Kunst_Alltag – über Isabell Schenk-Weininger

Künstlerporträts im kunstportal baden-württemberg | Kunstvermittler-Porträts

Die Direktorin der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen, Dr. Isabell Schenk-Weininger, ist eine der besonderen AusstellungsmacherInnen in Baden-Württemberg, die wir deshalb nun hier, in der Reihe unserer Porträts, vorstellen:

Im März 2017 haben wir begonnen, den immer umfangreicher gewordenen Bereich der (längst über 200) kunstportal-bw-KünstlerInnenporträts inhaltlich dahingehend zu erweitern, dass wir auch KunstvermittlerInnen präsentieren; aus gutem Grund: „Niemand weiß, was Kunst ist“ – dieses Zitat des Karlsruher Kunstgeschichtlers/wissenschaftlers Hans Belting haben Sie schon mehrfach in unserer Reihe gelesen. Diese von Prof. Belting überzeugend begründete und in ihrer Radikalität erfrischende Aussage ist wohl wahr.
Und dennoch – die KunstvermittlerInnen, die uns ja auch keine Definition „Kunst ist: 1. / 2. / 3. (…)“ liefern, sind ja offenbar doch „irgendwie“ näher dran, haben eine Idee, eine Vorstellung, die es ermöglicht, den Menschen die Kunst näher zu bringen:

„Out of Office. Büro-Kunst oder das Büro im Museum“

Hilfreich erscheint mir deshalb, Arbeit und Vorgehensweisen besonders interessanter KunstvermittlerInnen genauer anzuschauen, um so der Kunst näher zu kommen, auch wenn wir nicht erwarten, das Geheimnis zu lüften. Wäre ja auch schade: das Geheimnis wäre kaputt. Ähnlich wie die „Chaosforschung“ im Erfolgsfall das Chaos zerstören könnte…
Damit sind wir bei der Büro-Kunst: Im Chaos auf meinem Schreibtisch finde ich alles; eine Fähigkeit, die Besucher hier sinngemäß so beschreiben: “das ist auch eine Kunst“.

Mit „Out of Office“ gelingt es Isabell Schenk-Weininger einmal mehr, Kunst und Alltag als zwei Aspekte ein und derselben Welt – unserer Lebenswelt – in einen Zusammenhang zu setzen, besser: diesen Zusammenhang sichtbar und erlebbar zu machen.

Denn genau hier liegt das Besondere: in Isabell Schenk-Weiningers kuratorischer Arbeit finden wir, bei aller Vielfalt der Themen mit monografischen und Gruppenausstellungen zur Klassischen Moderne und zur zeitgenössischen Kunst, letztlich einen roten Faden, den ich als „kuratorischen Duktus“ bezeichnen möchte.

Wie sie das schafft, wollen wir nachfolgend veranschaulichen anhand einer kleinen Auswahl der Ausstellungen, die Isabell Schenk-Weininger von Idee und Konzept bis zur Realisierung gestaltete: Nachfolgend einige Beispiele, die sie jeweils selbst erläutert:

„Krieg Medien Kunst. Positionen deutscher Künstler seit den sechziger Jahren“
(23.10.2004 – 09.01.2005)

Isabell Schenk-Weininger: Die 2004/05 realisierte Ausstellung „Krieg Medien Kunst. Positionen deutscher Künstler seit den sechziger Jahren“ basiert auf meiner Dissertation. Die beteiligten deutschen Künstler entstammen Generationen, die selbst keinen Krieg erlebt haben, sondern vom Zweiten Weltkrieg über Vietnam- und Golfkrieg bis hin zum Irakkrieg größtenteils durch unterschiedliche Medien vermittelt bekamen. Herausgearbeitet wurde, dass sie die Vermittlungs- und Erinnerungsmedien in ihren Kunstwerken neben der Kriegsthematik selbst mitthematisieren und damit die jeweiligen gesellschaftlichen Deutungs- und Erfahrungsprozesse vielfältig reflektieren: die Kriegsberichterstattung der Massenmedien – Zeitung, Fernsehen und Internet – ebenso wie Denkmale und Orden, historisch belastete Symbole und Gesten, Amateurfotografie und individuelle mündliche Erzählungen. Andere Werke rekurrieren auf wissenschaftliche Visualisierungsformen wie Kartografie und auf Medien, die dem militärischen Blick dienen, wie Luftaufnahmen und Radar. Ein weiterer Aspekt waren die unterschiedlichen künstlerischen Strategien. In der Ausstellung wurden Werke, die eindeutig Stellung beziehen und Aufklärung betreiben, neben solchen präsentiert, die ambivalent bleiben, oder solchen, die einen ernsthaften Umgang mit der Thematik gar verweigern und damit den an Kunst gestellten Anspruch, gesellschaftlich relevant zu sein, hinterfragen.

