Man lebt aus den Energien, die man verbraucht(*) – über Madeleine Dietz

(*)Der am 17. März gestorbene israelische Dirigent und Komponist Gary Bertini
Zitiert aus FAZ vom 19. März 2005, Seite 35

Aktuelle Ausstellungen und Projekte von Madeleine Dietz

Frühere Ausstellungen / Events von Madeleine Dietz:

Madeleine Dietz: | Ausstellungen und Projekte in 2023

Madeleine Dietz: | 22.06. – 19.12.2023 | Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen | Madeleine Dietz u.a.: | Warum gibt es denn Kunst, wo es doch Kriege gibt?
Mittwoch, 17.05.2023, 17 Uhr, Kreuzung Vogelsangweg/ Adolf-Kolpingstraße: | Einweihung des Otto-Hörner-Denkmals in Ettlingen
19. Oktober 2023 – 10. März 2024 | Friedhof Karlsruhe, Info-Center: | Madeleine Dietz – Wo Du auch bist …. 2023
Madeleine Dietz im Ulmer Museum: 28. März bis 31. August 2014: | Madeleine Dietz: Weg und Ort
26.06. – 24.07.2022: | 40 Jahre Künstlerkreis Ortenau: Unsere Gäste
30. April bis 26. Juni 2021 | Galerie Nothelfer Berlin: | All I Think About Is You
Madeleine Dietz – aktuelle Ausstellungen und Projekte 2021/2022
06. März – (verlängert) bis 14. Juni 2020: | Singen und Klagen – Madeleine Dietz in der Städtischen Galerie Speyer

Madeleine Dietz im Internet: | website: www.madeleinedietz.de
E-Mail: madeleine.dietz@gmx.de

[dazu ein kunstportal-bw-Special: Ein besonderer Text zu einer besonderen Ausstellung: | Weg und Ort – Madeleine Dietz im Ulmer Museum“ (28.03. -31.08.2014)

Nachdem im letzten Porträt die „Rettung der Poesie“ im Untertitel vorkam, dachte ich nun, mich in die künstlerische Arbeit von Madeleine Dietz vertiefend, den Themenkomplex Kunst und Sprache verlassen zu müssen, um mich dem spannenden Verhältnis von Religion und Kunst zu widmen.

Madeleine Dietz, Foto: privat

Nachdem Hegel beide Bereiche gemeinsam der absoluten Vernunft zugeordnet hat, werden wir uns auch irgendwann darum kümmern müssen.

Wir ahnen bereits, daß es wohl dieselben Themen und Fragen sind, mit denen sich diese beiden verschiedenen und doch nicht voneinander zu trennendenden Welten befassen:
Leben und Tod, Werden und Vergehen sind exakt Madeleine Dietz’ Themen. Und der Tod ist fast allgegenwärtig, blättert man in ihren Katalogen. Während wir ja gerne das Thema Tod – und was dazugehört – verdrängen, üben die Arbeiten unserer Künstlerin doch enorme Anziehung auf uns aus – in ihrer Kraft und in ihrer Lebendigkeit. Das klingt widersprüchlich, weil es widersprüchlich ist: Leben und Tod sind dialektische Begriffe, aufeinanderbezogen und nur gemeinsam denkbar. Handeln wir vom Leben, so handeln wir vom Tod. Hier, denke ich, treffen sich Religion und Kunst – damit zurück zu Madeleine Dietz:
Aufträge kommen oft von Kirchen, für die sie beispielsweise Abschiedsräume gestaltet und auch in ihren Ausstellungen sind Religion und Kirche nie weit weg: etwa in der Städtischen Galerie im Prediger in Schwäbisch-Gmünd, wo der Ausstellungsraum ein ehemaliges Kirchenschiff ist, nimmt sie dieses Thema auf, in dem sie den Grundriss eines Schiffes auf dem Boden der Ausstellungshalle mit ihren typischen Mauern aus Erde nachzeichnet, besser: nachbaut.

