Kunst, die Wissen schafft – über Joachim Hirling

nternet: www.hirling.org
E-Mail: hirling@web.de

Joachim Hirling und ich kannten uns längst vom Sehen, als wir im Jahr 2002 bei einer seiner Ausstellungen – im Kunstverein Villa Streccius in Landau – endlich ins Gespräch kommen. Er gibt mir eine Karte, die ich heute noch habe: Die “Konfiguration Ingolstadt” repräsentiert bis heute die für mich faszinierendste Schaffensphase des hochproduktiven Künstlers…

Joachim Hirling | © Foto: Joachim Hirling

– und vielbeschäftigten Mannes: 5 Jahre haben wir gebraucht, um das schon damals angedachte Künstlerporträt endlich anzugehen. Joachim ist eigentlich überall – sei es als Künstler, der bei einer Ausstellung dabei ist oder als Organisator, der für die Ausstellung verantwortlich ist oder gar als wesentlicher Initiator einer Kunstmesse: die Karlsruher UND, die als alternative Messe zur Art Karlsruhe gerade im März 2007 zum zweiten Mal und sehr erfolgreich stattfand, geht stark auf die Initiative von Joachim Hirling zurück.

Hirling ist nicht nur Bildender Künstler, sondern auch ein Meister der Organisation, der Projekte von der Ideenfindung bis zur Realisierung mit Gleichgesinnten stemmt.
Dabei erweist er sich als begabter Moderator, der die – wie etwa bei der UND#2 – die notwendigen vielen Mitwirkenden unter einen Hut bringt; es gelingt ihm, Motor zu sein, ohne anzutreiben, verschiedene Charaktere und Interessen zu integrieren.

Seit 10 Jahren freischaffender Künstler, blickt Hirling schon heute auf ein fast unüberschaubares Werk, doch nach einigen Gesprächen mit Joachim weiß ich, daß die Motive und Vorgehensweisen, die bei „Konfiguration Ingolstadt“ entscheidend waren, sich schon früher und auch noch bis heute in allen Werkgruppen finden.

Konfiguration Ingolstadt, 2001 | © Foto: Joachim Hirling

Für die ”Konfiguration Ingolstadt” hatte Hirling aus 240 Din A4-Blättern, bemalt in Öl und Acryl – eine wunderbare Raumgestaltung geschaffen: die vorwiegend in Grün gehaltenen Bilder drinnen standen in Korrespondenz zur Natur, zu den Bäumen draussen und die Rahmenstruktur der Fenster zur Gruppenstruktur der Hängung.

Während wir uns diese Bilder viel genauer ansehen, hilft ein Blick in die Biografie des Künstlers, die besondere Arbeitsweise und Thematik zu erschliessen: vor seinem Studium an der Kunstakademie Karlsruhe bei Prof. M. Kaminski und einem klassenübergreifendem Jahr bei R. Mucha hatte Hirling eine Ausbildung zum Schriftsetzer absolviert; das gleichzeitge Interesse an der Reprofotografie konnte er nicht im selben Maße vertiefen. Nach dem Kunststudium fogte dann noch für 12 Monate von 1996 bis 1997 das Studium der chinesischen Kalligraphie und Malerei bei Prof. Lee-Yi-Hong in Taiwan. Dies wurde ihm durch ein Kunst-Stipendium des DAAD ermöglicht.

