Labyrinthische Räume – der Maler Gerhard Langenfeld

Schwarz – zweifellos der erste Eindruck, den viele zunächst haben angesichts der Werke von Gerhard Langenfeld, bei denen die Farbe Schwarz tatsächlich eine wichtige Rolle spielt.

Zur Farbe schwarz hatte ich natürlich gleich mehrere Assoziationen, so dass ich auch mehrere Anläufe brauchte, um immerhin zu glauben, (m)einen roten Faden durch diese – (soviel vorweg: nur auf den allerersten Blick) dunkle Welt gefunden zu haben.

Erster Anlauf: „Monochrome Bilder, Lothar Quinte“: | Als ich beim ersten Blick auf Gerhard Langenfelds Website den Eindruck „viel schwarz“ hatte (inzwischen ist mir klar, dass dies ein Vorurteil war: bei genauerem Hinschauen sind schon auf der Startseite der Künstlerwebsite viele Farbelemente zu erkennen), dachte ich zuerst an die monochromen schwarzen Arbeiten von Lothar Quinte, den ich 1998 oder 1999 noch in seinem Atelierhaus im elsässischen Wintzenbach kennenlernen konnte, wo er tatsächlich gerade an einem neuen schwarzen Werk arbeitete.

Gut nachempfinden konnte ich hier, warum Dr. Gert Reising, der als langjähriger Kurator an der Kunsthalle Karlsruhe ein sehr genauer Kenner des Werks von Lothar Quinte ist, diese Arbeiten als “Bildmembran“ bezeichnete – man konnte glauben, die (nicht immer schwarzen) monochromen Exponate, die fluoreszierend wirkten, körperlich zu spüren. Auch schienen die Werke aus der Fläche heraus Räume zu schaffen.

Doch im Atelier von Gerhard Langenfeld wird schnell klar, dass ich hier auf einem falschen Weg war: zum Einen sind dessen Arbeiten (fast nie) wirklich monochrom, zum Anderen wollen oder sollen sie auch nicht (im physischen Sinne) sinnlich/emotional auf den Betrachter (ein-)wirken; vielmehr bedarf es hier der genauen Betrachtung aus einer gewissen räumlichen Distanz heraus – und der Reflexion des Betrachters, um schließlich das Werk als Bild im Kopf des Betrachters (im Sinne Hans Beltings) als jeweils fertiges entstehen zu lassen.

Zweiter Anlauf: „Schwarz als “transzendentale Größe“ und die Verbindung zur Physik: | Schon bei unserem Porträt über Rozbeh Asmani (“Farben bleiben in Bewegung“) hat uns die wissenschaftliche Perspektive – der Blick des Physikers auf das, was Farbe ist – geholfen, der Kunst näher zu kommen. Bei Gerhard Langenfeld hatte ich die Idee, dass womöglich schwarze Löcher, die ja alles (sogar Lichtquanten) ansaugen, unter philosophischen Aspekten betrachtet werden könnte: Kürzlich las ich, dass das bislang größte empirisch bekannte schwarze Loch immerhin 40 Milliarden Sonnenmassen in sich einschloss: schlicht unvorstellbar erscheint uns Normalos, was für einen theoretischen Physiker alltäglich sein könnte (?).

Meine Idee: das reale schwarze Loch transzendental gesehen als Sinnbild des Todes, der das ganze Leben in sich aufsaugt, dieses aber somit ja auch beinhaltet, es in sich aufhebt, bewahrt. Der Tod, der Alles (im Sinne der künstlerisch ja meist angestrebten Reduktion) zusammenfasst.

Dritter Anlauf: Gerhard Langenfeld ist ein Romantiker: | Tatsächlich stimmt mir der Künstler – durchaus ein wenig überraschend – sofort zu, als ich diese These in den Raum stelle. Auf eigentlich allen aktuellen Bildern entdecken wir Aspekte von Landschaftsmalerei, was an dieser Stelle genügen soll, um den “Romantiker-Verdacht“ im Hinterkopf zu behalten.

