„Da er (der Vater; Anm. der Red.) selbst Widerstand geleistet hat, klärte er mich schon früh über meinen Onkel Franz Z. auf. Mein Vater starb schon 1962.“
1962! Endlich habe ich meinen Ansatzpunkt gefunden. Schon lange wollte ich über Rolf Zimmermann schreiben, habe dies aber vor mir hergeschoben und verstehe erst jetzt die Gründe dafür. 1962 bin ich selbst geboren; es sind meine eigenen Schwierigkeiten mit dem Trauern und auch mit der deutschen Vergangenheit, die mich dies alles aufschieben ließen. Rolf Zimmermann und seine künstlerische Arbeit treffen – sicher nicht nur mich – sehr persönlich.
Das Zitat oben ist aus Rolf Zimmermanns eigenem Textbeitrag zu seinem „Zyklus“, dem wichtigsten Teil seines bisherigen künstlerischen Werks.
Das große Schwerpunktthema Zimmermanns in den letzten Jahren hat zu tun mit dem „dunkelsten Kapitel unserer Geschichte“, wie es der Militärhistoriker Manfred Messerschmidt in seinem Aufsatz :“Der Soldat im Eroberungskrieg im Osten“ zu Zimmermanns Zyklus nennt. Es geht um die deutsche Besatzungsherrschaft im Osten.
Rolf Zimmermann bearbeitet dieses Thema aus einer ihm aufgezwungenen und in höchstem Maße persönlichen Perspektive: Nicht um Rolf Zimmermanns Eltern geht es; Rolfs Vater, 1933 wegen staatsfeindlicher Äußerungen vorübergehend in Haft genommen, desertierte, als er er kurz vor Ende des Krieges eingezogen werden sollte.
Doch dessen jüngerer Bruder Franz, der Onkel also, war als SS-Mitglied an der Ermordung von Juden und Zivilisten in Polen beteiligt. Rolf Zimmermann hat dies in sehr umfangreichen und zeitaufwendigen Recherchen nachgewiesen, nachdem er Ende der Fünfziger Jahre einen Satz Fotografien entdeckt (und 1984 dann in Besutz genommen) hatte, die sein Onkel offenbar als Andenken an seine Dienstzeit bei der SS aufgehoben hatte.
Diese Fotografien bilden dann die Basis für Rolf Zimmermanns „Zyklus“, eine Reihe von 10 Gemälden, die Trauer, Erschrecken und Verzweiflung enthalten und die doch nach meinem eigenen Empfinden sehr analytisch sind, fast dokumentarisch wirken. Der Katalog, der zum Zyklus erschienen ist, zeigt neben den Gemälden und Zeichnungen auch die Fotos, auf denen erstere basieren.
Rolf Zimmermann fertigte zunächst (1989-90) Zeichnungen nach den Fotografien und danach,von März 1990 bis Februar 1992, entstanden die 10 Gemälde nach den Zeichnungen. Zimmermanns Bilder sind für mich deutlicher als die Fotos: die Maskenhaftigkeit der Täter und die Verletztheit der Opfer sind herausgearbeitet. Zimmermann selbst spricht von „objektiver Realität“; dennoch wirken auch die Gemälde trotz aller Verfremdung noch wie historische Dokumente, unsentimental und sachlich. Aber sie erzwingen eine eigene Stellungnahme. Rolf Zimmermann macht es uns nicht leicht.
„Die Peitsche“, 50 x 65 cm
Im einleitenden Beitrag zum Zyklus-Katalog schreibt Peter Chametzky (bezugnehmend auf Rolf Zimmermanns Entdecken der Fotos):
„Bei der Erforschung seiner oftmals lähmenden Depressionen kam er auf den Gedanken, daß diese familiär-historischen Dokumente sein psychisches Leid mitverursacht haben könnten – daß der Bereich des Persönlichen, sogar des Unbewußten politische und historische Dimensionen haben könnte.“
All dies hatte ich gerade erneut nachgelesen, als ich in der Wohnung von Rolf Zimmermann eintreffe. Er führt mich in ein Zimmer, in dem 2 riesige Stapel Bilder, gerade zurück von einer Ausstellung, stehen. Die Rolläden sind unten, um die Bilder vor der heißen Sonne zu schützen.
