That river’s flowin – über Ursula Schroer

Ursula Schroer im Internet:

E-Mail: urs.schroer@web.de
Website: www.uschroer.com

Die freischaffende Künstlerin Ursula Schroer lebt und arbeitet in Karlsruhe. Seit 1995 präsentiert sie ihre Kunst in zahlreichen regionalen und überregioinalen Ausstellungen.

Mehr noch als bisher entwickelt Ursula Schroer ihre Arbeiten weiter RichtungSkulptur/Bildobjekte:Der Materialflut und der Verwertungskette entnommene Formteile unserer Konsumwelt werden herausgenommen und arrangiert. Surrogationen, die schon vielfach verwandelt sind, werden durch die Bild-Objektwerdung konserviert, in eine Art fortentwickelter Readymades.Leere Hüllen treffen förmlich ins Schwarze.

Ursula Schroer: Maus, 2013
© Ursula Schroer, VG Bildkunst Bonn 2020

Die Künstlerin selbst erläutert dies so: “Das Werk ist Variation; es bedeutet Wiederholung und Konstanz – Wiederholung im Bereich Bildgestaltung – Motive bis zum Zeichen, die Technik hat eher materialhaften Charakter. Monochromien isolieren den Gegenstand. Die Leere korrespondiert mit der Nichtfarbe Weiß, vor der die Konturen an Schärfe gewinnen.“

Ursula Schroers Bilder evozieren lyrische Assoziationen – für mich gleich in doppelter Hinsicht: Nicht allein lyrische Bilder fallen mir ein – auch an lyrischen Jazz erinnert mich die Gestik des Pinsels. Die ungezügelte Struktur trifft auf konstruktive elementare Formen.
“Das Austarieren von Zufall und Kalkulation bestimmt die Bildkomposition.“ schrieb mir Ursula Schroer. Über den Zufall kommt auch die Natur ins Spiel, wobei völlig offen bleibt, ob, wann und in welchem Maße dies der Fall ist. Ursula Schoer entwickelt Papierarbeiten, die sich fast organisch aus der Zweidimensionlität heraus ergeben; die Künstlerin spricht von „wuchern“. Stille und subtile Einfachheit verbinden beide Welten, sichtbar wird die Liebe für das Natürliche und Unprätenziöse.


Ursula Schroer: bandlos, 2006; Acryl/BW 111 cm x 161 cm
© Ursula Schroer, VG Bildkunst Bonn 2020

Lyrische Bilder, lyrischer Jazz, Musik und Klangfarben, eine Thematik, die uns immer wieder beschäftigt. Etwa bei dem Bassisten Eberhard Weber finde ich auch Titel, die explizit zeigen, wie eng diese Verbindungen sind: eines seiner Alben hat den Titel „Colours of Chloe“; gemeinsam mit dem Gitarristen Pat Matheney hat er ein Album eingespielt namens “Watercolors“…
Diese Verbindungen zeigen Spannungen, die hör- und sichtbar werden.

Eine permanent spürbare, untergründige Rhythmik macht das Werk sehr lebendig und fesselt den Blick. Eine ganz aus der Tiefe kommende große Kraft scheint da am Werk zu sein und hervorbrechen zu wollen, sicht- und fühlbar an der Oberfläche, die dies – scheinbar – verschleiert und verdeckt.

Ursula Schroer: 8 Bögen 2009; Acryl/Bw 146 x 174 cm
© Ursula Schroer, VG Bildkunst Bonn 2020

Möglich, dass wir diese Gewalt, die wirt in reiner Form gar nicht sehen können, wohl gar nicht aushalten würden – es ist die Oberfläche, deren Struktur tatsächlich erst sichtbar oder erahnbar macht, was darunter verborgen ist. Das Sehen braucht natürlich den Willen, zu entdecken und auch ein wenig Übung: sich Öffnen, die vielen Schichten im Bild einzeln und in ihrem Zusammenwirken wahrnehmen. Dies gelingt, weil sich Beziehungen finden zu den vielen Schichten und Shpären des eigenen Ichs und des eigenen (Er)Lebens.

