Franz Erhard Walther – Raum durch Handlung

Franz Erhard Walther habe ich persönlich kennen gelernt beim Pressegespräch zu seiner Ausstellung im Karlsruher ZKM:
26.05.–09.09.2012 | Franz Erhard Walther – Raum durch Handlung

„Schreitsockel. Fünf Strecken, drei Stufen“, 1975; (Stahl, Stärke: 1 cm; 10 Teile 1200 x 400 x 8 cm)
© VG Bild-Kunst 2012/ Franz Erhard Walther; Foto: Timm Rautert

ZKM-Chef Peter Weibel, der die Ausstellung gemeinsam mit Andreas F. Beitin kuratiert hat, veranschaulichte dann bei einem ersten Rundgang durch die Ausstellung, die insgesamt vier Werkgruppen des Künstlers präsentiert, die Bedeutung der Arbeit von Franz Erhard Walther, den er in einem Atemzug mit Mondrian und Kandinsky nennt.

Für Walther, der von 1972 bis 1987 an jeder documenta (also documenta 5, 6,7 und 8) beteiligt war, ist dies die erste große Ausstellung in Karlsruhe.

Und diese “beginnt“ chronologisch, mit den (frühen) Fotografien.
Schon hier – oder vielleicht besonders hier – zeigt sich die Radikalität, mit der Walther seine Themen angeht. Mit dem “Versuch, eine Skulptur zu sein“ hinterfragt er nicht nur den Begriff der Skulptur, sondern auch den des künstlerischen Prozesses insgesamt: Kann die Fotografie einer Situation, die selbst nur wenige Sekunden dauert, ein Kunstwerk sein?

„Versuch, eine Skulptur zu sein“, 1958; Fotoaufnahmen im Arbeitsraum, Fulda, Wallweg 28, 1958
© VG Bild-Kunst 2012/ Franz Erhard Walther; Foto: Egon Halbleib

Wenn dies angesichts später entstandener Arbeiten etwa von Bruce Nauman heute niemand mehr anzweifelt, so hat Franz Erhard Walther den Weg bereitet.

Walther, der 1957-59 in Offenbach, 1959-61 in Frankfurt und 1962-64 in Düsseldorf studiert hatte, blieb in Deutschland zunächst unverstanden und wechselte deshalb 1967 nach New York.
“Bereits zwei Jahre später präsentierte er in einer Ausstellung im New Yorker MOMA seinen legendären »1. Werksatz« – eine 58-teilige Arbeit, die heute zur Sammlung des Museums gehört.“

Hierbei handelt es sich um Objekte aus Baumwollstoffen, Schaumstoff und Holz, die Walther jeweils auf den aktuellen Raum bezogen an den Wänden appliziert. In der aktuellen Ausstellung im Lichthof des ZKM | Museum für Neue Kunst ist es die den Fotografien gegenüberliegende Wand.

Die kompletten Schreitbahnen, die die gesamte Bodenfläche des Lichthofes – auf sehr großzügige Weise wohlgemerkt – füllen, zeigen am besten, warum Franz Erhard Walthers Arbeit immer wieder als partizipative Kunst bezeichnet wird: was man heute gerne, modisch und letztlich sehr unklar, unter den Begriff des Interaktiven zu fassen versucht sein könnte, hat bei Walther eine klarere Bedeutung:

Gegenüber und seitlicher Raumschluß“, 1976; (600 x 370 cm, Bahnen 30 cm breit 10 mm Stahl, Standstellen 20 mm stark 6 Teile); © VG Bild-Kunst 2012/ Franz Erhard Walther; Foto: Renate Anger

Die Bildobjekte dürfen und sollen benutzt, sollen betreten werden. Nicht zufällig oder beliebig allerdings, sondern bewusst und konzentriert. Wer sich auf die dafür vorgesehenen Stellen der Objekte positioniert, wird Teil des Kunstwerks – weniger für die Betrachter von außen, als für sich selbst: Perspektive und Körperbewusstsein ändern sich, durch die eigene Handlung entsteht ein anderes Raumempfinden, oft genug sicherlich entsteht hier auch erstmals ein Bewusstsein für den Raum, in dem man sich bewegt und über den man bislang nicht weiter nachgedacht hat.

Diesen radikalen Ansatz der Einbeziehung des Betrachters als aktiv Handelnden führt Walther weiter bis zur Titelfindung für seine Arbeiten: so gibt es etwa zwei Bodenskulpturen “Halbkreis, innen“ und “Halbkreis, außen“ – eine senkrechte Bahn entweder an der Innen- oder an der Außenseiite des Halbkreises bestimmt jeweils die Perspektive des teilnehmenden Betrachters.

Sichtbar wird hier einmal mehr die wichtige Rolle des Betrachters für den künstlerischen Prozess allgemein. Bei Walther wird der Betrachter gar Teilnehmer, also konstituierender Teil des Kunstwerkes – und des Raumes.

„Gerade und Halbkreis, gleiche Längen“, 1976
(Gerade 800 x 36 x 8 cm. 4 Teile Halbkreis 800 cm lang, 36 cm breit, 8 cm hoch, Ø 577 cm, 4 Teile 100 mm Stahl)
Sammlung IfA, Stuttgart, © VG Bild-Kunst 2012/ Franz Erhard Walther Foto: Renate Anger

Dies erinnert an Kant, der den Raum ja als Kategorie a priori unserer Weltwahrnehmung erkannt und beschrieben hat.
Franz Erhard Walther nun geht offenbar auch davon aus, dass der Raum nicht ohne betrachtendes Subjekt gedacht werden kann und dann fügt er noch einen ganz neuen Aspekt hinzu – den der Kausalität: Raum entsteht, Raum wird bewusst erst durch die eigene Bewegung, was wiederum den Aspekt der Zeit ins Spiel bringt.

Aus gutem Grund also haben die Kuratoren des ZKM diesen Ausstellungstitel gewählt:

Raum durch Handlung
Jürgen Linde im Mai 2012