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o.T., (bits im Internet, FormaT: 8653 bytes x 8 bits), 2001
Bei einem Kunstwerk bedeutet o.T. aus Künstlersicht ungefähr Folgendes: „Ich gebe nichts vor, keine Bedeutung, keinen Interpretationsansatz, das Werk steht für sich, bereit zur Kommunikation mit dem Betrachter, dem es sonst zu leicht gemacht würde, den man womöglich auf eine falsche Fährte setzen würde.“ Nun wollen wir hier aber keine Kunst produzieren, sondern gemeinsam versuchen, der Kunst Peter Gathers näher zu kommen.
Nun denn: meine eigene Fährte habe ich vor fünf Jahren aufgenommen; im Sommer 1996, beim Badischen Kunstverein Karlsruhe, erlebte ich erstmals Gathers Arbeit. Außergewöhnlich auf jeden Fall, doch was sagt das schon. Provokativ? Nicht wirklich, es geht, scheint mir, um mehr. Auffällig wirken die Exponate, unkonventionell, scheinbar auch durchaus gegen das gerichtet, von dem sie sich abgrenzen. Weder „richtige“ Bilder noch „normale“ Objekte – die Arbeiten passen in keine Schublade; sie widersprechen.
So mein erster Eindruck von den Peter Gathers Arbeiten. „Rubberworks“, Gummiarbeiten, ohne Titel, aber nummeriert. Auf den ersten Blick, von weiter weg, könnte man für Bilder halten, was beim Näherkommen eher objekthaft anmutet; die Flächigkeit, die noch da ist, ist Ober-Fläche, selbst strukturiert durch ein Flechtmuster aus Gummistreifen. Gemalt ist hier nichts; auch die Farbe ist die, die das Material mitbringt.
Hier also Grautöne und damit – laut Peter Gather – Mischungen aus den beiden Nicht-Farben Schwarz und Weiß. Peter Gather thematisiert die Malerei selbst, indem er auf deren typische Elemente verzichtet: was zuerst ein Bild zu sein scheint, kommt ohne Malgrund aus, auch ohne Farbe – ist also kein Bild. Peter will hier absolut nicht expressiv sein und auch keine „Bedeutungen“ ausdrücken oder transportieren.
Installation (Ausstellung „Skulptur Südwest“, Badischer Kunstverein 1996
Peter Gather trennt Form und Mittel oder Form und Werkzeuge. Er entlarvt Bekanntes als Fremdes, trennt Schein und Sein.Durch Irritation und Verblüffung macht er uns unsere Sehgewohnheiten als solche bewußt. Wir haben für ein Bild gehalten, was keines ist. Wir sehen zuerst eine Oberfläche, wir sehen oberflächlich.
Peter Gather schafft Abstand und Nähe, tritt in den Vordergrund und gleichzeitig zurück, spricht uns an, wendet sich ab und läßt uns (nicht) allein – mit seinen Arbeiten.
Mit den „rubberworks“ reagiert Gather auch auf die „Überbewertung der Malerei und deren angebliche Möglichkeiten. Ganz nüchtern verweisen sie auf die Fläche als solche. In ihrem Verzicht auf Farbe und in der Reduktion des künstlerischen Eingriffs auf rein handwerklicher Ebene (Flechten der Gummibänder über hölzernem Rahmen) verzichten sie weiter auf die Überheblichkeit eines angeblichen künstlerischen Genusses“. (Peter Gather)
Peter Gathers Arbeit interessiert mich vielleicht auch deshalb so stark, weil Peter und ich fast gleich alt sind. Was machen meine Altergenossen, wenn sie Kunst machen? Während er beim „Durch-die-Ausstellung-Schlendern“ in den diversen Galerien, wo ich ihn treffe, tendenziell zunächst eher teilnahmslos wirkt, ist er, sobald er sich in einem Gespräch befindet, hellwach und konzentriert, er formuliert klare Aussagen, die mir bei aller Entschiedenheit meistens leicht ironisch erscheinen.
Wenn ich also in der Person Peter Gather einen Provokateur erwartet haben sollte, so habe ich mich getäuscht. Doch wenn es um „Widersprüchlichkeit“ als Thema geht, so habe ich das Ganze sogar noch unterschätzt:
Bei seinem Besuch bei SWO spricht Peter von einer „triple-contradiction“, einem dreifachen Widerspruch also. Im Gespräch klingt dies so wissenschaftlich und routiniert, daß ich mich bei einer Bildungslücke ertappt fühle. Dann aber erfahre ich, daß Peters diesen Begriff selbst entwickelt hat, um möbelartige Objekte zu beschreiben, die 1997/98 in London entstanden sind. „Genaugenommen geht es sogar um eine vierfache Verneinung.“
Dabei spielen, wie schon bei den Rubberworks, die Inhalte und deren vermeintliche oder tatsächliche Abwesenheit, wieder eine wichtige Rolle: Auf fröhlich ironische Art bringt Peter nun die ( zu suchenden ) Inhalte als Gegenstand der Kunst ins Gespräch und verweist auf die ebenfalls in London entstandenen Objekte „kitchen-cabinet“ und „C-Box“ I-IV.
