Birgit Spahlinger
Internet: www.b-spahlinger.de
E-Mail: bis@posteo.de
„Elf deutsche Gehirnforscher haben in einem Manifest darauf aufmerksam gemacht, daß die Neurobiologie neuartige ethische Konflikte birgt.“ (FAZ vom 19.10.2004, Seite 10). Es geht darum, daß über die Messung und „Interpretation“ von Gehirnströmen die reale Möglichkeit entsteht, gewissermassen Gedanken zu lesen, Intentionen zu erkennen.
So wurde ein Gelähmter präsentiert, der, mit Hilfe einer Verbindung eines Neurochips mit einem Rechner, allein durch seine Gedanken eine e-mail schreiben kann. Sensortechnik und lernfähige Software interpretieren die diversen Parameter der Gehirnströme um in Laute und Worte.
In der Straßenbahn auf dem Weg zu Birgit Spahlinger lese ich eben dies und bin nicht schlecht erstaunt, als Birgits Kunst – jedenfalls die Serie „Reflections“ – direkt hier anzuknüpfen scheint.
Speziell auf diese Serie beziehen wir uns hier. Wer das reiche und hochinteressante Werk der Künstlerin – Birgit Spahlinger malt, fotografiert, filmt und zeichnet – kennenlernen will, dem sei die Website empfohlen.
Dem (Im engeren Sinne) produktiven Prozeß geht das Entdecken voraus, die Idee, das Sehen: mit geschultem Blick für Details und für das Ganze: dieses Talent hat sie unter anderem im Kunststudium bei dem großen Zeichner Albrecht von Hancke weiterentwickelt.
Sehen im hier gemeinten künstlerischen Sinne ist eben nicht angeboren, sondern eine gelernte Fähigkeit, zu der es Mühe braucht, Begabung und Neugier auch. Selbstkritisches Sehen, das sich seiner eigenen Möglichkeiten und Grenzen bewußt wird oder diese erkennen, thematisieren will.
Vor allen Arbeitsmaterialien ist die Fähigkeit des Sehens das Werkzeug des Bildenden Künstlers.
Aus Gehirnströmen entsteht der Text einer e-mail. Technische Parameter (Stromstärke, Lokalität, Frequenz, etc.) werden transformiert zu Sprache, Inhalt.
Birgit Spahlinger entdeckt, malt, entwirft, entwickelt intuitiv Strukturen; dies können Linien sein, Muster, Formen aller Art. Oft verwendet sie quadratische Holztafeln, die dann mit Wachs, Acryl und Farben und Fotografien und allem, was ihr gerade geeignet erscheint schichtweise weiterentwickelt werden
So ist das Ausgangswerk – sie nennt es Elternobjekt – bereits sehr vielschichtig.
Danach entstehen dann, auf dem selben Ausgangsmuster basierend, ganze Serien von Varianten: auf mal zehn, mal aber auch über 60 weiteren Tafeln entwickelt die Künstlerin assoziativ und gleichzeitig analytisch und reflektierend immer weitere Möglichkeiten und Varianten:
Übergänge, Metamorphosen sind Thema und Methode zugleich bei Birgit Spahlinger, die uns damit zeigt, daß die verschiedenen Strukturen zusammenhängen: von der einen zur anderen findet eine Transformation statt, eine Übersetzung.
Aus Zeichenketten, an Schrift erinnernd, werden Ketten aus Ringen, daraus werden Nähte, dann Drähte, manchmal Stacheldraht; aus Drähten werden vielleicht Schaltkreise. Aus stark vergrößerten Schaltkreisen werden organische, lebendige Formen…
Schon haben wir die Verbindung von Strom und Sprache. Ist ja fast trivial: wenn wir über ISDN telefonieren, geht dies nur, weil es offenbar direkte Entsprechungen gibt zwischen Bits und Bytes und Worten – und deren Bedeutungen?
Peter Weibel vom ZKM spricht nicht umsonst von der algorithmischen Revolution.
Hinzu kommen immer wieder erweiternde Eingriffe der Künstlerin, indem sie beispielsweise Details eines Bildes drastisch vergrößert und weitere Bilder auf der Basis dieser Vergrößerung entwickelt.
