Wo der Tod ist, ist Licht – über Harding Meyer

Aktuelle Projekte und Ausstellungen von Harding Meyer

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Video zur Arbeit von Harding Meyer

Wo der Tod ist, ist Licht
Harding Meyer lebt in der Nähe von Karlsruhe, seine Arbeiten aber entdeckt man eher bei der Art Cologne, der Art Brussels oder direkt bei der Galerie Voss in Düsseldorf, die ihn vertritt. Unten im Bild: Harding Meyer vor einer aktuellen Arbeit aus der Serie der „in-direct“- Bilder, die heute parallel entstehen zu den Porträts oder „Köpfen“, für die er bekannt ist.

Irak, 2005 (Bild „negativ“) | © Harding Meyer, VG Bildkunst Bonn 2020

Gut weiss ich noch, wie – fast erschreckend – präsent diese Gesichter waren, als ich Hardings Ausstellung im Badischen Kunstverein im Jahr 2000 besucht habe.
Harding hatte den Werner-Stober Preis gewonnen und im Badischen Kunstverein gab es dazu eine Ausstellung, unten im Gewölbekeller (siehe Folgeseite)

Undurchschaubar, wie hinter einer Wachsschicht, wirkten die überlebensgroßen Porträts im Kunstverein und doch immer irgendwie bekannt, vertraut im Ausdruck.

Ausstellungsansicht im Badischen Kunstverein, 2000
© Harding Meyer, VG Bildkunst Bonn 2020

Carmela Thiele (im Katalog zum Stober-Preis, S. 7) bringt auf den Punkt, warum die Bilder so “aktuell“ wirken; sie beschreibt den gezeigten Zustand als: “Identitätsverlust bei vollem Bewußtsein“.

Eine gewisse Unschärfe der Bilder rührt daher, daß Harding Meyer seine Motive aus Printmedien, Internet und auch aus dem Fernsehen bezieht. Vom Fernsehschirm abfotografiert mit der Videokamera entstehen Meyers Porträts als Querformate. Das Horizontale unterstreicht das Serielle der Arbeiten.

Unser Sehen in der Mediengesellschaft ist für mich das Thema Harding Meyers. Immer wieder wird Harding in Beziehung gesetzt zu Gerhard Richter, nicht aber weil Meyer sich abarbeite an diesem großen Künstler, sondern weil im konzeptuellen Ansatz Parallelen liegen: der systematische Medienbruch spielt ja bei Richter immer wieder eine große Rolle.

Ohne Titel, 2004 | ÖL auf Nessel, 70 x 85 cm
© Harding Meyer, VG Bildkunst Bonn 2020

Vielleicht hat Harding den radikalsten (gleichwohl alltäglichsten) Medienbruch lokalisiert:
Das Fernsehbild: analoge Medien (Licht, Schall) werden von Kamera/Mikrofon erfasst, digitalisiert, gespeichert und dann – in Form einzelner bits, als Strom – weitergeleitet über Kabel und Satellit und wieder analogisiert über Bildschirm und Lautsprecher. Ein ungeheure Verfremdung, die wir kaum bemerken.
Harding Meyer geht weiter: er macht von diesem analogisierten Strom ein digitales Foto und nimmt dieses zum Ausgangspunkt eines Gemäldes.

So empfand und so empfinde ich Harding Meyers Portraitarbeiten: als radikale Kritik an unserem Sehen, an der Mediengesellschaft, als Frage auch nach der Authentizität des eigenen Lebens in unserer digitalen Welt. Eminent politisch ist diese Kunst.

Immigrants, 2005 | Öl auf Leinwand, 260 x 170 cm
© Harding Meyer, VG Bildkunst Bonn 2020

Dies wollte ich sichtbar machen und glaubte mich vor einer sehr schwierigen Aufgabe. Harding Meyer kommt mir entgegen: seit etwa drei Jahren arbeitet er an einer neuen Serie unter dem Titel in-direct-Malerei.

In diesem ganz eigenständigen neuen Arbeitsfeld gelangt Meyer über den Bereich der Medienkunst und der Rauminstallationen zurück zur Malerei.

Skizze zu „in-direct“ | © Harding Meyer, VG Bildkunst Bonn 2020

„Harding Meyer hat die „in-direct“ –Serie begonnen, indem er eine Nachtszene in einer israelischen Stadt nach einer Hamas-Attacke mit der Negativ-Funktion der Videokamera vom Fernsehen abfilmte. Der Apparat gab ihm dann auch volle Kontrolle, als er das eingefangene Negativbild auf die Leinwand übertrug: Während er die Negativ-Farben malte, nahm er diese mit der Negativ-ildfunktion der Kamera auf und konnte sie so positiv sehen, sie richtig „lesen“, schreibt Gerhard Charles Rump in einem erhellenden und empfehlenswerten Beitrag auf Harding Meyers Website, wo weitere in-direct -Arbeiten zu finden sind: „Negationen der Positivität“.

Rump (s.o.) schreibt hierzu: “das Aufregende bei Harding Meyer ist, dass er das gemalte Bild zu einer räumlichen Installation erweitert, indem er es mit einer Video-Projektion verbindet und den Betrachter zu einem integralen Teil der ganzen Angelegenheit erhebt. In der Tat würde das ganze ohne den Betrachter nicht funktionieren.“

Ohne Titel, 2000 | Öl auf Nessel, 170 x 220 cm
© Harding Meyer, VG Bildkunst Bonn 2020

In dieser besonderen Vorgehensweise gelangt Harding Meyer über die Rauminstallation hinaus und entwickelt seine Malerei weiter: in der in-direct Malerei kann er endlich politische Themen behandeln, ohne irgendwelche (flachen) Botschaften zu transportieren, wie er selbst formuliert, “ohne plakativ zu werden“.

Zerstörung, Vertreibung und Krieg sind die Themen, die er wieder anhand von Bildmaterial aus den Medien behandelt: die technich eher schlechte Qualität der Bilder, die er im Internet findet, kommt seiner Technik ironischerweise genau entgegen.

Irak, 2005 (Bild „negativ“) | © Harding Meyer, VG Bildkunst Bonn 2020

Ein dialektisches Phänomen: war es bisher allein dem Betrachter überlassen, zu sehen, was nicht zu sehen ist, so wird nun beides gleichzeitig sichtbar. Im Negativ des Bildes eines toten Soldaten etwa sehen wir etwas, das wir geahnt, aber noch nie gesehen haben:

„wo der Tod ist, ist Licht.“
(Harding Meyer, das Bild „Irak“ erläuternd)

Jürgen Linde, im Juni 2005