„Wer hören will, muß fühlen“ heißt meine Abwandlung (als Dipl.-Volksmund darf ich das) der vom Volksmund zusammengefaßten pädagogischen Konzeption aus den 50er Jahren.
Barbara Denzler hat mir gezeigt: auch SEHEN will gelernt sein.
„Skulptur Südwest“ hieß die Ausstellung im Herbst 1996 im Badischen Kunstverein. Barbara Denzler hatte sich daran beteiligt mit einer Installation, deren zentrales Teil, eine Skulptur es mir auf Anhieb so angetan hatte, dass ein Foto dieser Arbeit, das auch im kunstportal-bw erschienen war, bis heute in meinem Büro hängt.
Dieses war auch gleich in meinem Blickfeld, als Barbara etwa Mitte Februar hier anruft, weil sie mir einige Bilder vorbeibringen will, die im Internet gezeigt werden sollen, diesmal im Rahmen im einer Ausstellung in der Galerie Brötzinger Art in Pforzheim (März 2000).
Als sie diese dann tatsächlich bringt, habe ich gerade einen ihrer Kollegen zu Gast – Christian Möller lernt gerade das kunstportal kennen, wegen seines Künstlerporträts (inzwischen längst online, logo). Natürlich kennen sich die beiden und machen gleich ein paar Scherze, die ich – in Unkenntnis der Zusammenhänge – nicht verstehe.
Die Fotos, die Barbara mitbringt zeigen, dass sie ihre Arbeit seit 1996 auf vielfältige und interessante Weise weiterentwickelt hat. Zurückhaltend wie immer, nutze ich diese Gelegenheit schamlos aus und lade auch Barbara ein zum Gespräch. Zu selbigen kam sie dann bepackt mit umfangreichem Fotomaterial, verteilt in mehrere Ordner.
Das Material dokumentiert eine überwältigende Fülle an Themen und Arbeitsgebieten: Malerei, Bildobjekte, Bodenobjekte, Installationen, Fotografie: Doppelbelichtungen und Projektionen…Dies war in etwa auch die chronologische Reihenfolge, die nicht streng eingehalten wird, weil Barbara gerne vieles gleichzeitig macht.
Was hier den inneren Zusammenhang herstellt, ist die sytematische Arbeitsweise, die Barbara Denzler selbst beschreibt.
Für dieses Porträt über Barbara habe ich mir den kleinen Teilausschnitt ausgewählt, der mich persönlich am meisten fasziniert,
Mit ihren „Eingriffen“ erobert Barbara Denzler nach meinem Empfinden künstlerisch wirklich Neuland; außerdem machen diese Eingriffe sehr viel Spaß.
Und Spaß hatten wir auch bei Barbaras Besuch. Nachdem wir uns anfangs an Christian Möllers Wahlkampfwerbung erfreuen, verstehen wir uns auch in Sachen Kunst gleich recht gut. Wir sind uns einig, daß Kunst sichtbar machen sollte, nicht nur die Welt, wie sie ist, sondern für Barbara vor allem auch, wie sie sein könnte, zumindest daß sie auch anders sein könnte, daß vieles möglich ist, was (noch?) nicht ist.
Dieses Phänomen, welches in der Philosophie als Kontingenz bezeichnet wird, wird von Menschen verschieden gehandhabt. Mindestens drei Gruppen können wir spontan unterscheiden:
1. einige merken es nicht oder streiten es gar ab;
2. dann gibt es natürlich diejenigen, die Veränderungen vor allem oder ausschließlich als Gefahr sehen, als Bedrohung; die sich überfordert fühlen vom Möglichen, das ja auf irgendeine Weise der eigenen Entscheidung bedarf: wer das Anders-sein-Können der Welt akzeptiert, muss ja Verantwortung übernehmen für den Istzustand, zumindest in dem Bereich, den man selbst verändern könnte.
3. für andere ist die Einsicht, daß alles auch anders sein könnte, eine Chance – Freiheit – oder eine Herausforderung, es (die Welt, das eigene Leben, den Rest de Tages) besser zu machen, eine gestalterische, kreative Aufgabe also.
Klar, daß die zur dritten Gruppe gehörenden Menschen die interessanteren sind: die, die selbst etwas tun können und wollen, die im Film ihres Lebens Drehbuchautor und Regisseur sein wollen, nicht Statisten oder sogar nur Zuschauer.
