LebensZeichen – über Brigitte Neufeldt

Brigitte Neufeldt im Internet:
E-Mail: neu.brig47@googlemail.com

Uno due Tree –der Titel des Künstlerkataloges, welchen mir Brigitte Neufeldt mitgebracht hat – vor inzwischen bestimmt zwei Jahren, nachdem wir uns bei einer Ausstellung kennen gelernt und dieses Künstlerinnenporträt hier vereinbart haben. Ein Buch, ein Katalog (ISBN 978-3-00-025325-6) zur Kunstausstellung zum Thema Bäume (Tree) im Umweltbundesamt Dessau 2008.

Videostill aus „video sichten audio sichten“
© Brigitte Neufeldt, VG Bildkunst Bonn 2020

Brigitte Neufeldt hat als Künstlerin und vor allem als Kuratorin an der gleichnamigen Ausstellung im Umweltbundesamt mitgewirkt. Dank Ihr konnte dieser Katalog verlegt werden.
Wir bleiben beim Thema: Sprache und Bildende Kunst. In unserem letzten Künstlerinnenporträt hatten wir erstmals über eine Lyrikerin – Barbara Zeizinger – und deren Arbeit geschrieben. Einfacher als vielleicht geahnt schließt sich der Kreis: Bilder und Farben sind ja immer Gegenstände und Inhalte der Lyrik und schon mit dem Titel dieses Porträts – “mit dem blau weit draußen“ – fanden wir aus der Lyrik zurück zur Bildenden Kunst.

Offenbar sind beide Welten gleichermaßen sehr wichtig für unser Verhältnis zur (und für unsere Wahrnehmung der) Welt – und unsere Reflexion dieser Wahrnehmung.

Brigitte Neufeldt ist eine Bildende Künstlerin, die sich immer schon intensiv mit Sprache auseinandergesetzt hat. In ihrem Beitrag zum oben benannten Katalog („Von Bäumen und Menschen“) verarbeitet sie einen Text von Bertolt Brecht: sie bezieht sich auf Brechts bekannten „Herrn Keuner“, welcher seine besondere Beziehung zu Bäumen erklärt, die hoffentlich etwas “an sich haben, was nicht verwertet werden kann“.
Als gelernte Altenpflegerin hat sich Brigitte Neufeldt in den 90ern mit aller Kraft der Kunst zugewandt: Zunächst studierte sie Freie Kunst in Saarbrücken. Später folgte das Studium “Multimedia und Autorschaft“ an der Martin-Luther-Universität-Halle/Saale am Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaften.

grosser berg | Öl auf Leinwand, 60 cm x 50 cm
© Brigitte Neufeldt, VG Bildkunst Bonn 2020

Diese disziplinübergreifende Ausbildung barg die Möglichkeiten, außerhalb enger künstlerischer /medialer Schubladen zu agieren. Brigitte Neufeldt nutzt virtuos alle ihr verfügbaren Medien – von der Zeichnung bis zum Videofilm – zur Umsetzung ihrer künstlerischen Vorstellungen und Absichten. ihr Blick auf Sprache geht Hand in Hand mit ihrem Interesse an der Schaffung von “Kommunikationskunst“.

Brigitte Neufeldts Arbeit nun fasziniert mich durch ihre Klarheit. Ihre Bilder, auf den ersten Blick durchaus eher farbstark und stimmungsgewaltig, zeichnen sich genauer betrachtet durch eine konzentrierte Zurücknahme aus. Klare, strukturell einfache Zeichen stehen im Mittelpunkt der Arbeiten, die damit im allerbesten Sinne als reduziert zu betrachten sind.
Für ihre Website, deren Besuch unbedingt zu empfehlen ist, hat Brigitte Neufeldt eine Navigation entwickelt aus Zeichen, die sie aus Ästen, aus ganz natürlichen Formen also, gestaltet hat – für mich nenne ich sie LebensZeichen“.Diese eigenwillige und schlicht geniale Verbindung aus Schriftzeichen und Bildern erinnert uns an sehr frühe Kulturen (etwa auch die ägyptische), aber auch ganz aktuell an die chinesische Schrift.
Sichtbar werden hier Verbindungen zwischen Zeichen und Wort, zwischen Sprache und Bedeutung, zwischen Zeichen und Bild. Ein Zusammenhang, der uns in unserem „modernen“ abstrahierenden Denken kaum mehr bewusst ist.

KI

KI | © Brigitte Neufeldt, VG Bildkunst Bonn 2020

Selbst gelernter Soziologe, denke ich bei “Sprache“ immer auch an deren Zusammenhänge zu Macht und Herrschaft, wie sie einst von Horkheimer und Adorno unter dem Aspekt der “instrumentellen Vernunft“ überzeugend analysiert wurden. Später hat dann Peter Sloterdijk in seiner “Kritik der zynischen Vernunft“ (1983) dargelegt, wie diese Machstrukturen sozusagen schon in der Genesis“ sichtbar werden: Am sechsten Tag der Schöpfung erst schuf Gott nach seinem Ebenbild uns Menschen, was uns Menschen “eigentlich“ eine gewisse Bescheidenheit nahe legen sollte – eigentlich:
Denn dann bekam Adam die Aufgabe/(das Recht?), den Tieren und Pflanzen Namen zu geben…Sprache wird hier als Machtausübung wesentlich erkennbar.