Die verschiedenen Welten hängen zusammen, es gibt Entsprechungen, Übersetzungsmöglichkeiten, und doch erscheint uns intuitiv klar, daß Strom und Sprache weiterhin verschiedene Dinge bleiben; die analogen Parameter eines Stroms haben so wenig die Bedeutung der sprachlichen Ausdrücke, die hier transformiert enthalten sind wie die Bitmuster im digitalen Telefonnetz.
Und doch verweist und die prinzipiell und empirisch gegebene Übertragbarkeit auf so etwas wie einen gemeinsamen Nenner – eine Metaebene, auf der die Zusammenhänge sichtbar werden.
Wenn es auch wohl dabei bleiben wird, dass wir für das, was die Bildende Kunst auszudrücken vermag, keine sprachliche Entsprechung finden werden, so erscheint hier doch die Möglichkeit eines dialektischen Zusammenhangs, der auf einer höheren Ebene erst erkennbar würde – und dessen Aufhebung auf spielerische Weise vorweggenommen werden könnte. Vielleicht sind Kunst und Sprache bei aller Unterschiedenheit dennoch gleichermaßen Emanationen des Geistes im Hegelschen Sinne.
Noch spielerischer und, was Wort – und Bildspiele betrifft, auch wunderbar satirisch – ist Birgit Spahlingers aktuelle Serie „Netzwerke“.
Birgit Spahlinger über ihre Serie „Reflections“
„Diesem Zyklus liegt ein von mir so genanntes“Elternobjekt“ zugrunde, eine Arbeit auf Holz, die mit Tusche und geschichtetem Wachs fortlaufende Strukturen zeigt, wie sie in der Natur vorkommen könnten, z.B. Landschaften aus der Vogelperspektive, mikroskopische Ansichten von biologischem oder anderem Gewebe. Diese Assoziationen sind aber eher nebensächlich. Als einzigen verbindlichen Begriff möchte ich nennen: „Strecke.“ So nämlich, wie die Tafel angelegt ist, zielt alles auf Weiterführung ab, die Strukturen verlaufen insgesamt in horizontaler Richtung. Kopierte man die Tafel und legte die Klone nebeneinander, erhielte man eine unendlich lange denkbare“Strecke.“
Ich habe die Tafel aber nicht kopiert, sondem ich habe 57 Erben“ erzeugt. Mittels Fotografie, Acrylfarbe, Computergrafik, Folien und Nähmaschine entstanden neue Arbeiten mit den Grundgenen“ der ersten. Die jeweiligen Erben und auch die Elterntafel habe ich neuen Situationen ausgesetzt, habe sie in die Sonne unter Schatten gebende Formen gelegt und fotografiert, mit Folien überspannt, mit der Nähmaschine traktiert, am Computer verändert, mit Tusche, Kohle und Acrylfarbe überarbeitet. Die “Erben“ haben aber nicht nur das Atelier verlassen, um sich neuer Umgebung auszusetzen und damit ihre „Gene“ zu verändern, sondern sie wurden mit Mitteln geschaffen, die ihr Dasein nur auf diese Weise möglich machen: Die Interaktion der klassischen Mittel Malerei, Zeichnung, Objekt, mit denen der Fotografie und der Computergrafik. Auch daraus erfolgte wieder eine Interaktion mit den klassischen künstlerischen Methoden. Es wurde wieder im Atelier übermalt, gezeichnet und der Vorgang begann von vorne. Es sind unendlich viele „Mutanten“ möglich, solange noch Spuren des Elternobjekts bleiben. Der Zyklus endete, als das Elternobjekt endgültig verlassen wurde“.
Nach dem mit insgesamt 58 Exponaten sehr umfangreichen Zyklus „reflections“ entsteht inzwischen die neue Serie „Netzwerke“. Wichtig sind hier Wort- und Bildspiele, auch gesellschaftskritische Aspekte tauchen auf; Zitat: „Wer Spitze am Meter kaufen kann, braucht auch meterweise Stacheldraht“.
Im Gespräch kommen wir auch auf Hermann Hesses Glasperlenspiel, das ja auch diese Richtung verfolgt: eine gemeinsame Einheit, die alles verbindet, und die – als solche – uns Lebenden unerreichbar bleibt.
Mit den „Netzwerken“ verbindet Birgit Spahlinger auf anschauliche Weise, eben über Wort- und Bildspiele, ganz im Sinne dieses integrativen Denkens, Bildende Kunst und Sprache.
Birgit Spahlingers Kunst – ein Glasperlenspiel mit Stacheldraht.
Jürgen Linde im Oktober 2004