Da in Asien, wie mir die vietnamesische Künstlerin Dao Droste einmal sagte, ”die Philosophie auf der Strasse liegt”, also Teil des normalen Alltags und des Denkens ist, blieb nicht aus, daß Joachim Hirling sich auch verstärkt mit der ostasiatischen Philosophie auseinandersetzte. Ein Thema., das ihm nicht neu war: schon in seinem Meisterschülerkatalog stellte er 1996 auf einer leeren Doppelseite seinen Bildern diesen einen Satz voran:

„Wahrnehmung führt zur Auflösung von Wahrnehmung, keine Wahrnehmung zerfällt in Wahrnehmung.“

Natürlich erinnert diese schöne dialektische Einsicht an den Buddhismus und Taoismus und so wundert nicht, wenn Hirling wenig später ein Buddhismus / Tao-Zitat als Ausstellungstitel wählt:
“Was ist, ist gleichzeitig, was nicht ist; was nicht ist, ist gleichzeitig, was ist.“

Über die genaue Arbeitsweise Hirlings hat der Karlsruher Kunstprofessor Joachim Heusinger von Waldegg für dessen Ausstellung von 1999 mit zwei weiteren Künstlerinnen im Kunstverein Konstanz einen sehr erhellenden Beitrag geschrieben, den der Künstler auf seiner Website publiziert:
www.planet-interkom.de/joachim.hirling/

Wenn Joachim Hirling aus immer wieder übereinander gemalten Schriftzeilen Bilder entwickelt, bei denen eine klare Struktur übergeht in eine ganz anders anmutende Struktur fast schon monochrom wirkender Arbeiten, so ist dies nur eine seiner Vorgehensweisen, mit denen er diese Dialektik anschaulich macht.

Ohne Titel, 1999; Öl auf Nessel, 135 x 135 cm | © Foto: Joachim Hirling

Weitere hierzu inspirierende Eindrücke gewinnt er aus der Welt der Technik oder der Medien, so nennt er etwa Flimmerbilder vom Fernsehen, die ja auch so etwas sind wie eine durcheinander geratene Struktur.

Viel zu knapp ist die Zeit zum Gespräch, als ich Hirling in seinem Atelier besuche – schräg gegenüber der Karlsruher Produzentengalerie Poly, die er inzwischen mitorganisert, hat er im Hinterhaus, der Viktoriastr. 12 eine ehemalige Siebdruckerei mit vielen Räumen zu einem Atelierhaus umfunktioniert. Als der Hauptmieter neben zwei Geschäftsführern der selbstverwalteten Ateliergemeinschaft trägt er hier erneut Veanttwortung für die insgesamt 16 Künstler, die das kreative Umfeld gemeinsam nutzen und mitgestalten.

Ohne Titel, 2000; Öl auf Nessel, 60 x 60 cm | © Foto: Joachim Hirling

Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß sich Joachim Hirling auch von lichttheoretischen Problemen inspirieren läßt. Völlig unklar, woher Joachim die Zeit nahm, sich die Kompetenz anzueignen, die seine Erläuterungen hierzu eindeutig auszeichnen.
Von Goethes Faust bis zu Leonardo da Vinci ließen sich hier Verbindungen ziehen zur Arbeit von Joachim Hirling.
Grenzen zwischen Wissenschaft und Kunst kennt er nicht, beziehungsweise er überwindet sie spielend – streng nach Schiller: „der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“.

Bei meinem Besuch in seinem Atelier zeigt er mir eine weitere Inspirationsquelle: der Blick in die Sonne mit geschlossenen Augen (mit anschliessendem Augenreiben) erzeugt auch Farbeindrücke, in denen strukurierte und nicht strukturierte Eindrücke einander ergänzen, miteinander abwechseln und ineinander übergehen.
”Die Abstraktion kommt aus der Natur” sagt Joachim Hirling lapidar, als wir im Hof vor seinem Atelier in der Sonne sitzen.

Ohne Titel, 2006; Öl, Phosphorl, 20 x 20 cm; Ansicht oben: im beleuchteten Raum
| © Foto: Joachim Hirling

Joachim Hirlings Verbindung von Kunst, Wissenschaft und dem ganzheitlichen Denken der ostasiatischen Philosophie, ohne seine abendländischen Wurzeln zu verlieren, bestätigt mir eine lange gehegte Vermutung: Es ist die

Kunst, die Wissen schafft.
Jürgen Linde, im April 2007