„Beethoven“
(Bernadette Hörder auf die Frage, welche Art von Musik sie denn mag.)
„Wer über andere Menschen schreibt, kann es gar nicht verhindern, daß er zugleich auch über sich selbst schreibt.“
(Marcel Reich-Ranicki in seiner Autobiographie „Mein Leben“, S. 436)
Recht hat Marcel Reich-Ranicki, denn der hat ja meistens recht und dazu die rhetorische Kraft, dieses durchzusetzen.
Denn beim Schreiben ist man alleine, zunächst mehr bei sich als bei seinem Thema. Und so sitze ich – bewaffnet mit Tastatur und Maus – vor meinem Bildschirm, der mich zwar be-, mitnichten aber er-leuchtet.
So muß eben bei einem Atelierbesuch der fehlende rote Faden entstehen, die Idee, für das Künstlerinnenporträt über Bernadette Hörder, eine Künstlerin, die ich sehr schätze und erst gestern, am Freitag, endlich besucht habe – in ihrem Atelier, das man über einen verwinkelten Hinterhof erreicht.
Exaktheit, Geradlinigkeit im Wortsinne, Disziplin und vielleicht sogar Strenge sind Attribute, die man den Arbeiten von Bernadette Hörder zuzuschreiben geneigt sein könnte, vor allem, wenn man sie nur als einzelne Exponate kennenlernt. Runde Formen gibt es kaum; sogar der Rundweg ist provokativ eckig. Dennoch sieht man, daß es um Provokation überhaupt nicht geht. Worum dann? Das wollte ich wissen, deshalb habe ich sie besucht.
Kennengelernt hatten wir uns etwa zwei Jahre zuvor im Badischen Kunstverein, ich glaube bei der jährlichen Mitgliederausstellung. Von da habe ich noch den angenehmen Eindruck einer sehr herzlichen und interessanten Frau und Künstlerin und einen gelben Zettel, auf den sie mir ihre Telefonnummern geschrieben hat. Und die Idee zu diesem Künstlerporträt.
Es riecht gut in Bernadettes Atelier, Farben, ein mitten im Raum stehender Ofen und nachher dann noch der Duft des Tees, den Bernadette kocht wirken zusammen stimulierend, und auch Bernadette selbst mit freundlich strahlendem Gesicht über ihrem (natürlich buntbefleckten, aber grundsätzlich) roten Arbeitsoverall; alles lenkt mich sehr von ihrer Arbeit ab.
Bernadette Hörders aktuelle Arbeit – Modelle zur Raumgestaltung für die Hochschule Zittau/Görlitz – aus Emaille-Teilen verteilt sich über Boden und eine Wand; Arbeiten aus Holz, Glas, Stahl, MDF-Platten u.a. aus früheren Projekten finden sich überall außenherum. Nicht mein suboptimaler Zustand ist es, erst recht nicht die vorweihnachtliche Zeit, nein, tatsächlich: die Atmosphäre hier ist zauberhaft.
Denn es ist die Musik, die ich auch im Gespräch mit Bernadette immer wieder ansteuere. Schon als sie mich montags zuvor (um 7.30 Uhr!) in meinem Büro besucht, habe ich sie danach gefragt. Und erfahren, daß sie auch gelegentlich Klavier spielt und selbst klassische Musik hört.
Etwas konkreter?? „Beethoven“ sagt sie mit knappem Wort. Offenbar ist die Musik kein Thema, daß sie ausführlicher behandeln möchte.
Ich bin überrascht; hatte ich doch viel eher mit Namen wie John Cage oder Steve Reich gerechnet; „Minimal Music“ schien mir eindeutig die akustische Entsprechung zu Bernadette Hörders Kunst.
Studiert übrigens hat Bernadette Hörder in Karlsruhe, bei Per Kirkeby; zunächst auch Kunsterziehung, um eine Option auf anständige Lohnarbeit zu haben, doch zum Referendariat hat sie sich dann nicht entschieden.
Trotzdem: obwohl Bernadette Hörders Kunst sich offensichtlich durch einfache und sehr klare Formen, etwa Quadrate und Linien, auszeichnet und insofern sich der zauberhaften Atmosphäre zu entziehen scheint, ist für mich Musik das verbindende Element.
Musik und Raum. Raumgreifend sind diese Arbeiten allemal: Bodenelemente, Stelen, Möbel, möbelähnliche Objekte, immer sind es drei Dimensionen, die sie braucht. Auch die zunächst bildhaft anmutenden, auf MDF-Platten basierenden Arbeiten sind Bildobjekte, keine Bilder im traditionellen Sinn.
Und selbst, wenn zum Beispiel beim „Weg-Weiser“ in der Fachhochschule für Forstwirtschaft Rottenburg nur zwei Dimensionen sichtbar sind, geht es doppelt um die dritte: vorhanden als Dicke der Stahlplatten und als Korrespondenz der Formen untereinander in dem Raum oberhalb, den sie neu definieren.
Rhythmus, Raum, Komposition nennt sie auch selbst als Stichworte, die ihre Arbeit beschreiben. Ihre Arbeit ist sehr konkret, klar, reduziert. Konzentration und Intuition sind für ihre Arbeitsweise gleichermaßen wesentliche Elemente.
