Die Haut des Raumes – über Susanne Wadle

Susanne Wadle im Internet: www.susannewadle.de

Susanne Wadle. Ich hatte den Namen schon ein paar mal gehört, als ich ihn im Programm der Galerie Alfred Knecht entdeckte: Susanne Wadle – Neue Arbeiten: 11.11. bis 09.12.2000

Susanne Wadle im Kunstportal Baden-Württemberg
Susanne Wadle; © Künstlerin, VG Bildkunst Bonn 2020

Dann der zweite Kontakt: „Mit Haut und Haaren“ heißt Susanne Wadles kleiner Katalog, den ich per Post erhalte. Dabei eine Einladungskarte mit dem Text:
9. bis 25. März 01: „Photo-Wohnobjekte und Installationen“
Hairy Affairs – von Susanne Wadle
Das Bild darauf: unter einer Trockenhaube an der Wand steht eine Frau, von der aber nur die Beine zu sehen sind: den Rest verdecken eine Trockenhaube und eine wahre Flut von Haaren.

Im Katalog geht es dann weiter. Dem Titel „Mit Haut und Haaren“ durchaus gerecht werdend, ist Susanne immer wieder selbst Teil ihrer Installationen, etwa unbekleidet und höchst gelenkig zusammengerollt im engen Fach eines Schrankes taucht sie urplötzlich auf. Sie inszeniert sich, und zwar auf eine fröhlich-ernste Weise. Aber ohne Frage geht es hier um ernsthafte Themen, um künstlerische Fragestellungen, denen wir auf die Spur kommen wollen.

‚Behausung‘ oder ‚Billie und Zuchie‘
Foto auf Forex, 140 x 160 cm
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn 2020

Die Objekte erinnern mit ihren Formen an lebendige Körper oder an Organisches insgesamt – gerade im Gegensatz zu den bis dato als unlebendig angenommenen Räumen außen herum. Tatsächlich heißt die Ausstellung in der Galerie Alfred Knecht schließlich – in erfrischender Doppeldeutigkeit:
Susanne Wadle: ‚living Rooms‘.

Bei der Vernissage endlich lerne ich sie kennen. Scheinbar träumend dreht und wendet sie sich im abgedunkelten Raum auf ihrem an Seilen schwebenden Wolkenbett; Schönes scheint sie zu träumen ist der allgemeine Eindruck der Besucher, die von der musikalisch noch verdichteten Atmosphäre begeistert sind.

Wolkenbett, 2001 | © Künstlerin, VG Bildkunst Bonn 2020

Aufgrund der wirklich vielfältigen Projekte – zu denen auch immer wieder pädagogisch-künstlerische Projekte mit Kindern gehören – wird es Mitte Juli, bis Susanne mich im realen Büro der Virtuellen Kulturregion besucht.
Susanne bringt weitere, aktuelle Bilder mit. Schauen wir, was uns am meisten auffällt und sehen dann, was uns dazu einfällt.

Bei der beschriebenen Installation ‚Hairy Affairs‘ hatte ich zunächst folgenden Verdacht:
Es geht um das „Eingesperrtsein“ in Rollen, die man sich überstülpt oder die man übergestülpt bekommt (wer will/kann das schon trennen); im konkreten Fall etwa um eine Frau, die sich per Frisur/Trockenhaube zu dem macht, was sie glaubt, sein zu sollen.

‚hair care‘ aus der Serie ‚Hairy Affairs‘ , 2001
Haarhaube und Viskosehaar
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn 2020

Das Gesicht – also die Person/Persönlichkeit – sieht man nicht. Persönlichkeitsverlust ist eben der Preis der Rollenausfüllung.
Auch sonst fanden sich viele Hinweise auf die Thematik Geschlechterrollen, Klischees, die Susanne Wadle mit stark satirischen Mitteln auf die Schippe nimmt. Natürlich finden sich noch weit mehr Bedeutungsdimensionen und Interpretationsmöglichkeiten, wenn man sich Zeit nimmt, zu sehen.

In den neueren Arbeiten aber tritt dieser satirische Aspekt fast komplett zurück. Er war wohl auch nur Stilmittel, Einstiegt in eine – von vornherein angelegte – wesentlich tiefergehende Behandlung: Sehr auffällig ist ja, daß Susanne Wadle sehr oft mit ihrem Körper, mit ihrer ganzen Person Teil ihrer Rauminstallationen oder Raumpräsentationen oder Raumobjekte oder Raumbilder ist.

‚Flying Visit‘, 2001; Körper mit Gummibändern
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn 2020

Es geht also um „Raum und Person“, um Ich und Welt, um die vielzitierte „Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt“, um Außen und Innen, um Getrenntsein und Zusammengehören.
„Trennen ist Verbinden“ war ja auch Titel unseres letzten Künstlerporträts: Im Prozeß der Trennung zeigt sich die Einheit des Getrennten, das ja nicht getrennt werden könnte, würde es nicht zusammengehören.

Jetzt fällt mir noch etwas ein: Dieter Roth: „Die Haut der Welt“ war eine Ausstellung (Staatsgalerie Stuttgart), die mit unserem Thema viel zu tun hat; nach einigen Minuten finde ich auch die Einladungskarte dazu mit dem erhellenden Text von Dieter Roth: „Das was man als das Äußere Aussen sieht, das kann man als das Innere nehmen, denn die Haut – meine Haut – ist die Haut der Welt“

Käfig (für Besucher benutzbar); Haarhaube und Metallgerüst, geschweißt, bengalischer Hanf, gewickelt,
Performance (15 Minuten) und anschließende Videoprojektion
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn 2020

Dieser geniale Denkansatz beschreibt gleichzeitig die radikale Trennung zwischen Ich und Welt und verdeutlicht die unmittelbare Nähe dieser beiden Gegensätze. Nur meine Haut trennt mich von der Außenwelt.
Indem nun Susanne Wadle als Teil ihrer Räume erscheint, verzichtet sie, so weit es eben geht, auf alles Trennende.

Wenn Peter Gather im Prozeß der Trennung das Zusammengehören der Elemente beweist, so geht Susanne Wadle – für mein Empfinden – noch einen Schritt weiter: sie zeigt, daß wieder zusammengehören könnte, was uns getrennt erscheint: Sie bezieht sich auf den Raum und diesen auf sich und erzeugt so eine Einheit.
Das Ich, ganz konkret als der eigene Körper, und die Welt drumherum. Das Ich als integraler Teil der Welt – eine Vision, nein, eine Utopie, die Ernst Bloch „Heimat“ genannt hat.

Eine Utopie ist für uns faszinierend, weil oder nur wenn sie eine reale Möglichkeit beschreibt; wenn also denkbar ist, die Einheit zurückzugewinnen.Vielleicht ist es ja auch ganz einfach: wenn meine Haut die Haut der Welt ist, muß ich versuchen, ihre Durchlässigkeit zu erhöhen, mich zu öffnen, die Haut, die tatsächlich durchlässig ist und durch die wir ja atmen, als Membran zu leben.

glasfaserverstärkte Skulptur aus Kunstharz, 2001
210 x 170 cm; © Künstlerin, VG Bildkunst Bonn 2020

Die Bilder, die Susanne Wadle für dieses Porträt ausgewählt hat, symbolisieren dies für mich: als Objekte zeigen diese Arbeiten, wie man seine eigene Welt von den Außenwelt abgrenzen und sie gleichzeitig in diese Integrieren kann. Die Wände sind stabil und erhalten den Raum, ihre Öffnungen machen die Haut des Raumes zur Membran.

Jürgen Linde, 2001