Jo Winter im Internet: | Website Jo Winter: https://jo-winter.de/
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Wieder einmal war es die Galerie im Prediger Schwäbisch-Gmünd, dank der ich einen Künstler wieder entdecke, über dessen Arbeit ich schon länger hatte schreiben wollen.
Jo Winter zeichnet und malt und er ist seit geraumer Zeit in erster Linie als Bildhauer unterwegs – als Holzbildhauer. So sind es auch Holzskulpturen, die die Eindrücke der Ausstellung im Prediger dominieren. [19.10. – 24.11.2019: Jo Winter. Was trägt – Skulpturen und Arbeiten auf Papier]
Schon der besondere Ausstellungsraum des Predigers rückt die Skulpturen in den Fokus, wobei die „zweidimensionalen“ Arbeiten nicht an „an den Rand gedrängt“ werden, sondern dort sehr präsent ihren eigenen Raum beanspruchen.
In seinem sehr erhellenden Text zur Ausstellung schreibt der Kurator der Galerie im Prediger, Joachim Haller:
Als aufmerksamer und sensibler Beobachter seiner Zeit ist ihm die Kunst das große Stimulans des Lebens und das Leben selbst eine große, permanente Kraftquelle.
Antrieb für sein Schaffen ist das Nachdenken über die Conditio Humana. Dazu gehört die Verletzlichkeit des Menschen, auch die Aggression des Menschen gegen sich selbst und die Natur, die er immer wieder thematisiert und in seinem Werk zeichnerisch, malerisch und in der Skulptur reflektiert.
Unsere Existenz und die Reflexion von deren Bedingungen sind ja fast immer Themen der künstlerischen Arbeit; J. Haller macht deutlich, dass bei Jo Winter bewusst auch aktuelle, hier durchaus auch politische Überlegungen einfließen in das künstlerische Schaffen. Haller schließt seinen Text so:
Geradezu körperhaft erlebbar wird dann die beunruhigende Gefährdung der Skulptur – und nicht zuletzt die des Menschseins.
Joachim Haller: Text zur Ausstellung Jo Winter, 2019
Es geht dem Künstler um die Bedingungen des Menschseins, um das Verhältnis von uns Menschen zur Welt, zur Umwelt und zu uns selbst.
Dabei zähle ich selbst die anderen Menschen zur Umwelt – im Sinne von Dieter Roth: In seinem Essay „Die Haut der Welt“ betrachtet der dialektisch brillant denkende Künstler seine eigene Haut als seine Grenze zur Umwelt und damit auch als die Grenze der Umwelt zu ihm selbst – meine Haut ist die Haut der Welt.
Jo Winter begann seine künstlerische Arbeit mit der Malerei. Durch einen Text von Jo Winter selbst – „Gedanken“ [im Katalog Jo Winter – Malerei/Skulptur 2014 – 2017] – wissen wir auch, wann Jo Winters künstlerisches Denken begann: Im Alter von 8 Jahren erfuhr der 1949 geborene Künstler durch einen Bildband, den er an der Schule fand, von den Gräueln der Nazizeit:
„Die ganzen Grauen des Krieges, die Ermordung von Millionen Menschen. Es war ein unglaublicher Schock für mich, damals achtjährig. Der extreme Kontrast: hier die glückliche Kindheit, die Spiele in der Natur – dort Tod und bestialische Vernichtung. Das hat mich emotional extrem belastet. Eine Prägung fürs Leben.“
Kunst war dann Jo Winters Weg, um mit diesem traumatischen Erlebnis umzugehen, es zu begreifen. Jo Winter ist von Beginn an ein politischer Künstler. Die Erweiterung des Themas vom gewaltsamen Umgang der Menschen untereinander (Krieg, Vernichtungslager) hin zum Umgang des Menschen mit der Natur erscheint rückblickend logisch.
Nun sind der Umgang des Menschen mit der Umwelt und auch die Be- oder Aufarbeitung der Grauen des Krieges – so allgemein gesprochen – natürlich Themen, mit denen sich viele Künstler beschäftigt haben und weiter beschäftigen.
Wir stehen vor zwei Fragen:
a) Was macht Jo Winters Arbeiten so einzigartig? und
b) Was erfahren wir Neues für unser Verständnis der Kunst?
a) Betrachten wir das bisherige Gesamtwerk Winters, so fällt deutlich auf, dass der Anlass seines künstlerischen Schaffens keineswegs zu einem misanthropischen, negativen Welt- und Menschenbild führt. Stattdessen erscheint es uns so, dass die künstlerische Auseinandersetzung nicht nur ein („therapeutischer“?) Weg des Umgangs mit traumatisch Erlebtem war, sondern auch zu Auswegen, zu neuen Perspektiven geführt hat.
