E-Mail: marflowpelzer@web.de
alle Fotos in diesem Beitrag sind von Catia Russo
Aufnahme/Tontechnik: Rob8
Wolfram Pelzer
improvisiert spontan am Klavier und spielt mir aus der Seele. Da ich das selbst leider nicht kann, wollte ich wissen, wie so etwas möglich ist und habe ihn eingeladen. Als ich ihn samstag morgen, von Berlin mit dem Nachtzug anreisend, am Bahnhof abhole, kommt er – nach einer Knieoperation – angestrengt, aber gut gelaunt aus dem Zug. Abends will er weiter, die Eltern besuchen im Hohenloher Land, wo er auch herkommt.
Wolfram hat mir eine Menge guter Fotos mitgebracht, 2 CDs mit seiner Musik, selbstgebrannt, im Plattenladen findet man die (noch) nicht, und noch eine CD mit 6 Musikstücken in mpeg3-Format. Genial – dachte ich mir:
da muß ich nur noch die Fotos einscannen, einen Text über ihn und seine Musik schreiben und das Ganze dann zusammen mit den mpegs ins Netz stellen, fertig ist das neue Künstlerporträt.
Diesmal geht es endlich wieder einmal um einen Musiker, und so dachte ich, das Schreiben selbst wird diesmal einfacher. Schließlich hatten wir uns in den bisherigen Künstlerporträts, in denen es fast immer um Bildende KünstlerInnen ging, ständig damit geplagt, daß eine Stärke der Bildenden Kunst ja gerade darin liegt, in ihren Ausdrucksmöglichkeiten weit über diejenigen der Sprache hinauszureichen..
Bei der Musik hingegen ist das alles, so dachte ich, überhaupt kein Problem: Musik, bestimmt die einzige universelle Sprache, spricht für sich selbst, zu jedem einzelnen anders, wahrscheinlich, aber doch eindeutig und klar und ganz bestimmt eher nicht erklärungsbedürftig
Dachte ich.
Dann habe ich ein paar Mal Wolframs CDs gehört, dabei die Fotos angesehen und gemerkt: Ganz so einfach kannst Du es dir leider nicht machen. Also habe ich erst mal gründlich recherchiert, Musik, Musikgeschichte,- soziologie und -anthropologie intensivst studiert (schwitz, schnauf)…Und endlich sehe ich klar.
Das Problem ist: Wolfram spielt nicht vom Blatt, er macht weder Rockmusik noch Hip-Hop, er komponiert auch keine Symphonien, er spielt Jazz, genauer: er improvisiert.
Bleiben wir bei seinen beiden CDs: Wolfram erzählt mir, daß die Improvisation bei der Aufnahme jeweils völlig spontan und ganz ohne Pause ablief. Erst danach, beim „Einhören“ entstanden Bildeindrücke. Diese ermöglichten, die Aufnahme dann in Titel einzuteilen, woran Tontechniker Rob8 maßgeblich beteiligt war. Auch nach meinem eigenen Empfinden verbindet sich hier Akustisches und Visuelles, was auch im Titel der zweiten CD – Ontospektrales Konzertieren – angedeutet wird: es geht um das „direkte Dasein von Bildern, Spektren, Farben durch die Musik“ (Wolfram).
Bevor wir das Ganze theoretisch durcharbeiten und ich dabei erst Euch und dann mich selbst verwirre oder auch umgekehrt, empfehle ich, die Bilder von Wolfram anzusehen, die bei einer seiner Improvisationen entstanden sind: es ist bewegend, zu sehen, wie hier ein Mensch Höhen und Tiefen erlebt, zwischen Konzentration und Loslassen wechselnd, zwischen Erschöpfung und Anstrengung hin- und hergeworfen, dann wieder von strahlender Freude übermannt, alles scheint möglich, nichts kontrollierbar. Der Musiker scheint gleichzeitig Subjekt und Objekt seiner Musik, er spielt – und wird gespielt, etwas geschieht mit ihm.
Was wir hier sehen, wirft Fragen auf:
Erstens natürlich die alt bekannte nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest; zweitens aber auch die nach dem Wesen der Musik, insbesondere demjenigen der Improvisation.