Zum ersten Mal sehe ich im Original Bilder aus dem Zyklus; ihre Gewaltigkeit und Deutlichkeit gegenüber den Katalog-Reproduktionen ist frappierend. Rolf Zimmermann zeigt mir dann einige der den Bildern zugrundeliegenden Fotos und vieles andere aus seinem „Archiv“, das in nunmehr 15 Jahren Arbeit entstanden ist. Künstlerische Arbeit und historische Forschung sind dabei wohl gleichgewichtig.
Nach diesem Besuchsbeginn bleibt der Zyklus das zentrale Thema, wenn ich auch vorgehabt hatte, noch viel mehr über die frühen und die ganz aktuellen Arbeiten des Künstlers sowie dessen persönlichen Lebensweg zu erfahren/erfragen…
Mit dem zeitlich nachfolgenden Arbeitsschwerpunkt „Asyl“ bleibt Zimmermann einerseits seinem Thema treu: Verfolgung und Vertreibung tauchen als Motive erneut auf sind hier wiederum zentral und die deutsche Vergangenheit ist insofern präsent, als sie unseren Umgang auch mit der Asylthematik stark prägt.
Andererseits fehlt nun der unmittelbar persönlich-familiäre Bezug und auch scheint es nicht um „die Deutschen“ zu gehen, sondern um menschliches Verhalten – Verdrängen und Vereinfachen – nicht in einem allgemeinen, sondern wieder in einem exakt-analytischen Sinn. Die Bild-Reihe „Asylbewerber warten“ zeigt uns mit sensibel-ironischem Humor unsere eigenen Vorurteile, mit denen wir uns das Leben leichter zu machen versuchen.
Rolf Zimmermann
Der Illusion, daß solche „Erleichterung“ möglich sei, ist Rolf Zimmermann nicht erlegen. Er selbst ist heute – einige Jahre nach der malerischen Verarbeitung der Zyklus-Thematik – noch immer sehr ernst, konzentriert darauf bedacht, auch verbal den exakten Ausdruck zu finden. Gleichzeitig aber wirkt er heute lebendiger als ich ihn früher jemals erlebt habe; manchmal ist er fast fröhlich. Rolf hat seine Depressionen weitgehend überwunden, denn er hat, im buchstäblichen Sinne, ihre Ursachen verarbeitet.
In dem Katalog zum „Zyklus“findet sich auch ein sehr guter Beitrag von Dorothea Baer-Bogenschütz, den diese mit einem Zitat von Ingeborg Bachmann beginnt:
„So kann es auch nicht die Aufgabe des Schriftstellers sein, den Schmerz zu leugnen, seine Spuren zu verwischen, über ihn hinwegzutäuschen. Er muß ihn, im Gegenteil, wahrhaben und noch einmal, damit wir sehen können, wahrmachen. Denn wir wollen alle sehend werden.“
Um dann selbst fortzufahren:
„Rolf Zimmermann will genau das: uns alle sehend machen. Anstatt die Spuren des Schmerzes, der vergangen scheint, zu verwischen, betreibt er akribisch Spurensicherung.“
„Ein polnisches Kind“, 130 x 170 cm
Sicherlich ist wahr, daß Rolf Zimmermann uns alle sehend machen will.
Dieses hohe Ziel zu haben verlangt jedoch nicht, auch zu glauben, daß alle sehend werden und noch weniger, daß aus dem Sehen auch Erkennen und Einsicht folgen würde oder müßte.
Rolf Zimmermann ist kein Weltverbesserer in diesem naiven Sinne, er ist politisch, aber kein Politiker.
Als Künstler will er die Menschen sehend machen, aber nicht bekehren.
Natürlich geht es ihm um Moral, es geht ihm um die Menschen, die erreicht werden können, die also sehen wollen, denn die werden kaum mehr verdrängen und vergessen können.
Rolf Zimmermanns Betroffenheit ist Mit-Leiden mit den Opfern, seine Wut gilt der Ignoranz und Dummheit derer, die die Wahrheit leugnen.
Während der Widerstand seines Vaters, mit dem wir begonnen haben, eher politisch war und unter den gegebenen Umständen auch sein mußte, ist der des Sohnes ästhetisch.
– Rolf Zimmermann ist ein Moralist: es geht ihm darum, die Wahrheit nicht zu leugnen, sich selbst nicht zu belügen.
– aber er ist auch Realist: Nachdem der Glaube an „eine bessere Welt mit denselben Menschen“ aufgegeben werden musste, können auch Moralisten nurmehr in einem „negativen“ Sinne Moralisten sein:
Anklagbar ist das Wegsehen und das Verleugnen der Wahrheit. Wir können und wir müssen „das Schlechte“ sehen und benennen und dann – selbstverständlich – auch Widerstand leisten.
