jedes Ende als Neubeginn begreifen müssen.
Der heute als notwendig erachtete politisch-gesellschaftliche Neubeginn, den Peter Weibel in den Mittelpunkt seiner Arbeit gerückt hatte, kann aus der Sicht dieses Künstlers nur gestaltet werden in enger Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kunst.

Vorab: Im Sinne Peter Weibels fokussieren wir uns in diesem Künstlerporträt auf sein Projekt „Renaissance 3.0“. In seinem Abschiedsprojekt aus Karlsruhe „formuliert“ Peter Weibel, der als Künstler auch Medienmanager, Theoretiker und Kunstvermittler war, sowohl die Quintessenz seines bisherigen künstlerischen Schaffens als auch einen programmatischen Ausblick auf die heutigen und zukünftigen Aufgaben der Kunst in unserer Gesellschaft.

Zu wenig Platz bleibt hier für weitere wichtige Informationen. Auf Peter Weibels Website [www.peter-weibel.at/] finden Sie seine Biografie wie auch eine gut strukturierte Werk-Übersicht.

Kunst darf alles“ – auch Humor haben und Freude machen. Die Skulpur „Der Globus als Koffer“ (2004); [Mixed Media, Österreichischer Skulpturenpark Graz
Foto: Landesmuseum Joanneum, Michael Schuster] ist ein Beispiel für Weibels Kunst.

Peter Weibel im Foyer des ZKM, 2022,
l © Badische Zeitung, dpa / ARTIS, Uli Deck

“Leonardo da Vinci wird Thema meiner Abschiedsausstellung in Karlsruhe“ – diesen Plan verriet mir Peter Weibel vor etwa zwei Jahren am Rande eines Pressetermins im ZKM, dem realen und gleichzeitig geheimnisvollen digital-virtuellen Ort, wo der große Künstler so etwas wie Heimat gefunden hatte.

Leonardo da Vinci – und damit Wissenschaft und Kunst und deren besondere Verbindung – das waren die Themen Peter Weibels.

Zwei, bzw. sogar drei (Wissenschaft, Kunst und Philosophie) Themen, die jeweils alleine schon eine Überkomplexität mitbringen, die uns motiviert, indem sie uns zuerst etwas zurückschrecken läßt. Und die doch gleich einen Zusammenhang erahnen lassen: Peter Weibel hatte seine künstlerische Arbeit sowohl der Kunst als auch der Wissenschaft gewidmet – zwei Disziplinen eigenen Rechts, die nicht in einer Hierarchie stehen, die aber immer schon zusammengehören auf eine Art, der wir uns hier annähern wollen.

So schrieb die für Natur und Wissenschaft zuständige Redakteurin Sibylle Anderl vor Jahren im FAZ-Feuilleton:
Wissenschaft und Kunst waren einmal ein Liebespaar. Nach langer Trennung hat es wieder zueinander gefunden. Gibt es aber auch eine Gleichberechtigung zwischen ihnen? Leonardo da Vinci wäre wohl erfreut, wenn er sich 500 Jahre nach seinem Tod die akademische Landschaft ansähe: Er erlebte so etwas wie den zweiten Frühling eines alten Paares, das sich zwischenzeitlich aufgrund von Missverständnissen auseinandergelebt hat, nun aber zu seiner ursprünglichen Symbiose zurückzufinden scheint.

Peter Weibel in seinem Büro im ZKM;
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe
Foto: ARTIS Uli Deck, 2022

Im Tonfall ähnlich optimistisch, wie es Peter Weibel immer war, beginnt der Artikel, der danach sehr kritisch die Gefahr einer gegenseitigen Instrumentalisierung beider Welten beleuchtet. Weibel hingegen sah uns wohl der Wiedergewinnung der Symbiose sehr nahe: obwohl er Leonardo da Vinci im Titel seiner Abschiedsausstellung nicht mehr nennt, nimmt er dennoch deutlich Bezug zu diesem Denker: „Renaissance 3.0“ betitelte Peter Weibel seine Abschieds-Ausstellung, zu der das ZKM folgenden zusammenfassenden Text lieferte:

Zur Ausstellung: Die Kunst orientiert sich traditionell an den Dingen, die sich mit natürlichem Auge erfassen lassen, die Wissenschaft stieß dagegen schon seit dem 16. Jahrhundert mit Instrumenten zu bislang unzugänglichen »res invisibiles« des Mikrokosmos und des Makrokosmos vor. Im digitalen Zeitalter arbeiten Künstler:innen nun zunehmend mit denselben Werkzeugen, Methoden und Programmen wie die Wissenschaft. Dieser gemeinsame »Pool of Tools« weist auf den Beginn einer neuen Phase der Verwissenschaftlichung von Kunst hin, wie sie die arabische und die italienische Renaissance bereits zum Ziel hatten.
 
Mit 35 Positionen der internationalen Medienkunst – von der Biochemie über Genetic Engineering bis zu den Neurowissenschaften – entwickelt die Ausstellung ein Basislager für eine neue Werkzeug­- und Wissenskultur.