Gather entleert diese rein funktionalen“Nullästhethik“-Möbel inhaltlich, indem er durch das Einsägen großer Löcher ihre Funktion befragt,indem er ihre häusliche Funktion quasi verunmöglicht. Die innere Bemalung der Objekte mit Tarnmustern ist der ursprüngliche Ausgangspunkt der erwähnten „Triple contradiction“. Das Aufeinandertreffen eines häuslich-funktionalen Küchenmöbels mit einem militärischen Farbdesign, welches selbst wiederum im Inneren des nun inhaltlich entleerten Objektes verschwindet. Erst durch die großzügige und kontrollierte Durchlöcherung des Möbels wird die Camouflage wieder sichtbar, bleibt aber ebenso wie das inzwischen in seiner Funktion zerstörte Möbel funktionslos.
Camouflage dient der Tarnung von Objekten, Materialien oder Personen. Sichtbar und unsichtbar machen sind die Aufgaben der Camouflage, die dem Künstler Peter Gather auf seltsame Weise gerecht zu werden scheint.
Offenkundig scheint mir zu sein, daß die Widersprüche – nicht im provokativen, sondern natürlich im dialektischen – Sinne der Person Peter Gather und seiner Kunst gleichermaßen wesentlich sind. Eitelkeit und Bescheidenheit gehören hier zusammen. Laut und leise ist Peter Gather, aber immer sehr deutlich. „Deutlichkeit“ verweist auf die Inhalte, die wir weiterhin suchen. Peter zeigt uns, daß wir genauer und bewußter sehen sollten; er spricht einmal explizit von „Sehschule“.
Während das letzte Künstlerporträt aus guten Gründen den Titel hatte „Wer hören will, muß fühlen“, geht es diesmal unmittelbar um das Sehen und unsere Aufgabe beim Sehen. Peter Gathers „Sehschule“ zeigt uns: es genügt eben nicht, „die Augen aufzumachen“.
Bewußt machen sollten wir uns stattdessen das Sehen als Prozess, an dem der Sehende aktiv Anteil hat. Eine Fläche ist eine Fläche ist eine Fläche – erst im Erkennen des Subjekts. Das merken wir manchmal erst, wenn die Fläche keine Fläche ist, sondern ein Flechtmuster aus Gummistreifen.
„Hängeschrank“
Mit Peter Gather trennen wir das Sehen vom Gesehenen: Immanuel Kant wußte, daß etwa Raum und Zeit als Grundbedingungen (wir könnten auch von Vorurteilen sprechen) unsere Wahrnehmung determinieren und strukturieren. Peter Gather zeigt uns, daß auch Gewohnheit mitwirkt, wenn wir sehen, was wir zu sehen gewohnt sind. Bilder etwa , wo keine sind (Rubberworks).
Indem Peter Gather solche Täuschungen für uns gleichzeitig sichtbar macht, ent-täuscht er: er beendet die Täuschung und erschließt uns das Sehen als sinnliche Erfahrung neu.
Und doch: der Widerspruch ist in der Dialektik nicht Ergebnis oder Ende, sondern eigentlich erst der Anfang. Zwar verweisen die Rubberworks als „Nicht-Bilder“ eben auf die Bilder, von denen sie sich unterscheiden – und bilden doch eine neue Form.
Ähnlich die Camouflage-Arbeiten (v. camoufler, fr.=verhehlen, verstecken). Indem Camouflage unsichtbar zu machen sucht, weist sie hin auf das, was unsichtbar gemacht werden soll, macht insofern also sichtbar. Es drängt sich auf, hier Paul Klee zu zitieren:
„Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, Kunst macht sichtbar“.
Und Peter Gather zeigt uns, daß wir als Betrachter daran einen entscheidenden Anteil haben: das Sehen, die Wahrnehmung und das Verstehen, die geistige Durchdringung, sind Gathers Themen und definieren gleichzeitig seine eigene Vorgehensweise.
Das Sehen selbst ist Thema der Kunst Peter Gathers. So wie wir bei Bruno Kurz und dessen sehr spezifischer Arbeitsweise das Licht – als ein Faktum, das physikalisch-zeitlich vor dem Malprozess liegt, als Thema künstlerischer Auseinandersetzung ausgemacht haben, so ist bei Peter Gather der Prozeß des Sehens und der Wahrnehmung als grundlegendes Element in der Kunst und ihrer Realisierung im konkreten Objekt.
Peter Gather arbeitet analytisch: das Aufdecken, aber auch Erzeugen von Widersprüchen ist für ihn Stilmittel und Erkenntniswerkzeug. Die Trennung vermeintlich untrennbarer Elemente zeigt deren Zusammengehören – auch als ein Produkt unserer Wahrnehmung, Unbewußt verwenden wir, wie Kant sinngemäß gezeigt hat, unsere eigenen Wahrnehmungskategorien zur „Rekonstruktion“ der Wirklichkeit.
Was dem Dialektiker theoretisch klar erscheint, macht Peter Gather sinnlich erlebbar:
Trennen ist Verbinden.
Jürgen Linde, 2001