Es ist einmal mehr ein „großes Jubiläumsjahr“. Alle Welt spricht von Beethoven und seinen 250. Geburtstag, der sicher mit Pauken und Trompeten gefeiert worden wäre, hätte Corona nicht die Freude am schönen Götterfunken verdorben. Wer aber bitte spricht von Johann Gottfried Tulla, dem genialen Ingenieur und wer bitte denn noch von Friedrich Hölderlin, der zufälligerweise am selben Tag wie Tulla (am 20. März 1770) geboren wurde? Vermutlich kaum jemand.
In Sache Hölderlin, dem schwäbischen Wanderer und Dichter, hilft jetzt immerhin Thomas Knubben mit einem wunderschönen Band weiter. Der Autor ist Kulturwissenschaftler, lehrt an der PH in Ludwigsburg und hat u.a. in Bordeaux studiert. Und genau hier liegt der Schlüssel zu diesem Band.
Denn Hölderlins relativ rätselhafte Reise nach Bordeaux im Winter 1801/1802 ist die Folie der Erzählung Knubbens, der sich – ebenso wie der Dichter Hölderlin – mitten im Winter zu Fuß auf den langen Weg macht: Von Nürtingen (dort war Hölderlins Elternhaus) über die Alb und den Schwarzwald, über Straßburg und den Französischen Jura nach Lyon und quer über die Auvergne nach Bordeaux. Rätselhaft war die Reise, weil Hölderlin, der an der Garonne eine Hauslehrerstelle hatte, Bordeaux kurz nach der Ankunft wieder Richtung Heimat verließ. Vermutlich aus Liebeskummer. Jedenfalls kam er in einem Zustand zuhause an, der von Zeugen als verheerend beschrieben wurde. Danach begann seine rund 30 Jahre andauernde Zeit im so genannten Hölderlin-Turm bei Tischler Zimmer in Tübingen.
Knubben bringt uns mit seiner Nach-Wanderung den nicht ganz leicht zu verstehenden Dichter und vor allem sein Werk mehr als sehr nahe. Ein ergreifendes Werk, wunderschön gestaltet, dem man viele Leser wünscht. Nicht nur des Hölderlin-Verständnisses wegen.
Thomas Knubben, Hölderlin. Eine Winterreise, Klöpfer, Narr, 240 S., vierfarbig, zahlr. historische Dokumente, 34 Euro