Wissenschaft wird Kunst – über Peter Weibel

nachdem ich am 02. März 2023 von Peter Weibels Tod am Vortag erfahren hatte, hatte ich schon einen “Nachruf“ zu texten begonnen“, mit dem ich nun auch dieses Künstler-Porträt beginne:

Mit “Renaissance 3.0″ macht uns Peter Weibel ein Abschiedsgeschenk. Er selbst zeigt uns, dass wir jeden Abschied, jedes Ende als Neubeginn begreifen müssen.
Der heute als notwendig erachtete politisch-gesellschaftliche Neubeginn, den Peter Weibel in den Fokus seiner Arbeit gerückt hat, kann aus Sicht des Künstlers nur gestaltet werden in enger Zusammenarbeit von Wissenschaft und Kunst.

Peter Weibel © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, Foto: Christoph Hierholzer

In diesem Porträt geht es deshalb um Peter Weibels ganzheitlichen Blick auf unsere Welt – vielleicht um eine Synthese aus Kunst und Wissenschaft in einer neuen Renaissance. Ein notwendiger Neubeginn, der auch eine Selbstfindung des Menschen mit sich bringt – die Utopie von Heimat klingt hier an.

Nachdem wir uns im Jahr 2000 kennen gelernt hatten, hatte bald die Zusammenarbeit begonnen zwischen dem ZKM und unserem kunstportal-bw, das Peter Weibel ja nicht zuletzt durch seine „redaktionellen Beiträge“ unterstützt und mitgeprägt hat.

Nicht ganz einfach für mich, bei dem Versuch, in diesem Porträt die künstlerische Persönlichkeit Weibels zu charakterisieren, die nötige journalistische Distanz zu wahren. Am besten kommen wir gleich auf den Punkt:

Peter Weibel in seinem Büro im ZKM;
© ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe
Foto: ARTIS Uli Deck, 2023

Kunst und Wissenschaft waren die beiden Pole, um die Weibel gleichzeitig kreiste – zwei Welten, die sehr viele von uns bis heute als recht verschiedene Bereiche begreifen. In beiden war Peter Weibel – mit seinem Kenntnisreichtum und in der ihm eigenen Höchstgeschwindigkeit – unterwegs. Weibel sah hier Verbindungen, gegenseitige Abhängigkeiten und parallele Entwicklungen, Annäherungen, wachsende Schnittmengen.

Doch ich denke, für Peter Weibel war nicht der Weg das Ziel, sondern das Ziel ist Heimat (im Sinne Ernst Blochs). Doch kann es, wenn man auf zwei Wegen gleichzeitig unterwegs ist, ein gemeinsames Ziel, kann es Heimat geben?

Ja. Der Künstler Peter Weibel hatte ebendiese im Blick: sein Projekt Renaissance 3.0 veranschaulicht, wie aus der Verbindung von Kunst und Wissenschaft Heimat wachsen könnte – für uns als Menschen; auch privat versprach ihm der „Abschied von der Politik“ einen persönlicbe Neuanfang: „Jürgen, im Sommer 2023 beginne ich mein post-institutionelles Leben“ sagte mir der Künstler in einem Gespräch im Herbst 2022.

Globalisierung und Digitalisierung; globale Pandemien und Klimawandel (wir dürfen hier so allgemein bleiben, denn Weibel hatte immer das Ganze im Blick) haben einen Paradigmenwechsel bewirkt, dem sich Kunst und Wissenschaft heute gleichermaßen stellen (müssen) – gemeinsam.

Peter Weibel © picture alliance/dpa | Uli Deck

In eben dieser Verbindung sah der Künstler und Wissenschaftler Peter Weibel Heimat. Hier jedoch möchte ich mich selbst zurücknehmen und verweise erneut auf Weibels großes Abschiedsprojekt für Karlsruhe; sein Abschied aus der institutionellen Welt sollte ein Aufbruch werden; die neue Renaissance zeigt die Möglichkeit eines Neuanfangs für uns alle – sie könnte alles verändern.

Der Intellektuelle Peter Weibel war den Menschen zugewandt: in seinem letzten Interview über „Neue Wissensfelder“ spricht er über Wunder der Natur und über Wunder der Technik. Unsere Aufgabe als Menschen ist es wohl, diese Wunder – gerne ein wenig demütig – zu begreifen und miteinander zu verbinden. Nicht “die Erde Untertan“ zu machen, ist die Aufgabe, sondern unseren Platz auf diesem Planeten zu finden – eine technische und doch womöglich wesentlich eine künstlerisch-ästhetische Aufgabe.

In einem meiner früheren Künstlerporträts titelte ich einmal: Es ist die „Kunst, die Wissen schafft“. Peter Weibel rückt mir dies gerade:

Wissenschaft wird Kunst.

Jürgen Linde am 05. März 2023