„Es werde Dunkel! Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst“
(24.10.2009-10.01.2010)

Isabell Schenk-Weininger: Griff 2006/07 eine „Home Stories“ betitelte Gruppenausstellung zum Thema Wohnen in der zeitgenössischen Kunst“ ein Alltagsphänomen auf, das wirklich jeden betrifft, wurde dies 2009/10 mit der Schau „Es werde Dunkel! Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst“ fortgesetzt, in welcher Gemälde, Fotografien, Filme und Installationen von zwanzig Künstlerinnen und Künstlern zu einer Vielzahl von Aspekten der Nacht zu sehen waren. Die Dunkelheit, in der die Konturen verschwimmen, der Raum sich aufzulösen und die Zeit langsamer zu vergehen scheint, kann bis heute – trotz Elektrifizierung – höchst unterschiedliche, doch stets intensive Empfindungen auslösen. Seit jeher beschäftigt so die Menschen das Thema der Nacht mit all seinen widersprüchlichen Phänomenen im Alltag, in Erzählungen und in der Kunst.

„Es werde Dunkel! Nachtdarstellungen in der zeitgenössischen Kunst“
(24.10.2009-10.01.2010)

Die Ausstellung untersuchte, welche Stränge der Tradition des Nachtstücks in welcher Form weiterleben. Prägend ist neben der älteren Kunstgeschichte für eine Reihe von Künstlern auch die Bilderwelt des Kinos mit ihren vielfältigen nächtlichen Szenerien. So wurden die Ausstellungsbesucher mit in Dunkelheit getauchten Landschaften und hell erleuchteten Großstadtnächten, mit einsamen, nur vom Mond begleiteten Autofahrten und grellen, von Partygängern bevölkerten Clubnächten konfrontiert. Die Künstler interessieren sich gleichfalls für die erholsame Ruhe von der Hektik des Tages wie für die im Dunkeln lauernden Ängste, für das Betrachten des unendlichen Alls ebenso wie für das Abtauchen in die innere Traumwelt.

„Von Tagebuch bis weblog – Tägliche Strategien in der Gegenwartskunst“
19. Oktober 2013 – 06. Januar 2014

Isabell Schenk-Weininger: Ausgehend vom Prinzip des Tagebuches – einem Phänomen, das für gewöhnlich unter literarischen, soziologischen, psychologischen und kulturhistorischen Aspekten beleuchtet wird – widmete sich 2013/14 die Ausstellung„Von Tagebuch bis weblog“ den täglichen Strategien in der Gegenwartskunst. Per definitionem ist das Tagebuch eine autobiografische Aufzeichnung, die durch Subjektivität, Regelmäßigkeit und Chronologie gekennzeichnet ist. Seit den 1960er Jahren entwickeln Künstlerinnen und Künstler in verschiedenen Medien täglich oder kontinuierlich fortschreitende Werkkonzepte: von schriftlichen Notaten über serielle Malerei bis hin zu fotografischen und filmischen Visual Diaries.