So kommen wir recht schnell auf einen Kernpunkt in Barbaras Arbeit: sie greift mit ihrer künstlerischen Arbeit ein in die alltägliche Wirklichkeit, in das Normale, Gewohnte. Mit phantasievollen, manchmal schrillen und oft ziemlich schrägen Exponaten verändert sie die Bilder unseres Alltags – „Eingriffe“ nennt sie diese Arbeiten, die oft so unauffällig sind, daß erst die Bild-Vergrößerung sichtbar macht, was sich vorher nur leicht und dezent aus dem Normalen hervorhebt. Kunst eignet sich hier auf eigenwillige Weise das Stilmittelrepertoire des Kabaretts an. Ironie und andere Varianten dezenter Überzeichnung sind für mich wesentliche Elemente in Barbaras Kunst – am deutlichsten bei den „Eingriffen“, aber auch in ihren anderen Arbeiten. Etwa bei den „Ordnungsobjekten“ deutet schon der Name auf ironische Absichten.
Die „absurden“ Elemente, mit denen sie die Wirklichkeit erweitern, erweitern unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, deren Absurditäten uns sichtbarer werden. Barbara Denzler unterstützt mit ihrer Arbeit meine eigene Neigung, die Bildende Kunst auch als eine „Schule des Sehens“ aufzufassen. Barbara, die diesen Prozeß kritisch reflektiert, weist auch darauf hin, daß ihre Arbeitsweise, die die Kunst überall hinbringt, natürlich auch problematisch ist:
Indem sie die Grenzen des „Kunstsystems“ überschreitet, erweitert sie selbiges eigentlich, doch für die, die diesen Schritt nicht mitgehen, verlässt sie diesen Bereich und „entwertet“ ihre eigene Arbeit insofern, als diese nicht mehr als Kunst erkennbar ist. Zum Glück entdecke ich aber auch gleich eine Gegenbewegung:
Die Fotografie, die Barbara in zunächst mehr dokumentarischer Absicht beginnt, entwickelt ein Eigenleben: nicht nur in den Doppelbelichtungen, die ihren Projektionen (Dia-Projektionen direkt in einen Raum) auf eine seltsam logische Weise zur Seite stehen, sondern auch durch einen anderen Effekt, der die „Eingriffe“ betrifft: um diese in der realen Welt notwendigerweise unauffälligen und oft fast unsichtbaren Manipulationen wieder sichtbar zu machen, werden sie fotografiert:
Und diese Aufnahmen bilden wiederum einen normalen Teil im klassischen Kunstsystem, wo sie zuerst sehen lehren und dadurch dann mehr Menschen mitnehmen können in den erweiterten Teil desselben. Hierin liegt ein sehr innovatives Moment in Barbara Denzlers Arbeit: sie erweitert das bisherige Spektrum der Kunst in eigenständiger Form und nutzt eine klassische Form – die Fotografie – zur Vermittlung ihrer eigenen Arbeit. Das ist gut für die Kunst und uns verhilft es womöglich zur
Entdeckung des Möglichen
Jürgen Linde, 1998
Barbara Denzler zu ihrer Arbeitsweise
Gegenstände und Materialien füge ich auf eine Art und Weise zu Objekten und Installationen zusammen, in der sich Denkstrukturen („Gedankengebäude“) spiegeln. Ich begann, die Kriterien, unter denen Ordnung oder Systematik entsteht, plastisch und spielerisch zu erforschen.
Im Atelier strukturiere ich Objekte, die sich teilweise schon bei Ihrer Entstehung auf einen Ort beziehen, an den ich sie dann bringe, um sie dort zu fotografieren. Bereits bestehende Funktionszusammenhänge und Ordnungsgefüge benutze ich wie ein Fundament für die eigene Kreativität, auf der Suche nach weiterführenden Möglichkeiten.
An ausgewählten Stellen im öffentlichen Raum greife ich hinzufügend ein, oder erzeuge Verschiebungen, die sich zwar formal integrieren, deren Herkunft oder Zweck aber nicht logisch erschließbar ist.
Erwartungshaltungen, die sich mit unterschiedlichen Kontexten verknüpfen, möchte ich ins Bewußtsein hohlen, sie verkehren, pointieren oder ins Absurde führen. Es ist mir aber auch ein Anliegen, Spuren einer subjektiven Handlung zu hinterlassen, um an eine potentielle Er-weiterung des Handlungsspielraumes jedes einzelnen zu erinnern.
Im Ausstellungskontext reagiere ich meist mittels Installation auf den jeweiligen Raum, und Versuche das, was ich mir in den Raum träume, mit dem Material zu bewerkstelligen, das mir zur Verfügung steht.
Dabei verwende ich Material, das anderswo abfällt um es gewissermaßen zu re-animieren.
Die Projektionsarbeiten thematisieren die latente Präsenz von Erinnerungsbildern und Vorstellungen, die sich permanent mit der Wahrnehmung vermischen und sie einfärben.
Ich möchte einen Diskurs der Formen und formalen Ausprägungen von Details anzetteln: Mittels Doppelbelichtung oder Projektion schaffe ich Überlappungen, Konfrontation oder auch Neutralisation von Strukturen, Systemen und Raumsituationen.