wenn Ihrs nicht fühlt …- zur Arbeit von Patricia Waller

„1:1 – Karlsruhe – Leipzig“

so der eigenartige Titel der Ausstellung in der Städtischen Galerie Rastatt, bei der ich erstmals Arbeiten von Patricia Waller im Original sehen konnte und auch gleich die Künstlerin kennengelernt habe. Es ging um eine Gegenüberstellung der aktuellen Kunst in beiden Städten (25.10.2001 bis 06.01.2002).

1. Wieder einmal: das Original im Zeitalter der Reproduzierbarkeit

Patricia Waller: Joy-Stick,
Häkelarbeit, Watte, Wolle, Styropor, Höhe 18 cm
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn, 2022

Die „Eat-Art“ von Patricia kannte ich schon länger von Fotos. Deutlicher denn je wird mir angesichts der Originalarbeiten, wie weit fotografische Reproduktion und reale Skulptur auseinander sind: neben der Räumlichkeit fehlt dem Foto bei Patricia Wallers gehäkelter (selten auch gestrickter) Kunst noch die haptische Anmutung, die aber für die Wahrnehmung (jedenfalls für meine Wahrnehmung) dieser Skulpturen zentral ist. Wir müssen sprachlich genau und vorsichtig sein: Die Oberfläche (im Wortsinne) der Kunst wird von ihrem Material definiert; die – sicht- und fühlbare – Struktur der Oberfläche hat hier auf besondere Weise inhaltlich mit der Kunst zu tun. Dies alles ist zunächst nur mein Eindruck, dem wir auf die Spur kommen wollen.

Patricia Waller: Zander im Teigmantel, 1999
Wolle, Watte, Kunststoff, Häkelarbeit; Teller 35cm

© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn, 2022
Auch die ironisch-witzigen Elemente, die auf den ersten Blick als überwiegend erscheinen könnten, entfalten sich erst wirklich in der konkreten Konfrontation. Den „Ritter-Sport“ etwa sollte man live erleben, wenn es Gelegenheit dazu gibt.

2. Warum Wolle?
Über die eigenwillige Materialwahl von Patricia ist natürlich schon viel geschrieben worden; von „typisch weiblich“ bis „Hauptsache auffällig“ gibt es eine Reihe von letztlich kaum verblüffenden Sichtweisen dieser wolligen Kunst.
Tatsächlich reflektiert Patricia, wenn sie Skulpturen häkelt und strickt, die weibliche Rolle: auch geschlechtsselbstkritisch, mehr aber noch entlarvt sie die männlichen Klischeevorstellungen – sie selbst setzt sich dabei über das ganze Rollengeschwätz souverän hinweg. Patricia Waller zitiert die Klischees in den Köpfen der Kunstbetachter, in unseren Köpfen.
Hinzu kommen ganz praktische Argumente pro Wolle: der organisatorisch/räumliche Aufwand der Wollarbeit ist ungleich geringer als etwa bei Materialien wie Stein oder Stahl etc. „Ich kann meine Arbeit überall machen; auch im Zug fahrend oder sonstwo“. sagt sie, wohl wissend, dass sie dabei auch den weiblichen Pragmatismus lobt.

Nach einigen Semestern an der Kunstschule in Nürtingen hat Patricia Waller in Karlsruhe studiert und dabei „jedes Jahr einen anderen Professor“ als Lehrer gewählt. Sie wollte dadurch Abhängigkeitsverhältnisse vermeiden; auch ging es ihr darum, eine größtmögliche Vielfalt kennenzulernen, um dann die eigene Handschrift zu entwickeln, zu finden. Die Künstlerin bestreitet nicht, dass auch der Wille, eindeutig erkennbar zu sein, ein Aspekt ihrer Entscheidung für das Material Wolle war.

