„Ich könnte meine Musik mit weißem Licht vergleichen,
in dem alle Farben enthalten sind. Nur ein Prisma kann
diese Farben voneinander trennen und sichtbar machen;
dieses Prisma könnte der Geist des Zuhörers sein.“
Arvo Pärt. (CD- Begleitheft zu „Alina“).
Der Komponist verweist selbst auf die Malerei. Wer würde nicht bei diesem Zitat an Lothar Quintes monochrome (weiße?) Bilder denken. Gert Reising hat diese einmal als „Bildmembran“ bezeichnet – auch ein Bezug zur Musik, zum Klang. Doch scheint Isabel Zubers Arbeit mit monochromer Malerei nicht viel tun zu haben:
Isabel Zuber zeichnet, doch wenn wir eine ihrer Ausstellungen besuchten, die unter dem Titel „Zeichnungen“ angekündigt ist, wären wir überrascht:
„Seit Ende der achtziger Jahre praktiziert Zuber die zeichnerische Geste im großen Format. Ob auf riesige Papierbahnen oder direkt und unvermittelt auf die Putzfläche der Wand: das Ziel Zubers ist immer eine plausible zeichnerische Geste, mit der sie sich den jeweiligen Raum aneignet. Das Maß ihrer künstlerischen Intervention leitet sich ab aus einer raumgreifenden Dynamik, die Hand und Körper, Raum und Wahrnehmung gleichermaßen erfaßt.“
(Martin Engler in seinem Beitrag „Linien zwischen Raum und Körper“; in Isabel Zubers Katalog zur Ausstellung „Zeichnung heute III“; Kunstmuseum Bonn 2001).
Engler beschreibt in seinem insgesamt sehr erhellenden Beitrag den Zusammenhang aus künstlerischer Zielsetzung und der spezifischen Arbeitsweise von Isabel Zuber. Ich möchte aber versuchen, von meiner eigenen Wahrnehmung her einen Bezug zu finden.
Auch Martin Engler betitelt ein Kapitel seines Aufsatzes mit „Symphonie der Striche“, womit wir wieder bei der Musik sind; bei Arvo Pärt.
Adrian Florea, ein Künstler, der aufmerksamen kunstportal-bw-LeserInnen längst bekannt ist, hatte mein Ohrenmerk auf diese Musik gelenkt, indem er mir eine CD mitgebracht hatte – für mich eine wahre Offenbarung.
Auch insofern war dies völlig analog zur Ausstellung von Isabel Zuber im Haus der Kunststiftung Ba-Wü von Oktober bis November 1999. Die Bilder habe ich noch gut vor Augen. Auch hier war und blieb die Assoziation zur Musik sehr stark, ja zwingend: Die Strukturen und sich scheinbar immer wiederholenden Muster und Bewegungen erinnerten mich an die Minimal Music im Allgemeinen und an Steve Reich im Besonderen. Die Bewegung tritt in den Vordergrund, wird als Kern erkennbar, wird selbst zum Thema. Arvo Pärts Musik erlebe ich selbst ganz ähnlich und als noch konzentrierter.
Die Reduktion erzeugt, dank des langen und anstrengenden Prozesses des Weglassens von allem, was nicht wichtig ist (unter bestimmten, wünschenswerten wie seltenen Umständen können wir diesen Prozeß „Leben“ nennen) eine unglaubliche Klarheit.
Das Thema ist die Bewegung und wird gleichzeitig selbst bewegt, in Variationen, die der Wiederholung näher scheinen als der Weiterentwicklung. Dies beschreibt vielleicht auch die Arbeit von Isabel Zuber: eher ein meditatives Insichgehen, ein Zu-Sich-Kommen, sehr hohe Konzentration, darin: Freiheit. Während „Weiterentwicklung“ an eine Bewegung nach außen denken läßt, geht es hier um eine Bewegung nach innen.
Bewegung, Ruhe, Geschwindigkeit – Assoziationen, mit denen mich Isabel Zubers Arbeiten faszinieren. Das Ziel der Kunst von Isabel Zuber ist das Zentrum der Bewegung: „Hier endet die Reise nie“ kommentierte die Künstlerin einmal ihre Arbeit.
„Ganz schön eitel“, dachte ich. Stimmt aber nicht. Denn natürlich endet die Reise nie, der Ausgangspunkt ist das Ziel, so wie der Tod nicht Gegensatz des Lebens ist, sondern dessen Wesen. Dialektisch untrennbar verbunden.
Das Leben, als Bewegung, findet im Stillstand zu sich zurück. So wird der zentrale Aspekt sichtbar, den Isabel Zuber durch ihre Arbeitsweise sicher nicht zufällig ins Spiel bringt: die Zeit.
Isabel Zubers Räume entstehen; beispielsweise im Kunstmuseum Bonn, in vierzehn Tagen vom Arbeitsbeginn bis zum Tag der Eröffnung.
Für den Betrachter entsteht eine begehbare Zeichnung, deren Teil er wird, sobald er den Raum betritt. Der materielle Charakter des Kunstobjekts wird aufgehoben durch dieselbe Bewegung. „Bewegung“ ist hier gleichzeitig eine physikalische wie dialektische: das Betreten des Raumes ist die Aufhebung des Kunstwerks als materielles Äußeres.
Von daher wird deutlich, daß es Isabel Zuber nicht um gerahmte Bilder geht, die man mitnehmen und irgendwo aufhängen kann. Dennoch ist notwendig, auch ausstellen zu können in Galerien, deren Wände nicht zur Bearbeitung verfügbar sind. Mit einer genialen (also auch einfachen) Lösung verbindet Isabel Zuber diese pragmatische Notwendigkeit und ihren hohen Anspruch:
Als ich sie in ihrem Freiburger Atelier besuche, hat sie gerade drei Arbeiten an der Wand befestigt, die tags darauf zu einer Ausstellung in Basel transportiert werden sollen:
wieder geht es um Linien, die mit einem Druckbleistift und einfachen Graphitminen (im konkreten Fall) aufgetragen wurden auf Polyesterfolien. Diese waren beim Zeichnen an der Wand befestigt, so daß die Strukturen der Wandoberfläche sich nun deutlich abzeichnen auf der Folie. Zufällig (?) erinnern mich die dickeren Linien an Notenlinien.
Die glatte, wachsähnlich erscheinende Oberfläche ist fester als Papier und gleichzeitig auch sensibler, verletzbarer – erinnert sie an den Prozeß ihrer Bearbeitung.
Die Veränderbarkeit des Materials ist eine Qualität, die es möglich macht, den Entstehungsraum der Zeichnung untrennbar zu verbinden mit dem Kunstobjekt, das seine Objekthaftigkeit verliert, um auf den Prozeß zu verweisen:. Wieder einmal gelingt es alleine der Kunst, eine dialektische Wahrheit sichtbar zu machen:
was theoretisch bereits klar erschien, wird sinnlich wahrnehmbar:
die Entstehung ist im Ergebnis enthalten, aufgehoben.
Die Bewegung im Stillstand, der ohne Bewegung nicht sein kann.
Mit meinen Worten bin ich am Ende; doch lassen wir die Bilder selbst klingen. Was ich bei Arvo Pärts Musik feststellen konnte, erscheint mir noch deutlicher bei der Kunst Isabel Zubers:
im Nachhall liegt die eigentliche Berührung.
Hier und jetzt wird
Zeit sichtbar
Jürgen Linde, 2002