Drei Anläufe, die mir nach dem gleich noch folgenden vierten Anlauf rückblickend, durchaus hilfreich erscheinen: behalten wir die drei losen Enden im Hinterkopf:
– der Kopf des Betrachters ist der Ort des Bildes (im Sinne Hans Beltings); Gerhard Langenfelds Bilder erzeugen aus sich heraus Raum.
– Schwarz begreifen wir hier als Zusammenfassung, als Bewahrung des ganzen Lebens
– Gerhard Langenfeld ist ein Romantiker

Vierter Anlauf: Besuch und Gespräch im Atelierhaus des Künstlers: | Wichtigste Etappe bei unserer Suche ist der Besuch im Atelierhaus des Künstlers: Gerhard Langenfeld und seine Frau leben in Bad Saulgau in ihrem Haus, das sie vom Grundriss beginnend, komplett selbst gestaltet haben, wie der Künstler nicht ganz ohne Stolz berichtet.

Im Atelierhaus des Künstlers betreten wir zuerst einen sehr großen, hohen und hellen (Schau-) Raum mit Arbeiten von Gerhard Langenfeld an den Wänden; von kleinen Bildern mit etwa 30 x 30 cm bis zu musealen Riesenformaten mit 210 cm Höhe; manche davon sind schon fertig, an anderen will der Künstler noch weiter arbeiten, will da noch „“Einiges unter Kontrolle bringen“ – kein einziges Bild ist monochrom schwarz, womit wir beim Einstiegsthema sind – schwarz: wir erfahren, dass er diese aktuellen Arbeiten nicht nach einem festen Konzept produziert, sondern jeweils ganz spontan – fast immer beginnend mit (bunten) Farben entwickelt. Das Schwarz kommt danach, um den Anteil, um die jeweiligen genau gewählten Farbausschnitte zu definieren, bis dann – nach Tagen oder Monaten – der Gesamtausdruck für den Künstler stimmig und “richtig“ ist.
Jetzt erst ist das Werk fertig.

Um den aktuellen Arbeiten, die wie beschrieben jeweils spontan und ganz individuell entstehen, näher zu kommen, erweist es sich als hilfreich, das frühere Schaffen des Künstlers anzuschauen:

Wirklich monochrome schwarze Bilder sehen wir bei den Schwarzproben, einer Werkreihe, die er weiterhin fortsetzt. Mit durchaus wissenschaftlichem Anspruch macht der Künstler immer wieder neue Schwarztöne sichtbar, jedes neu auf dem Markt erscheinende Pigment wird geprüft und findet gegebenenfalls Aufnahme in die prinzipiell immer offen bleibende Reihe der Schwarzproben …

Auch seine Werkreihe seiner Zeichnungen (aktuell entstehen keine Zeichnungen) ist nicht abgeschlossen, sondern wird fortgesetzt, wenn Gerhard Langenfald aus seinem aktuellen Schaffen heraus neue Zeichnungen “braucht“…
Zu den früheren Werkphasen Langenfelds (auf der Website des Künstlers hierzu zu empfehlen: die „Werke bis 2002“) zählt auch eine Zeit, in der er vor allem informel arbeitet:

Mit auch heute noch großer Begeisterung berichtet er mir, wie er damals – „völlig begeistert von Emil Schumacher und Willem de Kooning – selbst furchtbar produktiv“ war.Auch wenn wir ein wenig bezweifeln, dass Gerhard Langenfeld demnächst “einfach mal wieder“ informel arbeitet, so ist auch diese Werkgruppe nicht endgültig abgeschlossen, nicht irgendwie „offiziell beendet“

Für das kommende Jahr ist eine große Retrospektive in der Galerie Fähre in Bad Saulgau geplant:

Zweifellos werden die aktuellen Werke des Künstlers hier einen – wenn nicht schlicht den – großen Schwerpunkt der Schau bilden. So stellt sich die Frage, ob wir das bisherige Schaffen dieses Künstlers auf einen Nenner bringen, ob wir – insofern also auch retrospektiv – einen roten Faden finden.

