Leben | Nebel – über Platino

Platino im Internet:
E-Mail: platino.space3@gmx.de

“Gracias a la Vida“ nennt Platino seinen Raum im Museum Ritter Waldenbuch, der uns die Vielzahl unserer Sinne bewusst macht, indem er uns das Bewusstsein erstmal ein wenig nimmt – Leben gespiegelt: Nebel.

Platino ist, vor allem wohl aufgrund seiner “Red Spaces“, schon lange weit über alle Grenzen hinaus bekannt. Im Mai 2017 endlich hatte ich Gelegenheit, den Künstler auch persönlich kennen zu lernen: Im Museum Ritter Waldenbuch, bei der Ausstellung “Rot kommt vor Rot“ war Platino eingeladen als Gastkünstler, der hier einen ganz eigenen Raum gestaltete. Anders als im „Red Space I“ ist längst nicht mehr alles rot, was Platino zeigt. Doch seiner konzeptuell basierten Arbeitsweise treu und verpflichtet, frappieren die Farbgewalt und die atmosphärische Dichte seiner Raumgestaltung noch immer – umwerfend.

Platino im Museum Ritter, 2017; in „seinem Raum“ „Gracias á la Vida“
© Platino, Foto: Museum Ritter

Im Gespräch mit Platino war schnell klar, dass ein Künstlerporträt des ja in Stuttgart lebenden Künstlers, der auch in BW studiert hatte, im kunstportal-bw sinnvoll/längst überfällig ist. Ein zeitnahes Treffen in Stuttgart war dann aber nicht möglich, denn kurz nach Ausstellungsbeginn bei Ritter wurde bekannt, dass Platino mit dem Hans-Thoma Preis 2017 des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet werden wird.

Platino hatte schlicht keine Zeit mehr: längst geplant war bei der Galerie Schlichtenmaier in Stuttgart eine Ausstellung, die er gerade vorbereitete. Zur Hans-Thoma-Preisverleihung gab es eine Ausstellung in Bernau, zu der ein Konzept zu erstellen und umzusetzen war. Anders als “herkömmliche“ Künstler, die oft einfach einen Stapel Bilder zusammenstellen und dann abholen lassen, ist dies bei Platino, der als Künstler auch Raumgestalter/erschaffer und quasi Architekt ist, eine extrem aufwändige und zeitraubende Arbeit. Und nicht zuletzt gehört zum Hans Thoma-Preis ein Katalog, den Platino, auch hier Perfektionist, komplett selbst als eigenständiges Kunstwerk entwickelt und am Ende als druckfähige Datei zur Druckerei bringt.

Kurzum: es blieb keine Zeit, mit dem Künstler in Ruhe zu sprechen und einen Porträttext abzustimmen. Doch „in der Not wächst das Rettende auch“: Petra Olschowski, die Staatssekretärin für Kunst in Baden-Württemberg, lieferte mit ihrer Rede zur Verleihung des Hans-Thoma Preises ein hervorragendes Porträt über Platino. Sie hat uns erlaubt, ihren Text hier zu verwenden, wofür wir ihr herzlich danken:

Rede von Staatssekretärin Petra Olschowski anlässlich der Verleihung des Hans-Thoma-Preises 2017 an Platino am 13. August 2017 in Bernau.

Extern 89, (Space 2, 1993) | © Platino

Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Platino,
Die Verleihung des Hans-Thoma-Preises – als einem der wichtigsten Kunstpreise dieses Landes – ist neben vielem anderen auch ein offizieller Akt.
Wenn ich mein Grußwort heute trotzdem mit einigen persönlichen Worten beginne, so hat das damit zu tun, dass ich hier kaum stehen kann, ohne ein Bild vor Augen zu haben, das mehr als dreißig Jahre zurückliegt.
Es muss Mitte der 1980er Jahre gewesen sein. Ich war noch keine zwanzig, Lehrling im Stuttgarter Kunsthaus Schaller, wo ich Praxiserfahrung sammeln wollte vor einem möglichen Studium, als ich Platino zum ersten Mal begegnet bin.
Zu dem eher traditionell ausgerichteten Kunsthaus, das eine Institution in Stuttgart war, aber heute leider nicht mehr existiert, gehörte eine Rahmenwerkstatt, deren Leiter, Manfred Ulmer, einen Gegenpol zum Geschäft der offiziellen Galerie setzte, indem er zeitgenössische Musiker oder Konzeptkünstler zu Konzerten, Ausstellungen oder Gesprächen einlud.
Für uns Junge im Team war das aufregend, interessant, pulsierend neu. Ich hatte keine Ahnung von zeitgenössischer Kunst, spürte aber, dass da etwas war, das mich faszinierte.

