Niko Pirosmani
Kunstausflüge mit Sigrid Balke | Ausstellung Niko Pirosmani bei der Fondation Beyeler in Basel-Riehen
Liebe auf den ersten Blick
Genau das passiert nach Ansicht des in diesem Jahr verstorbenen, zeitgenössischen Konzeptkünstlers Ilija Kabakov bei der ersten Betrachtung von Niko Pirosmanis Bildern. Niko Pirosmani? Eine Neuentdeckung auf dem Kunstmarkt? Der junge Vorreiter einer neuen Künstlergeneration? Zugegeben, wer den Namen Niko Pirosmani nicht kennt, gehört, zumindest unter den nichtprofessionellen Kunstliebhabern, vermutlich zur Mehrheit. In der Fondation Beyeler in Basel-Riehen gibt es jetzt die Gelegenheit, den in Westeuropa weitgehend vergessenen, georgischen Künstler neu zu entdecken. Sie sind in guter Gesellschaft, denn auch Georg Baselitz schaut in der Fondation vorbei, und ist damit einer von etlichen bekannten Künstlern, die das Werk Pirosmanis ausgesprochen schätzen. Pirosmani, der zur georgischen Moderne zählt, galt in seiner Zeit als „Künstler der Künstler“, als Inspirationsquelle für Literaten, Poeten, Designer und nicht zuletzt als Modell Picassos für ein Künstlerporträt. Aber wer war dieser Niko Pirosmani? Geboren 1862 im östlichen Teil Georgiens, zieht die Familie aus wirtschaftlichen Gründen nach Südgeorgien, wo die Eltern als Landarbeiter auf dem Gut des Adeligen Kalantarow arbeiten. Nachdem er als Achtjähriger kurz hintereinander beide Eltern und den Bruder verlor, wuchs er in der Familie Kalantarow auf, und zog mit ihnen in die georgische Hauptstadt Tbilissi. Sie nehmen ihn mit zu Theateraufführungen und kulturellen Veranstaltungen und Pirosmani beginnt zu malen. Als er sich als Maler für Wirtshausschilder selbstständig macht, hat er allerdings ebenso wenig Erfolg, wie als Milchhändler, und Pirosmani beginnt, gegen Kost und Logis, die Gaststuben und Tavernen der Stadt auszuschmücken. Er führt zeitlebens das Nomadenleben eines vagabundierenden Bohemiens. 1912 entdecken zwei junge Moskauer Künstler die Bilder Pirosmanis und werden zu begeisterten Förderern.
Bild rechts: Der Arzt auf dem Esel
Öl auf Karton
Seine Bilder – zwischen naiver Volkskunst und Avantgarde – werden 1913 zusammen mit Werken von Kasimir Malewitsch und Marc Chagall in Moskau ausgestellt. Pirosmani wird, ohne jemals eine Ausbildung an einer Kunstakademie absolviert zu haben, in die Gesellschaft georgischer Künstler aufgenommen, die den Ruf Tbilissis als „Paris des Ostens“ begründeten. Eine geplante Ausstellung mit Werken Pirosmanis in Paris, muss durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs abgesagt werden. 1916 tritt Pirosmani wegen einer verunglimpfenden Karikatur als Reaktion auf eine Ausstellung seiner Bilder in Tbilissi, aus der Künstlergemeinschaft aus. Am 5. Mai 1918 stirbt er in völliger Armut und hinterlässt ein Œvre, das als Bestandteil der europäischen Moderne gesehen wird und inzwischen immer mehr internationale Beachtung findet. Obwohl seine Werke unterschiedlichste Schichten der Gesellschaft ansprechen, sind sie keineswegs gefällig. Anders als die Avantgardisten brach Pirosmani nicht mit den künstlerischen Elementen der Vergangenheit wie ikonografischen Bildbestandteilen, sondern übersetzte sie in eine moderne, in sich geschlossene Bildsprache. In den Anfängen des 20. Jahrhunderts, einer Zeit gravierender Veränderungen in der fast alles Bestehende langsam zerfiel, verarbeitete Pirosmani diese Zerrissenheit zwischen alter und neuer Welt in seinen Bildern. Seine Landsleute sahen darin ihre gewohnte Lebenswelt, die Avantgardisten eine Malerei von brillanter Einfachheit und einer radikalen Reduktion auf das Wesentliche. Der Künstler arbeitet dabei mit ikonografischen Elementen, er übersetzt das Prinzip biblischer Gleichnisse in seine Bildsprache, und bedient nicht zuletzt eine gewisse Spiritualität, wenn sich der Betrachter darauf einlassen will. Durch diese außergewöhnliche Kombination werden Alltagsszenen zu geradezu sakralen Handlungen, ihre archetypischen Figuren strahlen eine in sich ruhende Selbstverständlichkeit aus. Dadurch bekommen die Bilder Pirosmanis, gerade in unserer Zeit epochaler Veränderungen, eine faszinierende Ausdruckskraft. Im Foyer der Fondation Beyeler stellen eines der bekannten Dschungelbilder des naiven Malers Henri Rousseau und eines von Pablo Picasso den Kontext zu den Werken Pirosmanis her, und verorten den georgischen Künstler als einen Vorboten in der Kunst der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Für seine Motive bediente sich Pirosmani bei Abbildungen in Magazinen, bei Fotos, seinen Eindrücken von Festen und Zeremonien der georgischen Kultur. Seine Genialität besteht darin, was er aus seinem bescheidenen Wissen macht, die Umsetzung in Stillleben mit typischen Produkten der georgischen Küche, Menschen im Alltagsleben, zeitversetzt stattfindenden, dörflichen Ereignissen in multiperspektivische Landschaften, die an Szenerien von Breughel erinnern, in liebevoll dargestellte Tierporträts die anrühren und zugleich die Würde der Tiere wahren. Die sehenswerte Ausstellung ist die (Wieder-) Entdeckung eines Künstlers, dessen Werke einmal mehr dem aktuellen Zeitgeist, der Sehnsucht nach Selbstverständlichkeiten in einer komplexen, instabilen Welt entsprechen.
Ausstellungsdauer 17.09.2023 bis 28.01.2024