Viel wichtiger und interessanter aber sind ihre immanent künstlerischen Gründe: wenn Kunst fast immer auch ihre Materialien reflektiert, so erscheint die Wahl „Wolle“ im Nachhinein fast als logisch zwingend. „Mit dem Material ist auch die Farbe schon gegeben und es bedarf keiner Manipulation meinerseits“ erklärt die Künstlerin.
Nun verfolgen wir in unseren KünstlerInnenporträts schon seit geraumer Zeit den Zusammenhang von Licht und Farbe und künstlerischer Wirkung. Bei der wollenen Kunst Patricia Wallers wird dabei eine hochinteressante Verdopplung erkennbar:

Farbe, so haben wir gemeinsam gelernt, ist die Reflexion von Licht (bestimmter Frequenzen des Lichts) abhängig von den Mikrostrukturen der Oberflächen des lichtreflektierenden Materials. Dies gilt natürlich auch für die Farbe der jeweiligen Wolle. Nun aber fügt der künstlerische Prozess – das Häkeln oder Stricken also – noch eine zweite Oberflächenstruktur hinzu – und damit eine besondere, neue Qualität: unabhängig vom Licht tritt hier die haptische Wahrnehmung hinzu, die immer auch aus dem Material kommt, aber im Fall Wolle in erster Linie aus der Bearbeitung des Materials.

Es ist der Humor der Künstlerin, der uns erlaubt, uns dennoch eine ironische Sichtweise zu bewahren: „Stricken wird zur Kunst erhoben“ könnten wir glauben. Genauer betrachtet aber erkennen wir. Die Kunst, Patricia Wallers Kunst, integriert Stricken und Häkeln in ihren Prozess der Selbstreflexion.
Unter diesem Aspekt erkennen wir die Einmaligkeit der Arbeit von Patricia Waller als künstlerische Qualität. Eine neue Ebene der Reflexion auf die Möglichkeiten des Materials zwischen Wesen und Wahrnehmung.
3: die Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt?
Noch ein Zusammenhang erweist sich als hilfreich: im Porträt über Susanne Wadle – „Die Haut des Raumes“ – sahen wir die eigene Haut als „Membran“ eine wichtige Rolle spielen in unserem Verhältnis zur äußeren Welt.
„Die Haut der Welt“ war eine Ausstellung (Dieter Roth) in der Staatsgalerie Stuttgart. Dieter Roth sagte: „Das, was man als das Äußere Aussen sieht, das kann man als das Innere nehmen, denn die Haut – meine Haut – ist die Haut der Welt“.

Analog ist die Oberfläche der Skulptur die „Haut der Welt zur Kunst“ oder die „Haut der Kunst zur Welt“. Die Berührung der Skulptur, und dazu eben verführt uns Patricia Waller, erzeugt einen unmittelbaren Austausch zwischen Ich und Kunst, erzeugt Nähe, macht Einheit erahnbar.
Auf leicht nur erscheinende Weise verstrickt Patricia Kunst und Wirklichkeit für uns; in ihrem Arbeitsprozeß verbindet sie die Welt mit ihrer Kunst, indem sie mit deren Oberfläche – neudeutsch könnten wir gar von einer Schnittstelle sprechen – auch diese selbst erzeugt.
Immer wieder betrachten wir hier ja Kunst als einen Prozeß der Kommunikation:
Patricia Waller macht die Haptik für uns erfahrbar als sinnliches Element dieser Kommunikation, die hier erstmals erfahrbar wird als ein durchgängiger Prozeß von der Produktion bis zur Rezeption. Wenn wir in diesem Bilde bleiben, so symbolisieren Wallers „Bildstörungen“ die Schwierigkeiten des Kommunikationsprozesses oder symbolisieren gescheiterte Kommunikationsversuche. Die ästhetische Aufbereitung der Bildstörungen thematisiert gleichzeitig Technik und Technik-Kritik mit feiner ironischen Distanz.

Die humorvolle Präsentationsweise, die eigentlich allen Serien von Patricia Waller eigen ist, basiert, so glaube ich, auf der inneren Sicherheit der Künstlerin, die eben weiß:
„wenn Ihrs nicht fühlt, Ihr werdet es nicht erlangen“.

Jürgen Linde im Januar 2002





Zander im Teigmantel, 1999
Wolle, Watte, Kunststoff, Häkelarbeit; Teller 35cm
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