Ethik des Lichts – über Mischa Kuball

Mischa Kuball im Internet: |
Websites: | www.public-preposition.net | www.mischakuball.com
E-Mail: redaktion@mischakuball.com

Aktuelle Ausstellungen und Projekte von Mischa Kuball:

Ethik des Lichts – über Mischa Kuball:
„Lebt und arbeitet in Düsseldorf“ – diese Formulierung finden wir in sehr vielen Künstlerbiographien. Bei Mischa Kuball wäre dies so auch nicht falsch, aber sehr unvollständig. Korrekt müsste man schreiben: „Mit Wohnsitz in Düsseldorf arbeitet der Künstler global“.

Porträt Mischa Kuball, 2017
Foto: Archiv Mischa Kuball Düsseldorf, @ Daniel Biskup, Wittenberg

Seit über 40 Jahren ist der Licht- und Konzeptkünstler international unterwegs mit Projekten, die er mal in Rio, Montevideo, Wolfsburg, Kattowitz, oft im Ruhrpott oder in Berlin und derzeit unter anderem am Starnberger See präsentiert.

Fast immer ist es Kunst, die er im öffentlichen oder im institutionellen Raum inszeniert; manchmal möchte man sagen: zelebriert. Großes Theater mit hohem intellektuellen und organisatorischen Aufwand. Kunstprojekte, die dann am Ende in der Präsentation leicht wirken – leicht, aber alles andere als schwerelos.

Wir wollen versuchen, zu verstehen, was Mischa Kuball eigentlich tut und warum uns dies so fasziniert. Die Vielfalt der Projekte des Künstlers übersteigt bei weitem den Rahmen eines kunstportal-bw-Porträts. Wir verweisen deshalb auf die Website www.public-preposition.net und empfehlen auch, etwas Zeit zu investieren für die Videos zu den bisherigen Projekten, die dort, bzw. auch via Google leicht zu finden sind und die einen sinnlichen Eindruck der Inszenierungen vermitteln.


Mischa Kuball: Refraction house, 1994, Lichtinstallation; Synagoge Stommeln, Pulheim /DE; Foto: Hubertus Birkner, Köln / © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf/ VG Bildkunst, Bonn 2021

Unbedingt erwähnen möchte ich hier Kuballs „Refraction House“ (1994): Hier hat der Künstler eine Synagoge (in Stommeln hat eine kleine Synagoge das Jahr 1938 überstanden) mit Licht von innen geflutet, wodurch die das Gebäude selbst und damit die deutsche Geschichte den Weg in das Bewußtsein der Anwohner und der Besucher geschaffen hat. Hierzu mehr auf der Website.

Die deutsche Geschichte und der Holocaust sind immer wieder zentrale Themen des Künstlers. Nun wollen wir uns auf ein Beispiel fokussieren, das uns repräsentativ für Kuballs Arbeit erscheint:

Von September 2017 bis September 2019 hat Mischa Kuball im Jüdischen Museum Berlin eine – im besten Sinne spektakuläre – konzeptuelle Licht- und Klang-Installation präsentiert.

»res·o·nant«
Das Jüdische Museum Berlin präsentierte mit res·o·nant eine begehbare Licht- und Klanginstallation des Konzeptkünstlers Mischa Kuball. Die ortsbezogene Installation wurde eigens für die Ausstellungsfläche im Untergeschoss des Libeskind-Baus geschaffen. Auf insgesamt mehr als 350 Quadratmetern bespielt res·o·nant zwei der fünf den Museumsbau vertikal durchziehenden Voids. In den 24 Meter hohen Räumen werfen rotierende Projektoren Lichtfelder in Form der Void-Grundrisse an Wände, Decken, Boden sowie auf den Besucher selbst, der vom Betrachter zum Teil der Installation wird. Diese symbolischen Leerstellen, auf deren Materialität, Wirkung und Bedeutung sich Mischa Kuball bezieht, bilden den Ausgangspunkt für res·o·nant. Ebenso wird mittels sich drehender Spiegelelemente und Stroboskop-Blitze eine Resonanz zwischen Architektur und Körper erzeugt sowie ein Wahrnehmungs- und Reflektionsprozess anregt. Verstärkt wird die Installation durch das akustische Element von 60-sekündigen Sound-Dateien, eingereicht von über 200 MusikerInnen in einem Open Call.
[Zitat: Mischa Kuball, Website des Künstlers]

Mischa Kuball: res·o·nant , 2017;
Licht- und Klanginstallation im Jüdischen Museum Berlin 2017-2019
© Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021

VIDEO DOCUMENTATION / Institut für Kunstdokumentation

Wie bei vielen Projekten Kuballs beginnt das Kunsterlebnis mit einer Irritation: Kein Bild hängt an den Wänden, keine Skulptur steht im Raum – die normalen Erwartungen der Besucher werden nicht bedient. Was für viele vielleicht zuerst frustrierend wirkt, erweist sich dann als Beginn eines Prozesses, den der Künstler, der ja auch Kommunikationsspezialist ist, ganz bewusst initiiert hat.

Unsere normalen Erwartungen an eine Ausstellung werden uns erst dann als ebendiese bewusst, wenn sie nicht erfüllt werden. Kuballs Präsentation reflektiert den normalen Ausstellungsbetrieb; gewissermaßen schiebt der Künstler hier eine Meta-Ebene ein, er fragt uns und wir fragen uns selbst, „was eigentlich bedeutet „Ausstellung“?

