Philosophische Reflektion angesichts der Skulpturen von Ulrike Israel –
oder Ent-Fremdung durch Kunst
Ulrike Israel im Internet: | Website: | www. ulrikeisrael.de
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„Mein Ziel ist dasselbe geblieben: das Unbekannte zwingen, Figur zu werden. Eine Kraft in mir, die ich nicht erklären kann, sondern die ich leben muß, treibt mich dazu, Kunst zu machen.“
(Robert Jacobsen, 1975)
Ulrike Israel
Ulrike Israel wußte schon früh, daß sie Künstlerin werden wird. „Alle Kinder haben ein kreatives Potential“ sagt sie mir bei einem Gespräch in ihrer Ausstellung im Forschungszentrum Karlsruhe.
Wenn später dann sehr viele Menschen dieses Kreativpotential nicht voll ausleben können, so liegt dies sicher mit daran, daß Tätigkeiten, die unseren (Arbeits-)Alltag bestimmen, meist so festgelegt sind, daß Kreativität dabei nicht nur unnötig, sondern sogar als störend wahrgenommen wird. Anpassung ist gefragt. Wo diese aber irrational stark ist, wo sie Kreativität zerstört, sprechen wir traditionell von entfremdeten Tätigkeiten.
Die künstlerische Tätigkeit stellen wir uns gerne als das direkte Gegenteil dieser Entfremdung vor.
Tatsächlich ist Ulrike Israel glücklich, als Künstlerin das tun zu können, was sie will. Die ja auch für Künstler nicht zu vermeidende Anpassung an die Zwänge des Marktes sieht sie nicht als bedeutend an – und wohl auch als Herausforderung, sich mit der eigenen Linie und nur mit dieser im Markt zu behaupten.
Wenn die künstlerische Arbeit das Gegenteil von Entfremdung ist, so könnten wir diesem Gegenteil näher kommen durch eine semantische Analyse des Begriffs: entfremden (also: sich von etwas, etwa dem eigenen Wesen, der eigenen Natur entfremden) bedeutet, diesem fremd zu werden.
Die Dialektik lehrt uns, daß Begriffe fast immer ihr Gegenteil enthalten (wie Leben und Tod). Das Gegenteil wäre somit, (wieder) bekannt zu werden mit dem, von dem man sich entfremdet hat – wir könnten somit sprechen von einer Ent-Fremdung (als der Befreiung vom Fremdsein).
Ent-fremden könnte auch bedeuten, etwas bislang Unbekanntes kennenzulernen. Dieses Stichwort war mir schon bei mehreren Bildhauern aufgefallen; etwa bei Robert Jacobsen oder bei Eduardo Chillida.
Ulrike Israel ist eine vollkommen eigenständig arbeitende Künstlerin, sie ist nicht nur Bildhauerin, sondern auch Zeichnerin, beides ist ihr gleichermaßen wichtig. Die Zeichnungen sind oft eigenständige Arbeiten, stehen manchmal aber auch in Verbindung zu den Skulpturen. Nach der Zeichnung, wenn diese als Skizze für eine Skulptur entsteht, folgt noch der Bau eines Tonmodells, bevor die – oft großformatige – Skulptur begonnen wird.
Bei aller Begeisterung für die Tuschezeichnungen, auch Aquarelle und Holzschnitte gehören dazu, so sind es doch die Skulpturen aus Holz, die mich noch mehr faszinieren: Die organischen Formen der Skulpturen, die seltener rein konstruktiv sind, meist stattdessen figürlich. Gerade die figürlichen Arbeiten haben einen besonderen Aspekt des Abstrakten, der wohl mit Ulrike Israels Arbeitsweise zusammenhängt, die sie selbst so beschreibt:
“Für die plastischen Arbeiten verwende ich Holz aus Abrißhäusern, das mit seinem spröden und rissigen Aussehen schon über ein Eigenleben verfügt. Die Figuren entstehen aus aneinander gedübelten und geleimten Balken. Durch diesen Arbeitsprozess wirken sie konstruktiv und erinnern in ihrer Abstraktion an archaische Formen.“ (Ulrike Israel, 1997)
Dies bringt uns zurück zu den semantischen Überlegungen: der Begriff der Entfremdung (von der Natur) birgt ja immer auch den Gedanken, daß es irgendwann einmal einen nicht-entfremdeten Zustand – eine Einheit zwischen Mensch und Natur – gegeben habe, an den wir uns auf seltsame (mystische? oder vorbewußte?) Weise erinnern. Bei Adorno ist die Rede von Mimesis und von einem mimetischen Gedächtnis.
Ernst Blochs (Begriff der) “Heimat“ ist hier nicht weit weg.
Mit ihren, wie sie selbst sagt, auch archaisch anmutenden Figuren erinnert uns Ulrike Israel vielleicht an diese ursprüngliche Einheit, an unsere Zugehörigkeit zur Natur oder besser: an unser „eigentlich-Natur-sein.“
Das Unbekannte, dem wir uns mit Hilfe der Kunst wieder ent-fremden, ist dann also das Ur-Bekannte.
Unsere Natur ist es, zu der wir zurückkehren oder zu der wir zurückzukehren hoffen.
Das Stichwort “Hoffnung“ zieht den Bogen weiter, über Ernst Bloch hinaus zu Hegel. Wir sind mitten in der Geschichtsphilosophie und bei der Gattungsgeschichte, in jedem Fall auch bei der Philosophie des Geistes.
Das Unbekannte ist die Natur, ist unsere Natur, die wir als solche erkennen können mit Hilfe des Geistes, der sich uns über die Kunst vermittelt. Für Hegel gehört die Kunst zum Bereich des absoluten Geistes.
Module, 1998
Fichte / Eisen, geölt; 76 x 33 x 16 cm
Genug der Philosophie; lassen wir die Bilder sprechen und den verbalen Teil beenden von einem der ganz großen Bildhauer:
“Man weiß nie genug
Und so ist auch im Bekannten
Das Unbekannte und sein Lockruf.“
(Eduardo Chillida)
Jürgen Linde, 2003