Etwa die Holzobjekte auf MDF-Platten aus den letzten Jahren, die, in Gruppen aufgehängt, zueinander in Beziehung treten und den Raum in Besitz nehmen, könnten einen mathematischen Versuch vermuten lassen, die Anzahl der möglichen Kombinationsmöglichkeiten der verwendeten Bildelemente darzustellen.
Es geht Bernadette Hörder auch um Variationen, doch keineswegs um Mathematik. Sie entscheidet eher intuitiv und aus dem Bauch heraus über neue Anordnungen. Dabei kann beispielsweise eine Gestaltungsvariante für einen der vier Räume, deren Ausgestaltung sie gerade plant, das Konzept insgesamt so verändern, daß alle Räume neu bearbeitet werden müssen.
Doch ist sie heute so professionell in ihrer Arbeit, daß solche – naturgemäß sehr zeitraubenden – Eingebungen nur selten den Terminplan der Projekte sprengen.
Denn Bernadette Hörder arbeitet meist an Aufträgen; Kunst am Bau ist einer der Bereiche, in denen sie viele Referenzen vorweisen kann und schon manchen Wettbewerb gewonnen hat.
Kreativität und Ideenreichtum beim künstlerischen Konzept ist hier Erfolgsvoraussetzung; Termineinhaltung bei der Realisierung ist aber auch sehr wichtig:
Dies gelingt ihr durch Disziplin, Konzentration und auch durch die Zusammenarbeit mit ausgewählten Handwerkern und anderen Fachleuten. Von Projekt zu Projekt wechseln neben den künstlerischen und sonstigen Anforderungen auch die zu verwendenden Materialien:
Bernadette Hörder arbeitet mit Papier, Holz, Glas, Metallen, Emaille gleichermaßen selbstverständlich. Natürlich bedarf es dazu jeweils spezialisierter Material- und Werkzeugkenntnisse: was Bernadette in ihrem Atelier nicht bearbeiten kann, bearbeitet sie in Fachwerkstätten in Zusammenarbeit mit den dortigen Experten.
Kommen wir zurück zur Musik: die Einfachheit der Grundformen, die Bernadette Hörder variiert, die Tendenz, hier immer klarer zu werden. All dies erscheint mir als ein Prozeß der Konzentration und als Reduktion im Sinne etwa von Sibylle Wagner, die diesen als ein „Zusammenfassen“ beschreibt.
Ganz zu recht wehrt sich Bernadette dagegen, daß man ihre Arbeit unter den erwähnten mathematisch-technischen Gesichtspunkten versteht oder beschreibt. Schließlich wirkt sie ja auch nicht naturwissenschaftlich -langweilig, sondern eben herzlich und lebendig.
Tatsächlich stehen Klarheit, Exaktheit und die mathematisch anmutende Präzision von Bernadette Hörders Arbeiten auch im Atelierraum nur scheinbar im Gegensatz zu der Zauberei darumherum:
Am deutlichsten wird für mich in den Variationen aus Stahl und Holz von 1994/95, daß die Arbeiten, angeordnet in Gruppen, die Atmosphäre des Raumes bestimmen: wie Klangkompositionen wirken sie in den Raum hinein; Klangfarben und Tonhöhen gleich variieren die verschiedenen Abstände und Breiten derselben Form (des selben Instruments) ihr Thema; den jeweiligen Raum und dessen Bestimmung.
So war auch Bernadettes erstes Argument gegen ein mathematisches Herangehen an ihre Arbeit: „Das würde das Geheimnis zerstören“.
Schon seit einger Zeit beschäftigt mich eine Überlegung des Bildhauers Hiromi Akiyama: wenn der Schatten des Dreidimensionalen zweidimensional ist, so Akiyama, dann ist womöglich das Dreidimensionale der Schatten einer Vierten Dimension.
Diese Aussage faszinierte mich durch ihre vermeintlich deduktive Logik; verstanden habe ich sie letztlich nicht, da ich sie sinnlich nicht nachempfinden konnte.
Doch in Bernadette Hörders Kunst wird diese vierte Dimension für mich erahnbarer: zwar begreife ich sie noch immer nicht wirklich, doch kenne ich – in diesem besonderen Fall und wirklich nur bezogen auf mich – das Medium ihrer Vermittlung: die Musik.
Denn die Musik, nach Shakespeare „der Liebe Nahrung“, verbindet dann auch die Herzlichkeit und Lebendigkeit von Bernadette Hörder mit der Disziplin und Konkretheit ihrer Kunst.
Und: während die Welt zunehmend eindimensional (in Marcuses Sinne) wird, erhält Bernadette Hörders „Protest“ gegen die Zweidimensionalität besondere Bedeutung:
Sogar die zwischen 1994 und 1996 entstandenen „Variationen aus Papier“, flach wie Papier, wehren sich durch die Art ihrer Bearbeitung – sie sind geschnitten, zwangsläufig in der Ebene der dritten Dimension. So definieren sie Räume, ohne Perspektiven und Fluchtlinien zu benötigen.
Ach ja, eines bleibt nachzutragen: natürlich habe ich des abends im Sessel hängend, ein Rotweinglas in der linken Hand, Bernadette Hörders Katalog in der rechten, testweise Musik gehört. Steve Reichs „Seven Songs for Octet and Chamber Orchestra“ paßt nicht wirklich dazu, vielleicht aber, jedenfalls eher,
Beethoven.
Jürgen Linde, 1999