Harald Schwiers im kunstportal-bw
Ich liebe Punkte !
Sigmar Polkes Dualismen in der Städtischen Galerie Karlsruhe
„Ich liebe Punkte“ soll Sigmar Polke einst gesagt haben und ergänzend, dass er durchaus sich mit Punkten verheiratet fühle. Punkte, damit hat man in Deutschland und weltweit Polke als Maler kennengelernt; gemeint sind weder Payback-Punkte noch die in Flensburg oder im Gesicht von Sams. Die Punkte, auf die sich Sigmar Polke als einer der führenden Künstler der Gegenwart bezieht, sind Rasterpunkte. Die konnte man in den 50er-Jahren in manchen Zeitschriften mit bloßem Auge bei Betrachten von Fotografien feststellen. Auch heute noch sind die Rasterpunkte bei Siebdrucken durchaus mit dem Fadenzähler oder einer Lupe zu sehen. Denn diese Punkte verdeutlichen bei Schwarz/weiß-Fotografien die (einstigen) Farbwerte durch größere oder kleinere Abstände zueinander und auch die Hell-Dunkel-Kontraste.
Diese Punkte – mal größer, mal kleiner – waren und sind also ziemlich wichtig für das Erkennen von Bildern. Vor allem auch in Massenmedien. Nun malte Polke diese Punkte Stück für Stück auf die Leinwände (sicher sehr liebevoll) und wurde damit einer größeren Kunstgemeinschaft (oder was sich darunter verstand) bekannt, beliebt, vielleicht auch ein wenig verkannt. Schon allein aus Polkes Punktevergangenheit, von hell und dunkel, also aus den Gegensätzen, erklärt sich der Titel dieser wirklich sehenswerten Ausstellung in der Städtischen Galerie Karlsruhe. Die Punkte auf den Leinwänden Polkes bedingen aber gleichzeitig auch einen relativ großen Abstand zwischen Bild und Betrachter. Sonst sieht man eben nur Punkte, aber nicht, was sie im Zusammenspiel darstellen.
In Karlsruhe sind die zentralen Werke dieses Ansatzes wie die Arbeiten „Berliner (Bäckerblume)“ und „Strand 1966“ zu sehen. Und die Städtische Galerie Karlsruhe kann dank der Sammlung Garnatz mit zahlreichen wesentlichen und wegweisenden Arbeiten Polkes glänzen. Die – sicher mühevolle – Punktemalerei überließt Polke später teilweise Tuch- und Stoffherstellern, deren Produkte mit passenden Grundmustern ihm als Malgrund dienten.
Äußerst Bemerkenswert ist in der Schau auch die Vielzahl der Arbeiten, die von Polkes hintersinnigem Humor zeugen. Der zeigt sich in ganz diversen Bildern, etwa in der Adaption von Dürers Hasen, den „Schuhen des Yeti“ (yetigemäß ein Bild im extremen Übermaß), bei den „Hütchenspielern“ und vor allem in den Wurst- und Kartoffel-Variationen diverser Ausprägungen. Ihren humorigen Höhepunkt erreicht die Ausstellung zweifellos im Zusammenspiel mit Martin Kippenberger, der ein comic-haftes Passepartout für eine Grafik Polkes schuf („Ei-weiss“) und den Witz auf eine sprachliche Ebene verblüffend trivial, aber funktionierend erhöhte. Auch „Tischrücken“, mit dem Polke die Tischbewegungen bei einer Séance symbolhaft skizzierte, oder „Lösungen V“ mit aufzuaddierenden Zahlreihen, hinter denen allerdings immer die falsche Lösung steht, schlägt in dieselbe Kerbe.
Daneben zeigt sich Polke in den „Dualismen“ aber auch als Photograph mit Feinsinn, der nicht nur Zustände dokumentiert und dabei auch kommentiert, sondern auch an neuen Formalien und Produktionsprozessen interessiert ist. So sind seine Farbabzüge, die mit radioaktivem Gestein auf Fotoplatten entstanden, verfahrenstechnisch in der Kunstwelt zwar keine Neuigkeit, zeitigen aber dennoch faszinierende Ergebnisse.
„Die Dinge sehen wie sie sind“ (1992) ist das erste Bild der Präsentation. Höhere Wesen befahlen: halte dich daran.
Städtische Galerie Karlsruhe, Lorenzstraße 27, bis 12. Juni,, Katalog:
herausgegeben vom Kunstforum Ostdeutsche Galerie und der Städtischen Galerie Karlsruhe;
Regensburg, Verlag Friedrich Pustet, 2021