Ein Bild des Weltganzen – über Emil Wachter

Ein Bild des Weltganzen – in aller Bescheidenheit (?)

über Emil Wachter († 2012)
„Die Kunst ist nicht für sich selber da, sondern sie dient. Sie dient der Freude (das heißt Gott). Nur damit dient sie notwendig dem Menschen. Beides ist nicht zu trennen.(…)“ (Emil Wachter 1950 in seinem unveröffentlichten Tagebuch von 1949/50; zitiert nach „Leben gemalt“, S.18).
„Bescheidenheit“, „sich und seine Sache in den Dienst stellen“ – so versteht Emil Wachter offenbar seine Arbeit und sein Leben.
2001 – Emil Wachter wird 80 Jahre alt. Ein Jahr voller Ehrungen, voller Ausstellungen und Termine, für den sehr aktiven Künstler eine Anstrengung – aber auch, so scheint mir, ein Genuß, so viel geehrt und gefeiert zu werden.

Emil Wachter im Kunstportal Baden-Württemberg
Emil Wachter, 1984; Foto © : Felix Wachter, Düsseldorf

2001 – das Jahr, in dem ich Emil Wachter endlich persönlich kennenlerne; im März zeigt die Städtische Galerie eine Serie von Zeichnungen Wachters; von dem leider sehr kurzen Gespräch auf der Pressekonferenz zur Eröffnung bleibt mir der Eindruck eines sehr wachsamen Menschen, der genau zuhört und dann, oft erfrischend ironisch, antwortet.
Der Wunsch, von diesem Künstler und seiner Arbeit mehr zu erfahren, ist in diesem Jahr leicht zu erfüllen: schon am 05. April beginnt die nächste Ausstellung Wachters, in der Hirschwirtscheuer in Künzelsau. Dort wird auch das Buch „Leben gemalt“, eine Art „künstlerische Biographie“ Wachters, vorgestellt.

Basierend auf ihrer Dissertation über Wachters Gesamtwerk, hat die Kunstexpertin Nadya Badr dieses – geistig und visuell erhellende – Buch geschrieben.

Gerne ist der zur Eröffnung anwesende Emil Wachter bereit, seine Bücher zu signieren. Einmal kann ich zusehen, wie Wachter für eine Besucherin eine kleine Zeichnung in das gerade erworbene Buch „hineinfliegen läßt“. In zwei, zweieinhalb Minuten entsteht ein Kunstwerk.

Emil Wachter im Kunstportal Baden-Württemberg
Selbstbildnis, 1989; Öl auf Hartfaser, 59 x 49 cm
© Künstler, VG Bildkunst Bonn 2020

Ende April 2001 schließlich, am Tage von Emil Wachters 80tem Geburtstag, wird die größte Emil Wachter-Ausstellung im Jubiläumsjahr eröffnet; in den Räumen der EnBW in Wachters Wohnort Karlsruhe, wo er Anfang von 1958 bis 1963 auch als Professor an der Kunstakademie lehrte.
Die Liste prominenter Redner und Gäste ist lang, und schließlich läßt sich Wachter es nicht nehmen, auch selbst ein paar Worte zu sagen. Er behauptet, die zahllosen und sehr begeisterten Lobeshymnen nicht ganz zu verstehen, “ich habe“, so sagt er wörtlich, „ja nur meine Arbeit gemacht.“

Natürlich wird dies vom Publikum als Understatement aufgefaßt. Genau dies aber hat Wachter, so scheint mir, gewollt provoziert. Ich glaube, bei Emil Wachter dabei ein weise-ironisches Lächeln bemerkt zu haben.

In “Leben gemalt“ finde ich dann zahlreiche Hinweise zu Emil Wachters Selbstverständnis als Künstler:

Emil Wachter im Kunstportal Baden-Württemberg
„Spatz“, 1999; Öl auf Leinwand, 110 x 100 cm
© Künstler, VG Bildkunst Bonn 2020

Es geht ihm nicht um
„äußere Zustandsbilder der Welt oder des Menschen“ […] “Ich kann nur selber feststellen, daß die Bilderreihen etwas in mir oder in der Welt Vorhandenes ausdrücken. Daß sie sagen, was ist, soweit ich es auszudrücken imstande bin. Dazu Stellung zu nehmen, ist Sache des Betrachters. Ich male oder zeichne nicht für mich selbst“ (Leben gemalt, S. 22)

Wer Wachters Stillleben, die man als Schwerpunkt seiner Arbeit in den 90er Jahren sehen kann, mit der angemessenen Ruhe betrachtet, erlebt hier Hingabe, einen Respekt vor der Schöpfung, vor dem Gegenstand als Inhalt. Bilder von Kirschen etwa entstehen immer wieder und sind immer wieder neu.