– Rolf Zimmermann ist ein Ästhet: er verlangt von sich und von uns Wahrhaftigkeit und Wachheit, er verlangt, bereit zu sein, um gegebenenfalls Widerstand zu leisten.
– Aber in allererster Linie ist Rolf Zimmermann Künstler: dass er Maler werden wollte, „war immer schon klar“ sagt er mir im Gespräch; die gleichzeitige Ausrichtung auf verschiedene Lehrtätigkeiten hatte mehr ökonomisch-praktische Gründe.
Mit seinen aktuellen Arbeiten nun knüpft Rolf Zimmermann einerseits an an frühere Werke, deren besondere Mischung aus Gegenständlichkeit und Un-Gegenständlichkeit von Michael Hübl sehr genau beschrieben wird. („Instrumente der Erkenntnis, Zur Malerei von Rolf Zimmermann“. Michael Hübl im Katalog Rolf Zimmermann – Bilder und Zeichnungen 1986-1987)
Dabei hat sich diese Mischung heute verändert: der Grad an Gegenständlichkeit ist „auf den ersten Blick“ geringer geworden, Farbe und feinste Farbnuancen hingegen haben an Bedeutung gewonnen. Zimmermann zeigt mir eine ganz neue Arbeit: Laub, Blätter, die durcheinander am Boden liegen, hat er fotografiert und in mehrwöchiger Arbeit mit Bleistift gezeichnet. Es ist wunderbar.
Er selbst charakterisiert seine Arbeitsweise mit „großer Genauigkeit“, um bescheiden als bloße Fleißarbeit erscheinen zu lassen, was nur einem großen Zeichner möglich ist.
Gleichwohl sind Genauigkeit und Fleiß in der Beobachtung wie in der Darstellung womöglich Teile des Schlüssels zu einer anderen Ebene der Wahrheit und Sinnhaftigkeit, die Zimmermann sucht. Nach meinem Empfinden können wir schon heute in den feinen Farbnuancen und Strukturen der neueren Arbeiten von Rolf Zimmermann die ersten Erfolge dieser Suche sehen…
Ich zitiere nochmal Dorothea Baer-Bogenschütz:
„Rolf Zimmermann will genau das: uns alle sehend machen.“
Persönlicher Nachtrag:
Wozu Menschen offenbar in der Lage sind, erscheint uns manchmal unvorstellbar, weil es uns unvorstellbar ist. Da wir auch Menschen sind, suchen wir nach Erklärungen, finden aber bestenfalls Rationalisierungen. Es bleiben Trauer – und Angst.
Verbunden mit dem eigenen Schicksal sind diese oft kaum zu überwinden.
Rolf Zimmermann mit einer Arbeit aus dem „Zyklus“
Und doch besteht eine Chance der Befreiung:
Zwar führt es zum Streit in Deutschland, wenn Deutsche deutsche Geschichte zu relativieren versuchen. Doch kann befreiend sein, wenn Menschen die Menschen relativieren:
Diese sind wie sind, dennoch nur ein Teil der Welt, in der wir leben und die die wir erleben, sie sind irgendwann Geschichte und die Welt bleibt.
Rolf Zimmermanns Arbeiten geben uns Zugang zu dieser Welt, zum Erleben, sie machen uns wirklich ein wenig mehr sehend. Und das gilt für seine frühen Arbeiten, ganz besonders für seine neuen Arbeiten und es gilt zweifellos auch auch für die Bilder des Zyklus, die ihn unendlich viel Energie gekostet haben und für die er heute endlich auch die künstlerische Anerkennung findet, die sie verdienen:
Denn das Thema läßt Rolf Zimmermann sowenig los wie er es loszulassen vermag: mit der großen Wehrmachtsausstellung hat die Thematik verstärkt Eingang gefunden in das aktuelle Kunstgeschehen und auch Bilder von Zimmermann sind nun immer wieder zu sehen: zuletzt in der Ausstellung „Schlachten“ im Hamburger Museum der Arbeit zu sehen; weitere Termine auch im Ausland werden folgen.
Aus diese sehr persönlichen Geshichte entsteht Kunst, die uns alle angeht, die betroffen und nachdenklich macht, erkennen wir: Kunst kann
Geschichte sichtbar machen.
Jürgen Linde, 1998