„Von Tagebuch bis weblog – Tägliche Strategien in der Gegenwartskunst“
19. Oktober 2013 – 06. Januar 2014

So exponieren sie – zwischen Selbstdarstellung und Selbstreflexion – ihre eigene Person und machen ihren privaten Alltag öffentlich oder aber sie entwerfen nur vermeintlich authentische Ego-Dokumente in fiktiven Inszenierungen. Dem Ausstellungsprojekt ging es jedoch nicht vorrangig um den Aspekt der Intimität und der Ichbezogenheit. Vielmehr stand bei der Künstlerauswahl die tägliche Strategie, die Kulturpraxis der (Tages-)Taktung im Vordergrund. Und so spannte die Ausstellung einen weiten Bogen bis hin zur künstlerischen Auseinandersetzung mit der aktuellsten Form des Tagebuchs, dem weblog, in dem die einstmals intime Privatheit öffentlich und kollektiv wird.

Isabell Schenk-Weininger: Die Ausstellung »Was ich mit mir trage…« Gepäckstücke und ihre Fluchtgeschichten, die 2017 realisiert wurde, war außergewöhnlich, weil es keine reine Kunstausstellung war. Im Zentrum der Ausstellung standen zwei raumgreifende künstlerische Installationen: Die zehn Meter lange, aus mehr als 150 Reisetaschen und Koffern bestehende „Koffermauer – Klagemauer“ (1976/78) von Raffael Rheinsberg versperrte den Besuchern der Städtischen Galerie den Durchgang; die Installation „Migration VII“ (2000) von Sabine Braun wiederum umfasst mehr als 60 geöffnete Koffer mit fotografischen Leuchtkästen, die Wasseroberflächen und Porträts von Migranten zeigen. Neben den beeindruckenden künstlerischen Arbeiten wurde in der Ausstellung eine vor Ort durchgeführte Recherche dokumentiert. Da Flucht ein ebenso hochaktuelles wie stets wiederkehrendes gesellschaftliches Phänomen darstellt, wurden verschiedene Personengruppen einbezogen: aktuelle Flüchtlinge ebenso wie aus der DDR geflohene und nach dem Zweiten Weltkrieg vertriebene Personen, die alle in Bietigheim-Bissingen leben. Und da Flucht ein sehr komplexes Thema ist, richtete die Ausstellung den Fokus auf einen spezifischen Aspekt: auf die Gepäckstücke und Gegenstände, die flüchtende Personen mit sich tragen. Neben Auszügen aus den geführten Interviews wurden auch Gegenstände, die aus der Heimat mitgebracht wurden – Lebensnotwendiges ebenso wie Erinnerungsstücke –, in den Museumsräumen präsentiert. Die Ausstellung stellte damit existenzielle Fragen: nach unseren – im Wortsinn – Habseligkeiten ebenso wie nach dem Bedeutungsverlust von Besitz in einschneidenden Lebenssituationen wie Vertreibung und Flucht.

Isabell Schenk Weininger | © Foto: Sabine Braun, Stuttgart

Zusammenfassend können wir Isabell Schenk-Weiningers Vorgehensweise etwa so charakterisieren: die Kuratorin, die auch Empirische Kulturwissenschaftlerin ist, nimmt ihre Themen sowohl aus der Kunst, die sie berufsbedingt bestens kennt, als auch gleichzeitig aus dem realen Leben, aus ihrer Lebenswelt, die ja eben auch unsere Lebenswelt ist.

Isabell Schenk Weininger | © Foto: Sabine Braun, Stuttgart

Und so entsteht Vermittlung: eine Verbindung zwischen Themen, die wir sowieso kennen, die uns vertraut sind (“Nacht“) hin zu der Reflexion dieser Themen mit verschiedensten künstlerischen Mitteln; hier entstehen neue geistige Räume: Sichtweisen, die wir noch nicht kannten, werden erfahrbar und zugänglich , Schenk-Weininger schafft einen sinnlichen Einstieg zur Kunst für interessierte, offene Menschen – einen fast schon intuitiven Zugang.
Isabell Schenk-Weininger entdeckt den Alltag in der Kunst und bringt uns die Kunst in den Alltag; eine besondere Verbindung. Wir nennen es einfach:

Kunst_Alltag
Jürgen Linde im Februar 2018