Sicherlich spielt hier eine Rolle, dass Jo Winter zunächst Biologie studiert hatte und als promovierter Biologe sehr intensiv mit diesen Aspekten der Welt – auf wissenschaftlich-neutraler Ebene – befasst war.
Die Naturwissenschaft ist wichtig für Winters Weltbild: religiöse oder eschatologische Modelle spielen für ihn keine Rolle, wohl aber die Natur – und die Transzendenz: Diese ist „lebenserhaltender Gegenpol zu dieser verdinglichten Welt, die fast nur noch Warenwelt ist. Mir ist die Aura von Dingen und Menschen wichtig.“
Die Holzskulpturen der Knospenreihe kann man durchaus so empfinden, dass uns die Natur die Hand reicht, einen Weg anbietet – einen Weg der Versöhnung?
So einfach macht es uns Jo Winter aber nicht: in neueren Arbeiten – Garten Eden – greift Winter die globale Flüchtlingsthematik auf. Was nur ein Künstler kann: die verständlichen Angst- und Abwehrinstinkte, die Menschen und Politik beide zeigen, macht Jo Winter auf psychologischer Ebene sichtbar, bestimmt etwas zu einfach, aber sehr anschaulich: mit Schutzwällen mauern sich die Menschen selbst ein. Per Mail bat ich Jo Winter um ein paar Zeilen, mit denen er schreibt, was ihm persönlich die Kunst bedeutet. Nach wenigen Tagen sendete mir der Künstler folgenden Text:
Sehe mich als politischen Menschen.
Mein Handeln liegt aber nicht im Politik-machen,
es spielt sich in der Kunst ab.
Vielleicht muss ich erwähnen, dass es eine allem zugrunde liegende tiefe Verletzung gibt,
die aus der durch Fotos vermittelten Erfahrung der Grauen des 3. Reichs herrührt.
Ich nehme intensiv wahr, nehme ungefiltert auf bis es weh tut.
Heute ist es der ungebremst galoppierende Kapitalismus, der alles vereinnahmt, nicht einmal vor den Lebensmitteln und dem Wasser Halt macht.
Das große Gefühl der Ohnmacht, das daraus entsteht, ist möglicherweise die
Hauptmotivation, Kunst zu machen,
und in der Kunst die Kraft, die in der Natur und damit auch in dem Menschen steckt, freizulegen.
Formen und Metaphern zu finden, die die Power zum Ausdruck bringen,
die Schönheit der Kraft auch,
das Mut-machende.
Im Gegensatz zur Depression und Destruktion.
In meiner Arbeit schwingt immer eine intensive Erfahrung und Wahrnehmung der Natur mit.
Beispiel „morgen ist auch ein Tag“:
Entstanden aus der Wut über das Aussitzen der Probleme, Waldsterben 2005 ff…
Beispiel „Pflanzen und Bäume“:
Ich lebe auch im Süden Frankreichs und bin immer wieder überwältigt von der wilden Kraft und dem üppigen Wuchern der Weinranken, die der Hitze trotzen.
Sie werden im Bild zu Metaphern für Anderes, Menschliches, Zwischenmenschliches.
Wir sehen, Jo Winter ist selbst der beste Interpret seiner Arbeit.
Doch wollen wir auch die zweite Frage noch angehen: was lernen wir aus Winters Arbeit über die Kunst?
Wie in der Philosophie geht es auch in der Kunst oft zuerst darum, zu sehen: Zu sehen, was der Fall ist. Wenn die Kunst radikal und deutlich ist, kann aufscheinen, was möglich ist: In der Philosophie sind dies etwa Kants Ideen der reinen Vernunft, die, als solche unerreichbar, uns doch eine Richtung weisen, Hoffnung geben. Bei Ernst Bloch und, ich glaube, auch bei Jo Winter, ist Heimat das zentrale Thema:
Jo Winter: „HeimatHeimat“, 2006
© Künstler
Ein Satz aus Jo Winters eigenem Text erklärt vieles:
„Ich nehme intensiv wahr, nehme ungefiltert auf bis es weh tut.“
Immer wieder sahen wir in dieser Künstlerporträtreihe, dass es offenbar eines besonderen künstlerischen Blickes bedarf, eines Blickes, der bestimmte Aspekte unseres Seins, unserer Welt klarer sieht. Auf dieser Basis kann gute Kunst entstehen.
In der Literatur sind es Künstler wie Franz Kafka oder Cormac Mc Carthy, die uns unsere Welt, unsere Wirklichkeit sichtbar machen.
Die Kunst liegt zuerst im Blick, unabhängig davon, ob dann die Umsetzung mit sprachlichen oder mit bildnerischen Mitteln erfolgt. Wichtig ist zuerst die sensible und „ungefilterte“ Wahrnehmung.
Meinen Text über Jo Winter nenne ich:
Wirklichkeit ungefiltert
Jürgen Linde im Dezember 2019