Nun zurück zur Kunst, aber wie?
In diesen Metaphern der Bibel wie der Kritischen Theorie (eine interessante Verbindung) erscheint uns die Sprache als ein Werkzeug der Entfremdung. Der Entfremdung zwischen uns Menschen und unserer inneren und äußeren Natur.

Dies wiederum verweist dialektisch auf die wünschenswert erscheinende Überwindung dieser Entfremdung. Zu diesem – seit etwa 250 Jahren bekannten Terminus – assoziiere ich moderne Begriffe wie etwa, als „Gegenbegriff“, „Ganzheitlichkeit“. Aber ist nicht auch ganze Projekt der Romantik darauf ausgelegt, eine Verbindung aller Sinne (aller sinnlichen Wahrnehmungen, des Äußeren und des Inneren) zu “rekonstruieren“, eine Einheit, von der wir nicht wissen, ob es sie jemals gab. Außer wir begnügen uns mit idealisierten(?) Vorstellungen des Lebens früherer Kulturen, so wie wir den Indianern gerne eine harmonische Existenzweise im Einklang mit der Natur zuschreiben.
In Sloterdijks Bild ist uns die Entfremdung schon von Gott in die Wiege gelegt; wir sind Gefangene und, wie es aussieht: die Sprache ist das Gitter.

Und die Sprache erweist sich als starkes Werkzeug: mit ihrer Hilfe benennen wir die Dinge nicht nur, wir setzen sie in Zusammenhänge, die wir als (Natur-)gesetze erkennen und beschreiben – die Wissenschaft, Teil unserer Herrschaft über die Natur, basiert auf Sprache. In der Genetik analysieren wir etwa die DNA mit Mitteln der Sprache – die einzelnen Säurebausteine identifizieren wir durch Buchstaben, die wir dann durchaus neu kombinieren, formulieren können.
Wir erinnern uns: „Language is an virus from OuterSpace.“ (William S. Burroughs).

„…es steht geschrieben“; Öl auf Leinwand, 80 x 60cm
© Brigitte Neufeldt, VG Bildkunst Bonn 2020

Aufklärung – Ratio und Wissenschaft haben die Herrschaft der Menschen über die Natur erweitert, was, global und historisch betrachtet, durchaus mit einem Zuwachs an Freiheit und Wohlstand einhergeht. Ein Zuwachs aber, den wir bezahlen müssen: mit einer existentiellen Entfremdung. Wissenschaft und Technik dienen der Kontrolle, der Macht, nicht aber der Sinnstiftung und der Transzendenz.

Noch ein Gedankensprung: in George Orwells Newspeak (1984) wären Begriffe wie Gefängnis, Gitter, etc. zweifellos verboten; Orwells geniale Grundidee war, dass (Bewusstseins- und reale) Zustände wie etwa Gefangensein nicht mehr existieren, “verlorengehen“, wenn es kein Wort mehr gibt, um diese zu benennen.
So wie aus zwingenden Gründen in der Welt von 1984 keine Kunst existiert, weder der Begriff noch irgendeine künstlerische Praxis – außer eben dem Widerstand.

Die Sprache ist das Gitter. Vielleicht ist Kunst der öffnende Schlüssel?
Bäume und Natur insgesamt sind immer schon gleichzeitig Gegenstände der Lyrik wie der bildnerischen Kunst.

Wenn wir die Bilder in die Schrift „zurückholen“ und die Sprache bildhafter machen, so nähert sich die Sprache einer Metasprache der Sinnzusammenhänge – der Kunst.
Von der gewöhnlichen Sprache unterscheidet sich Kunst jedoch ganz wesentlich dadurch, dass normale Sprache implizit auf Klarheit abzielt, eindeutige Bedeutungen ausdrücken will, verbindlich für alle. Nur so erfüllt sie ihren Zweck der Verständigung (J. Habermas; Theorie des kommunikativen Handelns) .
Kunst hingegen ist ohne solche Absicht, eine wesentlich individuelle Angelegenheit: wir können sagen: das Wesen der Kunst ist Freiheit.

SAN

SANI | © Brigitte Neufeldt, VG Bildkunst Bonn 2020

Mit ihrer künstlerischen Arbeit zeigt uns Brigitte Neufeldt, dass die Kunst noch immer die Kraft hat, alles, auch die Sprache, zu integrieren. 1984 haben wir längst hinter uns gelassen. In totalitären Staaten sind es heute Medien (das Internet als sehr schwer kontrollierbares Kommunikationsmedium, handygefilmte Videos, Twitterbeiträge etc. als Medieninhalte), die der Freiheit dienen.
Die heute in Deutschland sehr lebendige Lyrikszene zeigt, dass die Sprache für Kunst und Freiheit noch lange nicht verloren ist. Während Sprache und Gedanken durch reale Gitter (etwa eine Gefängistür) letztlich nicht gestoppt werden können, wird es schwieriger, wenn wir die Sprache selbst als Gitter erkennen:
Hier eben bedarf es der Lyrik, der Bildhaftigkeit. Denn damit geht die Sprache über sich selbst hinaus und transzendiert ihre Grenzen.

Worte, Zeichen und lyrische Bilder lesen und empfinden wir jetzt als
LebensZeichen.

Jürgen Linde im Januar 2010