Unter den Schichten verborgen und eben durch diese Strukturen erst sichtbar werdend ist Lebendigkeit. Was als Wort sehr abstrakt klingt, wird hier erst – eben durch die Kunst zum inhaltlichen Begriff. In der Welt der Sprache bedarf es der Lyrik, um diesem Wort Ausdruck zu verleihen, genauso können es Malerei und Musik zum Leben erwecken.

Und hier kommt ein weiterer Aspekt in Sichtweite: in unserer modernen, unter anderem durch Reizüberflutung charakterisierten Welt brauchen wir die Kunst, um derartiges zu erleben.

Linienannäherung, 2009; Papier 35 x 55 x 2 cm
© Ursula Schroer, VG Bildkunst Bonn 2020

In der asiatischen Philosophie etwa eines Lao-Tse und im Buddhismus insgesamt geht es immer wieder um die Möglichkeit, durch Bescheidenheit, genauer und richtiger: durch Demut, den Blick in die Natur, das Sehen selbst so zu intensivieren, das Bewusstsein so zu schärfen, dass alleine das Betrachten in diesem Sinne zu solchem Erlebnis, zur Erkenntnis führt. Auf gut lesbare Weise zeigt uns Hermann Hesse im “Siddhartha“ diese Möglichkeit. Hier sind wir dann bei der Verbindung zwischen Kunst und (Natur-)Religion.

Auch das motiviert diese Kunst: So wie Siddhartha sich als Teil der Welt erlebt, weil er diese Welt als seinesgleichen empfindet und erkennt, so lenkt auch Ursula Schroer unseren – inneren und äußeren – Blick auf Dinge, die wir im Alltag übersehen und oft als wertlos betrachten. Diese einfachen Dinge wahrzunehmen und deren Würde zu begreifen, ist eine Aufgabe des Sehens. Sehen wird hier zu einem Prozess auch der Kontemplation.

Bei aller lyrischen Wahrnehmung dieser Arbeiten erscheint auch mir die Natur nicht im Mittelpunkt zu stehen, nicht die äußere Natur jedenfalls – im Sinne etwa von Landschaft. Es scheint mir vielmehr um den Menschen zu gehen, dessen Vielschichtigkeiten und Widersprüche und um die Wirrungen der einzelnen Existenz.

Ursula Schroer: echtweiss, 2009; Acryl/BW 117 cm x 161 cm
© Ursula Schroer, VG Bildkunst Bonn 2020

Wenn virtueller Bildraum erscheint, dann wird er sparsam eingesetzt oder sofort wieder aufgelöst in unbestimmbarer Leere – außerhalb von Ort und Zeit.

So erlebe ich die Malerei Ursula Schroers immer wieder als Spurensuche; eine Suche, die hier einen interaktiven Faktor beinhaltet: bewusst oder unbewusst sucht die Künstlerin selbst durch ihre malerische Arbeit nach Spuren des Lebendigen. Diese werden sichtbar durch sich überschneidende verschiedene Schichten und einander durchdringende Sphären. So bleibt dem Betrachter die anspruchsvolle Aufgabe, in diesem hochkomplexen Ineinanderwirken und gegenseitigem Verdecken selbst erneut die Spuren zu suchen. Die Vernetzung mit anderen Schichten erschließt dabei ganz neue Aspekte der Verbindung zwischen lebendiger und dinglicher – Ursula Schroer sagt: „gestalteter“ Welt. Eben dieser Gegensatz löst sich auf, wird irrelevant. Ganz im Sinne von Hesses Siddhartha können wir dank der Kunst die Welt anders erleben:

Es gibt keine Zeit, keine Entwicklung; anstelle dieser unserer westlichen Sicht tritt eine ganzheitliche Wahrnehmung der Welt: als ewigem Strom. Vor kurzem erst habe ich zufällig einen alten schönen Titel von Peter Gabriel wieder gehört; „Don’t give up.“ (Am besten die Aufnahme mit Kate Bush erleben) Eine Strophe weiss ich noch auswendig; hier wandelt sich Verzweiflung zur Zuversicht:

gotta stand on that bridge
keep my eyes down below
whatever may come
whatever may go

that river’s flowin
Jürgen Linde im April 2010