Aus den Gesprächen mit Wolfram ergibt sich die Vermutung, daß es die gegensätzlichen Lebenswelten sind, die Wolfram erlebt und die sich in der Hin- und Hergerissenheit in seinem musikalischen Ausdruck wiederspeigeln: aufgewachsen mit den Natureindrücken des Hohenloher Landes erlebt Wolfram die Großstadt Berlin sicherlich deutlicher als ein geborener Berliner. Da bedarf es harter körperlicher Arbeit des Pianisten, um als Medium zwischen beiden Polen zu vermitteln und womöglich eine Einheit (Identität) darin zu suchen.
Wolfram Pelzer ist nur ein wenig jünger als ich (was, so alt schon? Ja.). Hat also wahrscheinlich in seiner Jugend oft das Gleiche gehört.
Heute mag er Bach, Miles Davis und Keith Jarrett, genauer will er sich nicht festlegen, braucht er auch nicht, denn er schöfpt aus dem Vollen und aus sich selbst und findet mehr als genug. Wolfram Pelzer hat als Kind „ordentlich“ Klavier spielen gelernt, von 6 Jahren bis zum Abitur hat ihm der Unterricht die Klavierspielerei manchmal fast vergrault. Zum Glück hat er mit etwa 11, 12 Jahren angefangen zu improvisieren und das kann er heute richtig gut. Jetzt übt er – wenn es zeitlich irgendwie geht – 3 bis 4 Stunden täglich.
1999 hat er zwei CDs produziert, für die eine geeignete Plattencompany noch fehlt und im Herbst würde er gerne seine ersten Konzerte vor hoffentlich großem Publikum geben.
Ob es ihm schwer fallen würde, zu spielen, wenn er heute abend überraschend ein Konzert geben könnte, frage ich ihn. Hat er Angst, daß ihm vielleicht spontan nichts einfällt?
„Nein“, sagt er souverän und klar ohne darüber nachdenken zu müssen. Wenn er am Instrument sitzt und ein paar Töne anschlägt, ergibt sich alles. Das weiß er, insofern schon heute ein Profi, obwohl er sich vorerst nur mit Vorbehalt als Künstler bezeichnet.
Was der studierte Theaterwissenschaftler und Politologe schon alles an Musik- und Bandprojekten hinter sich gebracht hat, haben wir auf Wolframs Website zusammengetragen; aus all dieser Vielfalt haben sich Klavier und Improvisation herauskristallisiert.
Begeistert und begeisternd beschreibt Wolfram, wie sehr die Arbeit als Musiker körperlich anstrengt: ein Puls von 180 ist dabei fast normal, und nach der ersten CD-Liveaufnahme hat er sein Hemd richtig auswringen können. Die Fotos, die bei dieser Aufnahme im Deutsch-Polnischen Kulturinstitut in Berlin entstanden sind, lassen dies zumindest erahnen.
Er schöpft aus Allem und aus sich selbst, braucht keine Vorbilder und ist überhaupt nicht in der Lage, sich festzulegen. An einer oder zwei Stellen seiner Musik erinnert mich Wolfram weniger an Keith Jarrett, mit den ihn das Instrument und die Improvisation verbinden, als an Steve Reich, dessen Musik ich selbst besonders schätze, weil Reich für mich persönlich eine Verbindung schafft zwischen der Musik und den anderen Künsten; eine Meta-Ebene.
Stimmt, das Theoretische drängt sich nun – wie angedroht – in den Vordergrund. Als letzte Abwehr- oder besser Verbindungsmaßnahme zitieren wir Steve Reich: „Mir schien immer, daß ein Komponist, der die Musik von Charlie Parker oder John Coltrane nicht zur Kenntnis nimmt, eine Art Kulturbanause sei und die Konsequenzen solcher Mißachtung zu tragen habe.“
Das ist es. Oder lieber bescheiden: das scheint es mir zu sein. Das Universelle an der Musik ist, von allen verstanden werden zu können. Um dabei aber nicht beliebig, sondern wahrhaftig zu sein, bedarf es zunächst der Reduktion. Alles darf einfließen, muß dann aber sehr streng gefiltert werden. Vielleicht ist dabei die musikalische Bewegung, die typisch ist vor allem für Reichs frühe minimal music, analog zu sehen zur Farbe in der Malerei:
Meine persönliche Wahrnehmung: So wie Lothar Quintes monochrome Malerei, in deren vermeintlich weißer Bildmembran alle Farben präsent sind und leben, so enthält die musikalische Bewegung in ihrer Reinkultur die ganze Musik.
