Holle Nann leitet die Städtische Galerie Ostfildern.
„Für den Kenner ein wahrer Genuss und doch für jeden lesbar“ – so hat einmal ein Literaturkritiker die Romane von Jonathan Franzen treffend beschrieben. Und tatsächlich ist es dem amerikanischen Autor mit „Die Korrekturen“ (auf dieses Buch bezog sich das Zitat) tatsächlich gelungen, Literatur, also gute Kunst, zu liefern, die gleichzeitig für jeden lesbar ist.
Was Franzen in der Literatur leistet, das schafft Holle Nann, die seit 2006 Leiterin und damit auch Kuratorin der Städtischen Galerie Ostfildern ist, auf ihrem Feld – der Bildenden Kunst.
Nun ist die Städtische Galerie Ostfildern ein besonderes Haus: Entstanden 1979 auf Initiative des damaligen Bürgermeisters Herbert Rösch, hat die Städtische Galerie im Stadthaus im Scharnhauser Park Ostfildern eine große Halle, wie gemacht für Kunst.
Das Problem, das der Autor Jonathan Franzen so brilliant gelöst hat, ist eine Aufgabe, mit der auch die Kuratorinnen und Kuratoren von Ausstellungen der Bildenden Kunst ständig konfrontiert sind. Wer nicht das MOMA in New York oder das ZKM Karlsruhe leitet und damit sowieso ein internationales Expertenpublikum anspricht, sondern eine kommunale Galerie in einer kleineren Stadt, hat eine denkbar schwierige Aufgabe:
Gute Kunst zeigen, die auch höheren Ansprüchen genügt und die doch auch für „ganz normale“ Leute, die sich mit Kunst nicht intensiv beschäftigen, verständlich oder sogar eine große Freude ist.
Die Aufgabe einer Städtischen Galerie ist es ja, den Bürgern der Stadt die Kunst nahe zu bringen. Überregionale Resonanz ist dabei sehr erfreulich, doch im Fokus stehen die BürgerInnen der Stadt.
Ein sehr gutes Beispiel ist sicher die Ausstellung „Florina Leinß – Rochade“. Die Künstlerin, die in den letzten Jahren mehrere Kunstpreise erhalten hat und die man durchaus zur Avantgarde zählen darf, bezieht sich in ihrer Ausstellung, die sie direkt vor Ort entwickelt hat, direkt auf den Raum. Die Formen der „Riss-Strukturen“ im Betonboden des Galerieraums setzte die Künstlerin in sehr erfrischend wirkende plakative Farbflächen an den Wänden um.
Dieser konkrete und auch mathematisch exakt ausgeführte Arbeitsansatz ist nicht unmittelbar sichtbar, führt aber zu sehr ansprechenden Wandbildern, die zahlreiche Assoziationen wecken. Die Besucher, auch Kinder, entdecken an den Wänden Vögel oder Autos und erleben die Ausstellung gleichermaßen als sinnliche wie intellektuelle Anregung. So schafft Holle Nann Ausstellungen, die uns unsere Sehgewohnheiten hinterfragen lassen und gleichzeitig Freude machen.
Holle Nann selbst beschreibt selbst ihre Aufgabe so:
Kunst (be)wirkt
Kunst interpretiert unser Dasein, kann Wahrnehmung verändern, stellt Fragen. Kunst ist Kreativität, Lebensqualität, verbindet Menschen und Gruppen, schafft Gemeinsamkeit. Kunst ist der Katalysator für die Förderung der gesellschaftlichen Kreativpotenziale. In rund vier wechselnden Ausstellungen jährlich wird der Kunst in der Städtischen Galerie dazu die Möglichkeit gegeben.
Mit dieser Strategie ist die Kuratorin auch als Kunstpädagogin erfolgreich: mit mehreren Schulen der Umgebung bestehen Kooperationen, an denen Holle Nann sehr viel gelegen ist. Viele Schulklassen kommen 3 x jährlich, um immer wieder neue Inspirationen zu bekommen. Auch gibt es Workshops, bei denen die TeilnehmerInnen die gerade ausstellenden KünstlerInnen persönlich kennen lernen können – eine spannende Erfahrung, die so in großen Museen kaum geboten werden kann.
Um Ihnen einen Eindruck der Qualität und der Vielfalt der Kunst zu geben, die in Ostfildern geboten wird, zähle ich nachfolgend die KünstlerInnen auf, die hier schon ausgestellt haben und die auch im kunstportal-bw zu finden sind; natürlich gibt es hier diverse „Überschneidungen“:
Platino Ausstellung 2011 | Manuela Tirler Ausstellung 2014 | Anja Luithle Ausstellung 2016 | Vera Leutloff Ausstellung 2018
Holle Nann hat bei ihrem Programm, also bei der Auswahl der KünstlerInnen – natürlich innerhalb des von der Gemeinde festgesetzten Budgets – komplett freie Hand. So hat die Galerieleiterin einen wichtigen, ja durchaus auch künstlerischen Einfluss auf die Raumgestaltung. Doch Holle Nann sieht sich selbst nicht als Künstlerin; ihre Sache ist mehr die Moderation zwischen Kunst und Publikum – Holle Nann geht es um
Kunstbegegnung.
Jürgen Linde im April 2019