Peter Weibel © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Christoph Hierholzer
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Am 01. März 2023 starb Peter Weibel nach kurzer schwerer Krankheit in Karlsruhe.
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Seit der Klimawandel und damit die Gefährdung unserer Lebensgrundlagen auf dem Planeten Erde das dominierende Thema in Politik und Medien ist, sitzen Wissenschaft und Kunst mehr denn je in einem Boot. Wie wohl kein anderer, so glaube ich, war Peter Weibel überzeugt davon, dass nur beide gemeinsam “die Welt retten“ könnten: so sagte er in seinem letzten Interview („Neue Wissensfelder“):

Über Jahrtausende war es das Ziel der Zivilisation und die Tendenz der Technologie, die Menschen vor der Natur zu schützen. Aber nun angesichts der energetischen Kosten der Zivilisation für acht Milliarden Menschen auf dem Planeten Erde müssen wir die Natur vor den Menschen schützen. Andernfalls berauben wir uns der Grundlagen unseres Lebens.

In den Bereichen Gesellschaft und Psychologie/Psychotherapie und Geistenswissenschaften (Philosophie/Gehirnforschung; Soziologie/empirische Arbeit, etc.) gibt es schon immer Grenz- und Übergangsbereiche zwischen den Welten.

@ ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Foto: Joseph Tandl und Felix Grünschloß

Peter Weibel hatte immer das Ganze im Blick und so sah er nicht alleine die o.g. Verwissenschaftlichung der Kunst, sondern auch- in dialektisch klarem Bezug – die Gegenbewegung: eine Wissenschaft, die ihren Blick erweitert durch künstlerische Perspektiven und Sichtweisen:

Kunst und Wissenschaft betrachte ich selbst als zwei einander ergänzende Erkenntnisstrategien: beide wollen erkunden, „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethe, Faust I).

In der Kunst gibt es viele interdiszplinär arbeitende Menschen. Das ZKM bezieht intensiv Naturwissenschaften und Technik ein und integriert u.a. Tanz und Theater in seine Präsentationen. Auch viele andere Kunsthäuser arbeiten spartenübergreifend; ein aktuell sehr gutes Beispiel ist Çağla Ilk; die Mitdirektorin der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden, die kürzlich berufen wurde zur Kuratorin für den Deutschen Pavillon bei der Biennale 2024.:
Kunst habe die Macht, sich über die Sinne einen Weg in Herzen und Hirne zu bauen, sagt die gelernte Architektin, die auch Tanz und Theater in ihre Projekte integriert. Ilk will den Besuchern das Gefühl geben, etwas gesehen und erlebt zu haben, das sie verändert, das metaphorisch über Mauern geht“ (Catrin Lorch in der SZ vom 06.03.2023, Seite 4)

Die 3. Renaissance stellt bisher sicher geglaubte Mauern in Frage. Geht es z.B. um Fragen des Universums oder um das Leben nach dem Tod, so sind Wissenschaft, Kunst und Religion gleichermaßen gefragt. So verortet der aus Österreich stammende Physik-Nobelpreisträger (2022) Anton Zeilinger, der immer wieder auch Bezüge der Wissenschaft zur Kunst sieht, offenbar eine gemeinsame geistige (Meta-?) Ebene, auf der ein Austausch stattfindet.
Was Hegel in seiner Philosophie des Geistes bekanntlich als den Bereich der absoluten Vernunft charakterisiert, bezeichnet Zeilinger, ganz in diesem Sinne, als Transzendenz:

Dazu ein Interviewauszug aus der Wissenschaftspublikation „Die Furche“:

DIE FURCHE: Eine persönliche Frage zum Schluss: Was gibt Ihnen nachhaltige Orientierung?
Zeilinger: Die Überzeugung, dass es etwas Trans­zendentes gibt: Manche Menschen nennen das Gott, oder wie auch immer. Für mich ist das sogar mehr als eine Überzeugung, nämlich eine wichtige Erfahrung meines Lebens: dass die Welt nicht nur materiell ist. Diese Erfahrung habe ich inter­essanterweise schon immer gehabt. In meinem Leben gab es keinen Moment ohne Gott. Das heißt nicht, dass ich ununterbrochen in die Kirche gehe. Was ich meine ist, dass es etwas Metaphysisches gibt – mehr, als man in den Naturwissenschaften sehen und messen kann.

Nicht zuletzt Goethes Faust trieb die Frage um: „Wo faß ich dich, unendliche Natur?“

Peter Weibel © picture alliance/dpa | Uli Deck

Ich denke, dass auch Peter Weibel dies so hätte “unterschreiben“ können; Weibel sagte:

Es gibt nicht nur mehr zwischen Himmel und Erde, wie
Shakespeare uns in Hamlet (»There are more things in Heaven and Earth«, 1604)
versicherte, sondern es gibt ebenfalls noch mehr zwischen Mentalismus und Mechanismus
zu entdecken. (Interview „Neue Wissensfelder“)

In seiner eigenen Medienkunst, aber auch als Kunstvermittler, hat er vor allen anderen die aus der Wissenschaft kommenden Tools wie Digitalisierung / Massendatenverarbeitung in die Museumsarbeit eingebracht. Peter Weibel, der fähig war, in all diesen Sphären gleichzeitig zu leben, zu denken und wissenschaftlich wie künstlerisch zu arbeiten, war immer und zuerst Künstler.

Für die Renaissance 3.0, wie der Künstler Weibel sie sah, erwartete er wohl mehr als eine Symbiose – erstmals möglich ist heute eine Synthese dieser Welten – sein Ziel und seine weitsichtige Arbeit bestanden im

Zusammenführen von Kunst und Wissenschaft.

Texte von Peter Weibel finden Sie auch hier bei uns im kunstportal-bw-Feuilleton

Jürgen Linde im März 2023

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Am 01. März starb Peter Weibel nach kurzer schwerer Krankheit in Karlsruhe.
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