An einem dieser Abende in der Werkstatt war Platino zu Gast. Ein hagerer Typ mit markantem Gesicht und prägnantem Blick, ganz in Rot gekleidet, etwa Mitte Dreißig. Er wirkte im ersten Moment distanziert und ernst, präsentierte aber durchaus eloquent mithilfe von Dias sein Projekt „Red Space I“ – dieses experimentelle Raumprojekt, bei dem der ganze Raum und jedes Objekt ganz und gar rot waren.

Extern 130. (Red Space 2, 1988) | © Platino

Ich sehe die Situation noch vor mir – dieser ebenfalls in Rot gekleidete Mann, dessen Ausstrahlung allein den Raum füllen konnte, die rot-roten Aufnahmen aus seinem Atelier, das zugleich sein Wohnraum war, und ich erinnere mich, dass ich nicht wirklich verstand, was er da machte, aber eine Ahnung bekam davon, was es bedeutet, wenn Kunst und Leben eins werden. Wenn die Schule der Wahrnehmung durch Kunst alles verändert. Dass ich spürte, was Konsequenz, Haltung, Mut in der Kunst heißt, und was es meint, wenn jemand einen – seinen – Weg gehen muss, auch wenn es schwierig ist, weil es für ihn gar keine Alternative dazu gibt.

Ich hatte noch nie jemanden getroffen, der so überzeugt, scheinbar ohne jede Angst, jenseits von Konventionen lebte und dachte und der so präzise und klar darüber sprechen konnte. Erfolgreich oder nicht – das waren keine Kategorien, die irgendetwas bedeuteten, außer: Leben in dem Augenblick, in dem Raum, Zeit, Farbe, Licht als ein gemeinsamer Klang entstehen.

Meine Damen und Herren, Sie werden in der Ausstellung hier in Bernau nachher sehen, was ich meine. Auch der Ausstellungsraum hat sich in diesem Sinn verwandelt.

Ich habe an diesem einen Abend in der Schaller-Werkstatt viel gelernt, das mich bis heute begleitet. Dazu kamen später weitere besondere Begegnungen mit Platinos Arbeit. In all diesen Begegnungen wiederholte sich in gewisser Weise dieser erste Moment: Schulung in Präzision. Bis heute hat Platino dieses klare Konzept, das er in der Frühzeit für sich gefunden hat, weiterentwickelt.

Dass ich Platino heute hier in Bernau stellvertretend für das Land Baden-Württemberg mit dem Hans-Thoma-Preis ehren darf, ist eine Ehre für mich. Und eine ganz besondere Freude. Denn, meine Damen und Herren, es zeigt auch, dass manchmal eine Begegnung mit der Kunst uns als Betrachter auf ganz neue Wege führen kann, selbst wenn man nicht sofort alles versteht, sondern nur spürt, dass im Werk etwas passiert, das einen berührt.

Und es zeigt, dass Haltung, Klarheit, Konsequenz in der künstlerischen Arbeit erfolgreich sind. Ich komme später noch einmal darauf zurück.

Meine Damen und Herren, ich habe es bereits gesagt: Der Preis, den wir hier verleihen, gehört zu den wichtigsten und traditionsreichsten Auszeichnungen für bildende Kunst, die unser Land zu vergeben hat.

Seit 1949 werden mit ihm zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler aus dem Land geehrt, die ein Werk von herausragender Bedeutung geschaffen haben, ein Werk, mit dem die Kunstgeschichte unseres Landes weitergeschrieben wird. Es gibt nicht viele Künstler, die dieses Format haben. Platino ist einer von ihnen.

„à travers l’autre / durch einander“ | Hans-Thoma-Preis Ausstellung 2017 | © Platino

Ein Künstler, der ganz neue Kunstformen entwickelt hat – Iris Dressler wird später ausführlich darauf eingehen – ein Künstler, der mit seinen „Spaces“, seinen Externs und seinen Raumgefügen unseren Blick auf Malerei, Skulptur und Fotografie entscheidend geweitet hat.

Platinos konsequenter Ansatz, sein umfassender Anspruch an die Kunst und an den Kunstbetrachter, haben ihm internationale Anerkennung verschafft: Ausstellungen in vielen Ländern, Aufträge im öffentlichen Raum, Stipendien, Auszeichnungen; und nun den Hans Thoma -Preis für sein Lebenswerk.