So entsteht Raum zum Nachdenken: wenn wir unsere Klischee-Vorstellungen der Kunstpräsentation im White-Cube beiseiteschieben, schaffen wir Platz für Neues – Offenheit hoffentlich.

Sehr treffend beschreibt die Medienkunstexpertin  Yukiko Shikata, wie Kuball das Medium Licht verwendet: „Die phänomenologischen Effekte von Lichtern – ausstrahlen, sichtbar machen, Aufmerksamkeit auf etwas lenken – werden so eingesetzt, dass das dadurch aktivierte Bewusstsein des Betrachters über die symbolischen Konnotationen des Lichte selbst hinausgelangt.“ („Macht der Codes – Raum für Erde“ in Mischa Kuball: …in progress“ Werke 1980 bis 2007)

Mischa Kuball: res·o·nant, 2017 ; Licht- und Klanginstallation im Jüdischen Museum Berlin 2017 -2019 | © Foto: Alexander Basile, Köln; © Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Und hier gelingt Mischa Kuball ein großer Schritt: ich denke ein Erkenntnisfortschritt.

Mit seiner ausgefeilten Licht- und Soundinstallation wechselt Kuball, in Peter Weibels Terminologie ausgedrückt, von der raumbasierten Kunst (die weiterhin unsere Schubladenvorstellungen der Bildenden Kunst dominiert) zur zeitbasierten Kunst – hier zur Performance. Um dann gerade damit den Raum neu ins Spiel zu bringen: die Lichtschau macht den Raum, den architektonischen Raum als solchen bewusst; Licht und Klang modellieren den Raum. Das Jüdische Museum Berlin thematisiert auch in seiner Architektur die jüdische Geschichte in Deutschland und damit den Holocaust; wichtig sind (wie oben beschrieben) hier insbesondere die „Voids“, die als symbolische Leerstellen an die ermordeten Juden erinnern sollen.

In den 24 Meter hohen Räumen warfen rotierende Projektoren Lichtfelder in Form der Void-Grundrisse an Wände und Decken. Mittels drehender Spiegelelemente und Stroboskop-Blitze entstand eine „Resonanz zwischen Architektur und Haut“, so der Künstler.
(Gregor H. Lersch, Kurator des Jüdischen Museums in seinem Text zur Schau)

Resonanz, das Mitschwingen, können wir hier verstehen als ein Empfinden, als eine Verbindung zwischen Kunstwerk und Rezipienten. In diesem Sinne schreibt Gregor H. Lersch, dass Resonanz in diesem Kontext zu einem Gegenbegriff zur Entfremdung wird.

Entfremdung – ein Begriff aus der politischen Soziologie, den wir spätestens seit Erich Fromm heute zuerst psychologisch auffassen. Wie können wir unter diesem Aspekt Mischa Kuballs künstlerische Arbeit besser verstehen?
Mit seinen (zwangsläufig recht abstrakten) Licht- und Sound-Inszenierungen thematisiert er wohlausgewählte Räume und verhandelt damit deren Architektur und eben auch deren spezifische Geschichte. Für uns als Betrachtende – besser: als Erlebende – öffnet er neue Denk- und Wahrnehmungs-Räume, bzw. Horizonte, die über unsere eigene/kollektive Geschichte hinaus bis hin in unsere eigene Persönlichkeit reichen können. Hier wirkt Kunst durchaus auch identitätsbildend und ist somit eminent politisch.
So schrieb Peter Weibel („Lichtpolitik“ in Mischa Kuball: „…in progress“ Werke 1980 bis 2007) in seinem erhellenden Essay:
Kuball verwendet seine Video- und Diaprojektionen, seine Lichtinstallationen dazu, über die Immaterialität des Lichts die Schwerkraft des historischen Materials, die Gravitation der Geschichte, in den leeren Raum der Kunst miteinzuführen

Mischa Kuball: res·o·nant, 2017 Licht- und Klanginstallation im Jüdischen Museum Berlin 2017-2019; © Jüdisches Museum Berlin, Foto: Ladislav Zajac / Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf / VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Treue kunstportal-Porträt-LeserInnen wissen, dass ich das Politische in der Kunst immer daran festmache, dass Kunst die Kontingenz der Wirklichkeit sichtbar macht.
Indem Kuball das Medium Licht gesellschaftlich und politisch kontextualisiert, wirkt er im besten Sinne der Aufklärung. Und bleibt dabei selbstkritisch wie Immanuel Kant, der auch in seiner „Praktischen Vernunft“ keine Regeln oder gar Vorschriften formuliert.
Mischa Kuball interpretiert seine Arbeiten nicht selbst. Doch mit seiner überaus reflektierten und reflektierenden Kunst schafft er Klarheit in unserem Denken, stellt Zusammenhänge her, historische und politische Bezüge, zu denen wir uns dann selbst verhalten können. Diese Freiheit macht er uns bewusst und auch die darin liegende Verantwortung.

Insofern entwickelt Mischa Kuball in seiner besonderen künstlerischen Praxis eine
Ethik des Lichts.

Jürgen Linde im November 2021