Kunst ist gefährlich – über Andreas Lau

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Dazu das aktuelle Interview: Acht Fragen an Andreas Lau
27.06.-26.07.2020: Andreas Lau beim Kunstverein Rastatt: HAM (Space Monkey)

Kunst ist gefährlich – über Andreas Lau
Bei einem Atelierbesuch hatte ich vor kurzem endlich Gelegenheit, die Arbeit von Andreas Lau genauer kennen zu lernen. Und freue mich, einmal mehr praktisch aufzeigen zu können, wie eng doch Philosophie und Kunst zusammenhängen.

Andreas Lau vor einer seiner Arbeiten; Foto: privat

Andreas Lau vor einer seiner Arbeiten

Nun sehe ich Andreas Lau so wenig wie er sich selbst, als philosophischen Denker. Dennoch wirft er durch seine künstlerische Praxis Fragen auf, die in der Tradition eines Immanuel Kant stehen. “Was kann ich wissen?“ ist eine der großen Grundfragen der Philosophie; “Was sehe ich wirklich“ ist die konkret künstlerische Thematik, mit der Lau uns auf oft verblüffende, nirgendwo aber zu spielerische Art konfrontiert.

Lassen wir einen anderen Künstler, einen Zeitgenossen Kants, zu Wort kommen; Heinrich Heine:

„Die Philosophen vor Kant haben zwar über den Ursprung unserer Erkenntnisse nachgedacht und sind in zwei verschiedene Wege geraten, je nachdem sie Ideen a priori oder Ideen a posteriori annahmen; über das Erkenntnisvermögen selber, über den Umfang unseres Erkenntnisvermögens, oder über die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens ist weniger nachgedacht worden. Dieses ward nun die Aufgabe von Kant, er unterwarf unser Erkenntnisvermögen einer schonungslosen Untersuchung, er sondierte die ganze Tiefe dieses Vermögens und konstatierte alle seine Grenzen. Da fand er nun freilich, dass wir gar nichts wissen können von sehr vielen Dingen, mit denen wir früher in vertrautester Bekanntschaft zu stehen vermeinten. Das war sehr verdrießlich. Aber es war doch immer nützlich zu wissen, von welchen Dingen wir nichts wissen können“
(Heinrich Heine: „Warum Kant gefährlich ist“ aus Heinrich Heine: „Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“, 1797, Seite 37; zitiert nach DB Org, digitale Bibliothek [www.DigBib.org]).

Andreas Lau: N.N.(Quadrat)“4, 2004 | Eitempera/ Nessel 150 cm x 150 cm | © Andreas Lau, VG Bildkunst Bonn 2020

Versuchen wir, was schwierig ist, dennoch möglichst einfach zu erläutern. Heine bezieht sich aufs Kants Kritik der reinen Vernunft (konkret auf die „Transzendentale Ästhetik“), in welcher er – diese Formulierung ist wichtig und ist nicht zu vereinfachen, aber durchaus zu durchdenken: – die Bedingungen der Möglichkeit unserer Erkenntnis analysiert. Er stößt dabei auf die verblüffende Tatsache, daß wir Menschen die Dinge, die Welt ja immer in Raum und Zeit wahrnehmen, daß diese quasi als „Kategorien a priori“ unserer Wahrnehmung der Welt selbst vorausgehen.

Als eine Art Vorurteil nehmen wir alles nacheinander wahr, behaupten dann in Folge leichten Herzens Zusammenhänge wie Ursache und Wirkung und andere weitreichende Thesen, deren wir uns bei exaktem und kritischem Nachdenken in keinster Weise gewiß sein können.

Andreas Lau: Jedermann 1, 2006 | Eitempera/ Nessel 80 cm x 60 cm | © Andreas Lau, VG Bildkunst Bonn 2020

Das berühmte “Ding an sich“ gibt es laut Kant nicht, nur über das Ding, wie wir es wahrnehmen, können wir Aussagen machen.

Andreas Lau fügt dieser irritierenden Ungewissheit – mit den Mitteln der Malerei – nun noch eine existenzielle oder auch psychologische Vertiefung hinzu:
Können wir uns unseres Selbst, können wir uns unserer Identität sicher sein?
Oder wenigstens unseres Gesichtes als Ausdruck derselben?

In seiner Serie „Anonym“, in der er auf insgesmt Einhundert Bildern Porträts erst zeichnet und danach überarbeitet mit Schichten und Strukturen, die das jeweilige Porträt anonymer aus den Massenmedien recht beliebig gewählter Gesichter bis zur Unkenntlichkeit entfremden. Dekonstruktion.

Anonym25 (100er Serie) 2006 | Eitempera/ Nessel 30 cm x 24 cm
© Andreas Lau, VG Bildkunst Bonn 2020

Die Rekonstruktion und das Nachdenken über ebendiese überläßt er uns BetrachterInnen; dankenswerterweise – eine Sehschule, die durchaus lustvoll ist.

Man muß schon jeweils genau hinschauen, muß den Abstand zum Bild variieren, um jeweils mehr oder weniger oder auch gar nichts, was einem Porträt entspricht, zu erkennen. Lau zwingt uns, genau hinzuschauen und zeigt, dass wir gerne das sehen, dass entdecken, was wir entdecken wollen – das, was wir schon kennen.

Was wirklich da ist – ist es ein Porträt hinter der Struktur oder nur eine Suggestion, der wir unterliegen? Andreas Lau läßt uns zweifeln.

Anonym/Bildstörung 5, 2006 | Eitempera/ Nessel 160 cm x 150 cm
© Andreas Lau, VG Bildkunst Bonn 2020

So ist Kunst auf intelligente Weise politisch: indem sie unsere Wahrnehmung analysiert und thematisiert, in Frage stellt, was uns klar scheint.
Wir warnen daher vor Andreas Lau und wünschen erfrischende Inspiration beim Erleben seiner Kunst, die Spaß macht und dabei Sinne und Geist entschieden fordert.

Während gute Philosophie überalterte, nicht mehr haltbare Strukturen gefährdet, gefährdet – oder entlarvt – die Kunst unsere eigene Wahrnehmung: Klischees und Vorurteile.

Ja:
Kunst ist gefährlich.
Jürgen Linde, im November 2006