Hans Thoma und Platino – man muss zugeben: aus kunstwissenschaftlicher Sicht liegt es nicht gerade nahe, diese beiden Künstler in einem Atemzug zu nennen; zu weit sind die beiden voneinander entfernt, zeitlich und vor allem hinsichtlich ihres Kunstverständnisses: Hans Thoma, laut Meyers Konversationslexikon von 1909 einer der „Lieblingsmaler des Deutschen Volkes“ , setzte in seiner Kunst das Traumbild, die Idee deutscher Landschafts- und Weltempfindung ins Werk. Man könnte sagen: Kunst als Affirmation.
Platino hingegen geht es in seiner Kunst um das Gegenteil, um ein „Aufreißen des Erfahrungshorizontes“, wie er es einmal ausgedrückt hat: es geht ihm nicht um das Ideal einer Wirklichkeit, er will „im Rückgriff auf die Kunst“ dieser Wirklichkeit widerstehen, „etwas anderes suchen und machen“ . Kunst als Subversion.
So eine „den Erfahrungshorizont aufreißende“ Kunst ist für die Betrachter anstrengender als die Landschaften Thomas, für manchen gar eine Zumutung, doch genau diese Zumutung, dieser Mut, diese Ermutigung zu Veränderung, ist es, was eine starke zeitgenössische Position ausmacht, was sie preiswürdig werden lässt. Zugleich zeigt die aktuelle Ausstellung von Platino, dass dieser Prozess auch in einer sehr offenen, ästhetischen, für den Betrachter zugänglichen Form passieren kann.

Platino im Museum Ritter: © Foto: Platino / Museum Ritter

Man kann also fragen: Gibt es auch irgendetwas, was Platino und Thoma verbindet?

Als Hans Thoma einmal gefragt wurde: „Worauf wollen Sie mit ihrer Kunst hinaus?“ antwortete er:
„Ei, ich will gar nirgends hinaus – ich sorge nur, dass ich bei mir selber bleibe.“
Er gab diese Antwort vor mehr als 100 Jahren.
Sie zeugt von einer Haltung, die bis heute, ganz besonders in der Gegenwartskunst gute Künstlerinnen und Künstler auszeichnet: bei sich selber bleiben, also authentisch bleiben, ungeachtet von Moden und Trends. Eben diese Eigenschaft zeichnet in ganz besonderem Maße Platino aus.

Und so kommen Platino und Thoma, so unterschiedlich, geradezu gegensätzlich sie in ihrer Kunst auch sein mögen, in einem zentralen Punkt überein: in ihrer klaren und authentischen künstlerischen Haltung. Vor diesem Hintergrund passt der Hans-Thoma Preis sehr gut zu Platino.

Die Wahl des Preisträgers hat auch in diesem Jahr eine Fachjury getroffen, die besetzt war mit:
Iris Dressler, Direktorin des Württembergischen Kunstvereins in Stuttgart – sie wird anschließend die Laudatio auf Platino halten –,
Dr. Nicole Fritz, seit wenigen Tagen designierte neue Leiterin der Kunsthalle Tübingen und bisher Leiterin des Kunstmuseums Ravensburg,
Werner Meyer, Direktor der Kunsthalle Göppingen,
Johann Holten, Direktor der Kunsthalle Baden-Baden,
und Sie, lieber Herr Bürgermeister Schmidt.

Staatssekretärin Petra Olschowski; © Foto: Heike Schiller

Sie alle brachten sich mit ihrer Erfahrung und ihrem Wissen in diesen Entscheidungsprozess ein, und ich möchte mich an dieser Stelle ganz besonders dafür bedanken.

Denn es geht dabei ja um mehr, als um ein schönes Fest, wie wir es heute feiern. Ein Preis wie dieser ist mehr als ein Event. Er ist auch nicht nur Dekoration für einen Künstler und noch weniger Dekoration für ein Land.
Kunstpreise sind wichtige Instrumente, kulturpolitisch Verantwortung zu übernehmen, in der Kunstwelt des Landes Akzente zu setzen, d.h. die kulturelle Gegenwart mitzugestalten, weiterzubringen und möglicherweise auch Kulturgeschichte dieses Landes weiter zu schreiben. Und diese Verantwortung fußt auf Umsicht, Weitsicht und Wissen einer Fachjury.

Ich freue mich sehr, dass wir den Hans-Thoma-Preis heute hier in Bernau mit Ihnen allen zusammen feiern können und ich danke allen, die daran mitgewirkt haben – sei es im Zusammenhang mit dieser wunderbaren Feier, der Ausstellung oder dem Katalog. Sehr viele Ehrenamtliche waren und sind daran beteiligt. Für deren großes Engagement danke ich besonders.

Staatssekretärin Petra Olschowski am 13.08.2017 in Bernau/Schwarzwald