„Einmal noch das Meer sehen“
Galerie im Prediger Schwäbisch Gmünd, 2001
30 x 1500 x 400 cm

Faszinierende, sinnlich gewaltige, präsente und raumdominierende Arbeiten. Woher wir kommen und wohin wir gehen, die Dialektik von Leben und Tod, solche Fragen werden hier anschaulich. Wie aber kann man Fragen anschaulich machen?

Wir sind, ich bemerke es, als ich die lyrischen Titel der Kunstkataloge lese, doch noch im Raum der Sprache.

Madeleine Dietz

Oktogonaler Grundriss
25 x 550 x 550cm; DG für Christliche Kunst 2003

“Einmal noch das Meer sehen“ ist der Titel eines Kataloges von 2001. Melacholisch oder sehnsüchtig mag dies klingen, nachdenklich, der eigenen Endlichkeit bewußt. Doch ist das Ziel nicht unerreichbar. Es liegt an uns, zu handeln, loszufahren.

Neun Felder ohne Namen
Licht – Boden – Installation
Elbe – Forum, Brunsbüttel 2003

Der englische Titel – im zweisprachigen – Katalog legt nahe, genauer zu überlegen: ”Looking at the sea once again“
Während wir beim deutschen Titel schnell (zu schnell?) an Tod denken, können wir den englischen Titel auch so lesen: Das Meer noch einmal sehen.

Zurück bei der Sprache, fallen mir natürlich einige dialektische Aussagen ein zum Thema Leben und Tod:

„Der Tod beginnt bei der Geburt; er dauert das ganze Leben.“ (aus einem Film, Titel habe ich vergessen)
Oder, natürlich, von Franz Kafka (“Tagebücher“): “Ein erstes Zeichen beginnender Erkenntnis ist der Wunsch, zu sterben“ (Hervorhebungen von mir).

„Was oben war wird unten sein“
Nr. 4/ 2004; 20 x 70 x 70 cm

Eine Aussage, über es nicht zu streiten gilt: man hat das schon einmal erlebt, oder eben (noch) nicht. Wer es erlebt hat, erinnert sich vielleicht, daß in diesem Erkenntnis- oder Gefühlsmoment Herz und Geist sehr nahe beieinander sind.

Zusammenzubringen, was zusammengehört, also ALLES, ist auch die Aufgabe in Madeleines aktuellem Projekt “Side by Side“: über alle nationalen, religiösen und ethnischen Grenzen hinweg sollen hier Friedhofserden zusammengetragen werden.
“Wenn alle Erden zusammen sind, wird ein Pflanzfeld angelegt. Dieses kann als Symbol für den Weltfrieden gelesen werden“.(Rik Reinking, Hamburg 2003 aus dem Katalog „über der Erde die Sonne“.)

Gewohnt, die schwierigen Themen zu verdrängen, glauben wir, lieber vom Leben zu reden als über den Tod zu sprechen. Angesichts dieser Kunst zerfällt diese Illusion zu Erde: Madeleine Dietz weiß um die Dialektik dieser Begriffe und zeigt ebendies in ihrer Kunst: sie weiß um die Einheit von Geburt und Tod und Tod und Geburt; in diesem ewigen Kreislauf hat sie sich gefunden.

Apropos gefunden: „I still haven’t found what I’m looking for“ hieß es einst bei U2. Die meisten würden sagen: Ich habe (das), was ich suche, noch nicht gefunden.

Diptychon
Museum im Kulturspeicher Würzburg 2005; 200 x 200 x 10 cm

Wir könnten aber auch, inhaltlich viel schöner, übersetzen: Ich habe noch nicht gefunden, wonach ich suche.
Wer dann (nun im doppelten Sinne) doch findet, wonach er sucht – natürlich die Liebe – hat Frage und Antwort in einem. Das ist schöne Dialektik.
Um aus der Philosophiererei heraus und zu Madeleine zurück zu kommen:

Man lebt aus den Energien, die man verbraucht (*)

Jürgen Linde, im April 2005