Auch fällt auf, daß in diesen Stillleben die Gegenständlichkeit der Malerei, an der Emil Wachter immer festgehalten hat, so weit zurückgenommen ist, daß man sich an die moderne Farbfeldmalerei erinnert fühlt.
In dieser Reduktion, in der Zurücknahme persönlicher Gesten im Respekt vor dem Gegenstand, sehe ich eine von Emil Wachters größten Stärken.

Emil Wachter im Kunstportal Baden-Württemberg
„Zwei Granatäpfel“, 1995; Öl auf Leinwand, 100 x 80 cm
im Besitz der Emil Wachter-Stiftung
© Künstler, VG Bildkunst Bonn 2020

Im Gespräch erklärt mir Emil Wachter: „Ein gutes gegenständliches Bild hat alle Qualitäten des Abstrakten“. Anhand von Beispielen verdeutlicht er, daß er dem Gegenständlichen beim Malen “kaum Aufmerksamkeit schenkt“; eher zufällig entsteht es im Prozeß des Gestaltens der Fläche. Als ich einwerfe: “es erwächst aus der Komposition heraus“ stimmt er mir zu.

Wieder sind wir bei dem Zusammenhang zwischen Malerei und Musik, der auch für Wachter “schlicht evident“ ist. Neben der erwähnten „Komposition“ verwenden wir ja auch selbstverständlich Begriffe wie Klangfarbe, Farbton etc. Wachter erlebt Musik als eine “Welt der Klänge, die farbig sind“ und erzählt dann, daß er gar “Zahlen farbig wahrnimmt“. Er ordnet den Grundfarben auch Zahlen zu: 3 ist Blau, 4 ist rot, 5 ist Gelb/Gold.

Dies wird dann pragmatisch verständlich, als er beschreibt, wie er seine Glasfenster herstellt: Mit Hilfe von Zahlen auf den einzelnen Fensterausschnitten erfährt die Glaswerkstatt, welche Farben wo zu verwenden sind. Auch in dieser Phase der Endbearbeitung, die von der Glaswerkstatt ausgeführt wird, läßt Emil Wachter es sich nicht nehmen, noch in einigen Details Feinkorrekturen und Änderungen vorzunehmen.

Zur Zeit arbeitet Wachter an Glasfenstern für eine Kirche in Konstanz; schon vor dreißig Jahren waren dazu erste Entwürfe entstanden, die nicht realisiert werden konnten. Heute ist Wachter froh, mit den gewachsenen Erfahrungen noch bessere Arbeit leisten zu können.
Glasfenster unterwerfen den Raum den ganzen Tag über einem Prozeß der Veränderung. Ganz entscheidend sei auch, was auf der anderen Seite des Fensters ist (ein anderes Gebäude oder offene Fernsicht?). Somit ist ausgefeilte Planung erforderlich, um das Licht, den Raum und die Menschen in diesem Raum miteinzubeziehen – und die Zeit (den Tagesverlauf).

Emil Wachter im Kunstportal Baden-Württemberg
„Sieben Kirschen“, 1995; Öl auf Leinwand, 40 x 50 cm
© Künstler, VG Bildkunst Bonn 2020

Schon früher haben wir gesehen, wie das Licht (im Prozeß des Malens wie des Sehens) logisch und zeitlich der Farbe – als Material – vorausgeht. Emil Wachter, so scheint mir, geht hier noch einen Schritt weiter: indem er mit seinen Glasfenstern sozusagen Raum und Zeit (den Kant’schen “Anschauungen a priori“) in seinen Gestaltungsprozeß einbindet.
Als ich Wachter provokativ frage, ob es nicht vielleicht doch ein wenig eitel sei, auf diese Weise als „Moderator der Schöpfung“ zu agieren, bestreitet er dies zwar und sagt, dies sei nichts anderes, als „etwa auf einem Instrument zu spielen.“ Doch sagt er auch dies wieder einmal nicht ohne sein weise-ironisches Lächeln.

Gerade die Glasfenster zeigen noch einmal die schon früher festgestellte Bedeutung der Betrachterperspektive: mit jeder Bewegung entsteht ein anderes Bild. Zuletzt schließlich haben wir in unseren Überlegungen zur Fotografie gesehen, daß offenbar das Bild (unser Bild) erst in unserem Kopf entseht.

Emil Wachter, ganz in diesem Sinne: „Das Bild ensteht erst völlig in dem, der es betrachtet.“ (Leben gemalt, S. 22)
Wie aber ist das möglich? Tatsächlich finde ich eine Antwort darauf in Wachters Aussagen über seine Stillleben, die ich als Wachters intensivste Arbeiten empfinde:
“Was von uns stammt – das Glas, eine Flasche, der Teller, ein paar Tuben – zusammen mit dem, was nicht von uns stammt – einem Ei, Apfel oder Kürbis – ergibt in äußerster Konzentration ein Bild des Weltganzen“

Jürgen Linde im August 2002