Ist diese Reduktion erst einmal erreicht, so kann das Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten und Inhalten neu entfächert werden; und die Kunst entfaltet ihre integrierende Kraft. So scheint Reichs spätere minimal music weniger minimalistisch ohne weniger klar zu sein und so sind etwa Keith Jarretts Bach-Einspielungen des Wohltemperierten Klaviers anders, als sie ohne die vielen Jahre der Improvisation entstanden wären.
Bevor es mir zu schwierig wird, flüchte ich zu einem weiteren Zitat: Der japanische bildende Künstler TATSUO MIYAJIMA formuliert mit seinem eigenen Anspruch nach meinem Empfinden gleichsam das Programm einer integrativen Kunst:
Keep changing,
Connect with everything,
Continue forever
Mehr als bei jeder anderen Art, Musik zu machen, findet sich der improvisierende Musiker künstlerisch in einer existenziell anderen Situation als etwa ein Bildender Künstler. Der Schlüssel, um das zu verstehen, ist – wieder mal – der Kommunikationsprozeß.
So hatten wir ja dereinst die Malerei als Kommunikation gesehen entweder zwischen dem Maler und dem Betrachter oder auch zwischen dem Bild und dem Betrachter in Abwesenheit des Malers; beides geht. Wichtig ist das Betrachten als einen sehr aktiven Prozeß zu erkennen, bzw. zu erleben.
Aus meinen Studien nun hat sich erwiesen, daß das Zuhören bei musikalischer Improvisation ein noch weitaus komplexerer Prozeß ist, unter anderem deshalb, weil Zahl und Art der Teilnehmer weitgehend unklar ist.
Keith Jarrett etwa, der ja als Pianist vor allem durch seine Improvisation berühmt geworden ist, beschreibt das folgendermaßen:
„Improvisation ist mehr, als Worte ausdrücken können. Sie verlangt wiederum ein größeres Verantwortungsbewußtsein, da die Teilnahme am Augenblick – hoffentlich – eine vollkommene ist. Sie ist die „flammende Kraft“ eines „göttlichen Willens“ – und sei sie nur göttlich wegen ihrer größeren Kraft. Das bedeutet nicht nur, daß man – als Pianist – das Medium einer Botschaft (eines Impulses) ist, die weit hinausgeht über die eigenen menschlichen Gedanken und Vorstellungen; es heißt auch, daß man soviel wie möglich davon umsetzen muß in die Welt des Klangs, nachdem man sich dem Impuls völlig anheimgegeben hat. Und dann (zur gleichen Zeit?) muß man sich von diesem Klang so beeinflussen lassen, als hätte man nicht das Geringste mit ihm zu tun. Nur dann handelt man verantwortungsbewußt gegenüber allen, die zuhören, denn nur dann zählen allein die Zuhörer – es gibt keinen „Pianisten“.
Ebenso könnte man sagen, es gibt keinen Zuhörer, denn jedermann im Saal nimmt teil an der Musik … jeder ist ein Pianist.“
Wenn wir das nun ein wenig vereinfachen und – mit Verlaub – Gott mal außen vor lassen, so ist doch deutlich, daß nicht allein der Zuhörer auf besondere Weise auch Teilnehmer an der Musik ist, sondern offenbar auch der Musiker weit davon entfernt ist, den Prozeß (die Musik) zu kontrollieren. Auch er befindet sich in einem Kommunikationsprozeß: mit seiner Seele, mit den Instanzen seiner Psyche, mit Vergangenheit und Gegenwart, mit Bewußtem und Unbewußtem, wahrscheinlich mit Äußerem, zweifellos mit seinem Innersten.
An diesem Kommunikationsprozeß, dessen Dynamik und Entwicklung er nur bedingt zu steuern vermag, läßt der improvisierende Musiker die Zuhörer teilhaben. Das Ende ist offen, der Prozeß ist das Leben.
Connect with everything
Jürgen Linde