Anders als all diese früheren Werkgruppen entstehen heute fast ausschließlich Einzelwerke, die natürlich formal/stilistisch in enger Verbindung stehen, aber eben doch Werk für Werk (singulär) für sich stehen. Immer sind es die Farben, mit denen ja das jeweilige Bild „begann“, die dann durch das Schwarz sagen wir: geordnet werden.

Wieder einmal (tatsächlich fast unbewußt) habe ich bislang mit der Methode des strengen Intuivismus „kriminalistisch“ zu ermitteln versucht.

Also: Was haben wir?

Die drei ersten Ermittlungsansätze erwiesen sich als nicht zielführend, haben aber zu losen Enden (Fäden?) geführt; (s.o.: im Text protokolliert am Ende unseres „dritten Anlaufs“.
Jetzt sehen wir nach unserem vierten Anlauf, dass es sich bei den früheren Werkgruppen um prinzipiell offene (unendlich, logisch betrachtet also ewig fortsetzbare) Konzepte handelt. – Während wir die neuen Werke als Einzelstücke erleben.

Ich möchte versuchen, die zahlreichen losen Fäden zu verbinden zu (m)einer ganz persönlichen Wahrnehmung der künstlerischen Werke von Gerhard Langenfelds::

Betrachten wir Schwarz als die Farbe des Todes und deshalb das schwarze Loch als ein Symbol Bild des Todes, der unser jeweils ganzes Leben beinhaltet und bewahrt.
Bei jedem Werk Gerhard Langenfelds, vor das ich in seinem großen Schauraum trete, habe ich das Gefühl, im Dialog mit dem Bild – über die jeweiligen Farben, deren Form und Bildanteil – einen Einblick zu erhalten in mein eigenes Leben. Die Farben, die der Künstler beim konzentrierten und sehr genau überlegten Übermalen mit schwarz beläßt, erleben wir als labyrinthische Räume, die jedoch die Fläche nicht in den Raum hinaus führen, sondern uns einen Weg weisen in das Bild hinein. Oder, um bei der Metapher des schwarzen Lochs zu bleiben, hinein in uns selbst. Hier ist Gerhard Langenfeld Romantiker: „Nach innen weist der geheimisvolle Weg“ (Novalis).

Wir fassen zusammen:
Hans Belting hatte recht: das Bild entsteht während der Betrachtung, der Kopf ist der Ort des Bildes. Im Prozeß des Betrachtens führt uns das Bild zu / in uns selbst.
Obwohl wir unser ganzes Leben logischerweise nicht als Ganzes sehen oder “verstehen“ können, besteht die Möglichkeit dazu, während wir älter werden, im Dialog mit der Kunst einen Einblick in unser bisheriges Leben zu bekommen. Jede der aktuellen Arbeiten von Gerhard Langenfeld gibt uns dazu die Chance – jedem Einzelnen, jedem nur für sich.

Gerhard Langenfelds aktuelle Werke laden uns ein. in Dialog zu treten – die Kunstbetrachtung zur Kommunikation werden zu lassen. Statt voller Angst und untätig vor dem Gesetz zu verharren, können wir die Farbräume begreifen als Einladung zu einer Reise zu uns selbst. Jedes Bild eröffnet andere Wege, andere Aspekte. Es bedarf der Ruhe, der Kontemplation, um jeweils einen Weg zu finden. Es ist nicht unbedingt einfach, sich zu orientieren in diesen geheimnisvollen Farb-Räumen, die wir in den Werken und gleichzeitig in uns selbst entdecken. Ich nenne diese Wege
Labyrintische Räume.

Bild oben: Gerhard Langenfeld in seinem Ateltier

Jürgen Linde im Dezember 2024