Buchtipp von Uli Rothfuss
„Im Auge der Pflanzen“, Roman von Djaimilia Pereira de Almeida
von Uli Rothfuss
Die Bäume, die Zweige, die Blätter antworten, wenn wir ihnen Fragen stellen. Mein zentraler Satz im Buch, in einem Buch, das sich nur langsam dem Lesenden erschließt, das sich nur zögernd öffnet, spröde manchmal, abweisend, und doch mit einer eigentümlichen Anziehungskraft, die mich, den Leser, hineinzieht in die Geschichte, besser in die Geschichten dieses eigentümlichen Querkopfes, des Kapitäns, der sein Alter im alternden Haus, im wild wuchernden Garten verbringt, und sich dabei in Erinnerungen, mitunter in Schreckensgedanken verliert.
Djamilia Pereira hat ein eigentümliches Buch geschrieben, ein höchst sinnliches Buch, in dem der Garten mit all seinen Düften und Farben schaudern lässt vor Sehnsucht und Freude, dem gegenüber den alten Celestino stellt, mit dem man zu fühlen sich schwertut, von dem und dessen Gedanken man nie weiß, ob sie Erinnerungen an Gelebtes sind, oder Imaginiertes, auf die Spitze auch mal des Gräulichen getrieben; und die mich, den hungrig Lesenden, so sehr in sich aufnehmen, mich schaudernd weiter und immer weiterlesen lassen, getrieben von der Sehnsucht, im Denken, Fühlen, dieses Wahnsinnigen wenigstens ein Stück weit mich selbst finden zu lassen; vorstellen, freilich kann man sich das alles, als Leser, als hinein in die Geschichte Horchender, und ich, lasse mich erstmal ein, lese und lese weiter, und tauche hinein in diesen Garten, in dieses Auftauchen des grauenvollen Kapitäns mit all seinen Piratenerinnerungen, dieses Aufmarschieren von freilich kaum weniger seltsamen Figuren aus dem Dorf bis hin zum seltsam weltfernen Pfarrer, der kaum weniger grausam erscheint in seiner anbiedernden Freundlichkeit.
De Almeida beherrscht die schiere ausufernde Palette der Darstellungsmöglichkeiten im Erzählen, der Garten wird durch sie zum Lebensquell schlechthin, zum Ort, an dem das Leben in Verlängerung geht, weil eben die Sinnlichkeit der Pflanzen, der überbordenden Blumen, der gefangennehmenden Gerüche einen, auch den dem Sterben entgegentaumelnden Celestino, nicht gehen lassen, ihn halten, um der Sinneseindrücke willen, wie berauscht, wankend und doch ganz diesseitig, den Sinnesgenüssen der Umgebung anheimgegeben. Liest man die wunderbare Folge der Wörter, der Sätze in diesem schmalen Roman, hört man die Klänge der Sprache, wohl, so bin ich mir sicher, von Barbara Mesquita wundervoll aus dem Portugiesischen übersetzt, hört man die Klänge, während man sich im Garten bewegt wie in einer Traumlandschaft, und zugleich durch die Piratenerzählung hinausgeführt wird auf das Meer, hinein in die Grausamkeiten eines Meerlebens, das vom Großvater auf den Sohn auf den nun alternden Enkel sich in ewiger Wiederholung überträgt.
Die Autorin führt den Leser gekonnt durch die Fährnisse des Romans, er verliert sich nicht, wenn auch oft Gefahr droht, sich in all den Eindrücken zu verlustieren; gekonnt und gerade rechtzeitig nimmt sie dich, den Leser, wieder an der Hand, ein Stück weit, um dann wieder loszulassen, hinein in den Farbenrausch, in das Wirbeln der Einsamkeit im Garten. Der Leser erlebt mit, fühlt mit, und mit diesen Emotionen und Gefühlen wird vieles thematisiert – bis hin zu den Untaten der Kolonialzeit, die hereinscheinen und den Leser aufhorchen lassen. Es ist keine reine Beschreibung von Schönem und dem Hässlichen, und dadurch das Hervorrufen der Einnahme einer Haltung, nein, es ist die subtile Bezugnahme und deren Unterbreitung durch das Erzählen von scheinbar ganz anderem, das mich hineinführt in existentielle Fragen meines Seins. Das mich erschüttert.
Es ist ein Buch, das mich weiterbeschäftigt nach dem Lesen. Das ich immer wieder zur Hand nehme, um darin zu blättern. Ich stelle, lege es sichtbar in eine Ecke, jederzeit greifbar. Das auch äußerlich sehr schön gemacht ist, angenehm kleines Format, hervorragend gearbeitet, das Covermotiv einladend. Wieder einmal eine Literaturperle entdeckt.
Djaimilia Pereira de Almeida: Im Auge der Pflanzen. Roman. Geb., 128 S., 20 €, Unionsverlag, Zürich 2022.