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Auf dem großen Platz
zwischen fremden
Gesichtern huscht mir
einsam
ein Lächeln entgegen.
Ich nehme es auf,
stecke es in
meine Umhängetasche
und laufe
fröhlich fort.
Eines der Gedichte von Sëping, die also auch schreibt, aus ihrem Buch „Augen-Lied“ von 1986.
aus dem Katalog “Ifu und Tiandis“ von 1998:
Fremde Lichter
auf der Erde
liegen matt,
eingebettet in
hellere Flecken
und ich kenne
sie nicht
erzählt uns die Künstlerin hier vom Scheitern (vielleicht so, wie einst Martin Kippenberger in seinem abgrundtief guten Humor fomulierte; “Erfahrungen erweitern durch Scheitern“)?
Nein, ich glaube nicht. Eher scheint mir das Gegenteil der Fall zu sein: Sinnliche Wahrnehmungen und deren enorme Intensität sind Gegenstand der Worte, der Metaphern,die sie wählt um dann gleich zu erkennen,daß eben diese Worte, daß selbst die schönsten, die gelungensten Metaphern nicht heranreichen an die Unmittelbarkeit des Lebens.
Wir sind also wieder mittendrin. Wie komme ich jetzt von der Lyrik zur Bildenden Kunst? Ganz einfach: die Arbeiten, aufgrund derer ich Sëping kennenlernen wollte, haben den Titel „Lese-Art“. Und tatsächlich erläutert die Künstlerin die Verschiedenheit der einzelnen Arbeiten als “verschieden in der Grammatik“ – es gibt verschiedene Linien, verschiedene Dichten, verschiedene Anfühlweisen.
Oft wird Sëpings Kunst, aufgrund dieses Namens, den sie in China erhalten hat, interpretiert im Fokus auf asiatische Kunst. Sie lebte von 1988 bis 1992 in Peking und studierte dort an der Zentralen Akademie der Bildenden Künste.
Die Künstlerin formuliert auf ihrer Website selbst, klarer als ich dies könnte, worum es ihr geht:
„Ostasiatische Denkweisen mit Nähe zur Natur und Streben nach Harmonie sind für mich eine bedeutende Quelle der Inspiration. Vier Jahre Leben und Wirken in China und das Studium der Malerei an der Zentralen Akademie der Bildenden Künste prägten mich auf eine besondere Weise: Die Heimat wurde mir fremd und das Fremde vertraut. Zentrale Fragen des menschlichen Daseins, Gedanken an Leben und Tod begleiten meine Arbeit. Diese inneren Dialoge will ich als künstlerischen Prozeß sichtbar machen.
Viele erinnern sich vielleicht an den ziemlich genialen Film „Enemy mine“, in welchem ein Mensch und ein Außerirdischer durch Zufall aufeinander angewiesen sind, weil sie nur durch gegenseitige Hilfe überleben können. Hier wird sichtbar: das Fremde ist ein Teil eines jeden von uns.
Eine unglaublich vielschichtige Dialektik eröffnet sich: wie so oft bringt Franz Kafka dies genau auf den Punkt – natürlich in der “Verwandlung“. Vom Medium Film her kommen wir schnell auf „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“. Das Böse – aber auch die positive Aggressivität im Sinne einer radikalen Lebensbejahung – sind Teil von uns. Der “Incredible Hulk“ zeigt gar die Denkmöglichkeit “absoluter Freiheit“.
Sëping hingegen zeigt uns, daß wir Heimat finden können, wenn wir deren Fremdheit erfahren haben und akzeptieren. Heimat ist, wenn sie ist, in uns. Marcel Reich Ranicki spricht in seiner Autobiographie (Mein Leben, 2004) von der deutschen Literatur als seiner “portativen Heimat“, die er im Kopf bei sich trägt.
Seping formuliert Heimat als Bildende Kunst: von Geist beseelte Sinnlichkeit.
Worte dafür habe ich nicht, aber es beschriebe diese Synthese:
vertrauter Fremde und fremde Heimat.
Jürgen Linde im Februar 2006