Miteinander – über den Bildhauer Joseph Stephan Wurmer

Aktuelle Ausstellungen und Projekte von Joseph Stephan Wurmer

Joseph Stephan Wurmer,  
© Foto: Amt für Medien und Kommunikation Schwäbisch Gmünd

Miteinander | Joseph Stephan Wurmer, seit vielen Jahren etablierter Bildhauer, treffe ich endlich persönlich in seiner Einzelausstellung in der Galerie im Prediger Schwäbisch-Gmünd [ Raum lichten – Holz im Spannungsfeld von Konstruktion und Dynamik ]. Lange schon ist dieses Haus eine herausragende Adresse für aktuelle Kunst und besonders für die Bildhauerei. Dank dafür gebührt dem Kurator Joachim Haller, dem stellvertretenden Leiter des Museums im Prediger.

Ausstellungsansicht „Joseph Stephan Wurmer. Raum lichten – Holz im Spannungsfeld von Konstruktion und Dynamik“. © Foto: Museum im Prediger, Joachim Haller.

Stephan Wurmer nun ist ein Bildhauer, der in Nürnberg lebt und in der Nachbarstadt Führt ein großes Atelier innerhalb einer ehemaligen Kofferfabrik hat.

Er berichtet mir von seinen künstlerischen Anfängen – als Mitarbeiter bei seinem Onkel, der Steinbildhauer war; ein Lebensabschnitt, eine Lehrzeit, die Wurmer auf seinen Weg zum Künstler vorangebracht hat. Seit Anfang der 90er Jahre liegt sein Schwerpunkt beim Holz, einem Material, das mehr Eigenschaften als jedes andere hat, wie der Künstler überzeugend erläutert: die verschiedenen Holzarten, die sich dann jeweils in verschiedenen Jahreszeiten ganz anders verhalten, ganz unterschiedlich bearbeiten lassen. Stephan Wurmer könnte dazu jederzeit eine Vorlesung halten, doch der Künstler doziert nicht, sondern er vermittelt uns seine Arbeit:

Joseph Stephan Wurmer:: Ordnung und Chaos XXV,
,Zeder 2020, 28 x 26,5 x 45,5 cm, © Künstler

Der Ausstellungskurator und Kunsthistoriker Joachim Haller schreibt in seinem Text zu Stephan Wurmers Ausstellung:
Unter den zeitgenössischen Bildhauern, die heute mit dem Material Holz arbeiten, nimmt Joseph Stephan Wurmer einen ganz eigenen Platz ein. Seine Position lässt sich in der Nähe konstruktiver Kunst verorten. Tektonische Strenge und eine respektvolle Annäherung an die Eigenheiten des Holzes prägen sein mittlerweile gut dreißig Jahre umfassendes Werk. In seinem Umgang mit dem Material lässt der Bildhauer Holz Holz sein, wobei er auf dessen Verfremdung, etwa durch eine farbige Fassung oder durch Feuer, verzichtet. Seine Skulpturen schneidet er vorwiegend mit der Kettensäge aus dem meist frisch gefällten Baumstamm. Und sie sind fast ausschließlich aus einem Stück gearbeitet. Jeder Sägeschnitt und jede Bearbeitung erfolgt im Wissen um die eigengestalterischen Kräfte des Holzes, zu denen vor allem Schwundrisse beim Trocknungsprozess gehören. Je nach Holzart muss er mehr oder weniger auf das Material reagieren. Dadurch tritt der Austausch und der Dialog mit dem Material unverkennbar an die Stelle eines vorgefassten, nur logisch-rationalen Denkens und Tuns, was sich in jeder Arbeit widerspiegelt. Im Ergebnis entstehen Objekte von dynamischer Schönheit, die nicht aus vordergründigen Effekten resultieren, sondern aus der Meisterschaft des Bildhauers, der seine Vorstellungen adäquat umzusetzen weiß. Seine künstlerische Auffassung realisiert Wurmer in Werkreihen, die er ständig überprüft und in kleinen, feinen Schritten abwandelt und weiterentwickelt: Lichter Raum, Scala, Keilholz, Ordnung und Chaos, Aus meinem archäologischen Tagebuch oder Aus dem venezianischen Reisetagebuch sind Beispiele, die in der Ausstellung zu sehen sind. Skizzen helfen ihm, innerhalb der Werkreihen neue Formen zu entwickeln.
Wir danken Joachim Haller M.A. dafür, seinen Text hier verwenden zu dürfen.

Joseph Stephan Wurmer: Lichter Raum LXV, 2019, Zeder
D=70cm

Kein Baum wird für seine Werke gefällt; dies ist ihm wichtig. Wurmer bekommt Baumstämme (manchmal auch tonnenschwere), die sowieso gefällt werden mussten; er selbst pflanzt auch immer wieder neue Bäume. Beim Werkstattgespräch in der Ausstellung in Gmünd ist es so, wie er es erwartet hat: die zahlreichen Gesprächsteilnehmer wollen zuerst und vor allem wissen, wie der Künstler es schafft,  die oft exakt geometrischen Formen in einem Stück aus dem Holz herauszuarbeiten – insbesondere faszinieren die kugelförmigen Objekte, die Wurmer aus Zedernholz arbeitet, und die mittlerweile einen hohen Wiedererkennungswert haben. Auf der kommenden art Karlsruhe wird Stephan Wurmer von zwei Galerien präsentiert werden.

Bei meinem Atelierbesuch Ende März in Fürth sprechen wir viel über Stephan Wurmers Kunst, über den Kunstmarkt, aber auch über die aktuelle Situation in der Ukraine.

Aus dem geheimen Alphabet der Äste, 2018, Pappel
83 x 83 x 124 cm

Mich interessieren dann besonders auch die Zeichen, die viele Werke des Künstlers charakterisieren; “Aus dem geheimen Alphabet der Äste“ ist der Name einer großen Arbeit aus Pappel. Wurmer erklärt, dass er natürlich keine Geheimsprache verwendet, die irgendwer übersetzen könnte …Das Geheimnis bleibt bewahrt. Inzwischen haben wir Menschen verstanden, das wir unseren Platz in der Natur neu definieren, neu – oder erstmals, endlich? – finden müssen.

Wie so oft eine musikalische Assoziation: „I believe, somewhere there’s a place, where we belong“
Peter Gabriel (Don’t give up)

In seinem wichtigen Essay „Virus, Viralität, Virtualität“ (es geht hier um die entstehende Ferngesellschaft) schrieb der (Philosoph und) ZKM-Chef Peter Weibel:
„Dieses Virus zwingt uns, den Krieg des Menschen gegen die Natur einzustellen, zumindest erzwingt es einen Waffenstillstand“.

Der Bildhauer Joseph Stephan Wurmer ist mit seiner künstlerischen Arbeit der gesellschaftlichen Realität voraus: statt eines Waffenstillstandes veranschaulicht sein Werk die Möglichkeit eines
Miteinander.

Jürgen Linde im Mai 2022