Wurzeln und Flügel – über Barbara Karsch-Chaïeb

Barbara Karsch-Chaïeb im Internet: | Website: | www.lias-epsilon.net
Barbara.Karsch-Chaieb@gmx.de

Mich von dem Ort aus, der ich bin, immer wieder auf den Weg machen, um zu wachsen, indem ich Fragen stelle oder mich manchmal an Antworten versuche. Und etwas davon weitergeben an die Menschen, die ich begleiten darf. Auch ich selber bin einer von ihnen …
[ Der Karlsruher Künstler Paul Blau über sich selbst  in seinem Blog buendelblauebilder ]

Meinen Text über die in Stuttgart lebende Künstlerin Barbara Karsch-Chaïeb beginne ich mit diesem Zitat von Paul Blau (Martin Schmitt), dem 1996 ersten Künstler in der langen Reihe unserer kunstportal-bw-Porträts. Gerade am Morgen des Tages, an dem  ich mich auf den Weg machte, um endlich Barbara Karsch-Chaïeb kennen zu lernen – in ihrer aktuellen Ausstellung in der Galerie Wiedmann in Bad Cannstatt, hatte ich diesen Text entdeckt – und es erscheint mir ein guter Einstieg zu sein in die Arbeit dieser Künstlerin.

Barbara Karsch-Chaïeb vor einer ihrer Arbeiten; © Foto: privat

Künstlerische Arbeit, deren  Überkomplexität mich neugierig macht, mich herausfordert, nach einem roten Faden zu suchen, der uns einen Zugang gibt zu diesen Werken, die mal zwei-, mal dreidimensional präsentiert, immer auch einen konzeptuellen, philosophischen Rahmen haben.
Heimat, Erde, Zugehörigkeit und zuallererst Zeit sind die philosophischen Themen, mit denen sich Barbara Karsch-Chaïeb auseinandersetzt.
„Mich interessiert Zeit, die scheinbare Dehnbarkeit und Rastlosigkeit der Zeit, die Intensität und Ausdehnung eines Augenblicks in seiner Flüchtigkeit“ erklärt die Künstlerin

Ausstellungsansicht Galerie Wiedmann Bad Cannstatt,
von links nach rechts:
NaturForte, 2019: Papierstreifen auf Rahmen, 70 x 70 x 7 cm                            
Leben und Tod, 2018: Zeichnung auf Musik, Graphit auf Papier, 118 x 159 cm
Backup 2020, 2011: Objekt, Ölschiefer auf Papier, geschichtet, 25 x 17 x 20 cm, auf Sockel, 35 x 28 x 100 cm
Kreis aus Travertinstein und Erde aus Bad Cannstatt, 2020
© Künstlerin, VG Bildkunst Bonn, 2020; Foto: Ulrike Reichart

Aus Bildern, Skulpturen, Raumobjekten, Raum- und Bodeninstallationen und immer wieder auch Videokunst entsteht ein sinnlich intensives, gar überwältigendes Gesamterlebnis. Wie bei vielen Bildhauern spielt auch hier die Zeichnung eine wichtige Rolle: Barbara Karsch-Chaïeb zeichnet mit Material! Die Ausstellung in Bad Cannstatt, die auch retrospektiv angelegt ist und Werkgruppen aus verschiedenen Schaffensphasen der Künstlerin präsentiert, zeigt auch sehr gut diese zeichnerischen Elemente.

Immer wieder sind Erden und Steine ihre Materialien; Materialien, die sie von überall her selbst beschafft – wobei der jeweils konkrete Ort der Herkunft sehr wichtig ist für die Künstlerin, die auf ihren Reisen in der Welt ihre Materialien findet.
Oft entstehen gleich vor Ort schon erste Arbeiten, die manchmal am Entstehungsort bleiben und dokumentiert werden.
Nicht alle Steine aber kann Künstlerin selbst abbauen oder zerkleinern – zum Beispiel Lapislazuli oder Obsidan. In diesen Fällen greift sie zurück auf die spezialisierte Firma Kremer Pigmente.

Schwingung, Bewegung, 2001
Zeichnung, Serie mit 15 Blätter, Nr. 10, Schiefer blau-schwarz, Objektrahmen, je 32 x 42 cm, Privatbesitz, © Künstlerin, VG Bildkunst Bonn, 2020

Tatsächlich ist Zeit wohl das zentrale, das durchgängige Thema für Barbara Karsch-Chaïeb. Zeit aber nicht verkürzt auf Assoziationen wie Vergänglichkeit, Memento mori – Barbara Karsch-Chaïeb rückt stattdessen gleich die Erdgeschichte in den Fokus. Nicht zufällig lautet die Domain der Künstlerin lias-epsilon.net: Sie erklärt selbst in einem ihrer Kataloge: Der Lias epsilon gehört dem Schwarzen Jura an, der sich vor 200 – 180 Millionen Jahren durch Ablagerungen in einem tropischen Meeresarm bildete.

Aus Steinpigmenten entwickelt sie ihre Farben, die dann auch wiederum in vielen Schichten aufgetragen werden, vielleicht auch, um die Entstehung dieses Materials zu rekonstruieren und um ganz besondere Oberflächen zu erzeugen, die die Arbeiten Barbara Karsch-Chaïebs einzigartig machen.

Zeit wird hier doppelt künstlerisch vermittelt: Neben dem sichtbaren enormen Aufwand beim Zerkleinern der Steine und dem Erzeugen der Pigmente und danach dem vielschichtigen Auftrag auf die jeweiligen Oberflächen der Bilder oder Objekte entsteht auch eine Haptik, aus der die steinige Geschichte der Farben fühlbar wird.
Immer wieder geht die Künstlerin dabei aus von dem bestimmten Ort, wo sie das jeweilige Material entdeckt hat. In der künstlerischen Umsetzung legt sie großen Wert darauf, sowohl in der Vorgehensweise als auch im Endergebnis die spezifische Herkunft einfließen zu lassen und sichtbar zu machen.

Gute Kunst stellt Fragen: die ganz konkrete Herkunft der Materialien in Raum (Ort) und – erdgeschichtlicher – Zeit und ihrer (ganz materialen) Konsistenz erlebe ich hier als einen wissenschaftlichen Aspekt dieser Kunst: woher kommt und was ist dieses Material?

Kunst geht aber über Wissenschaft hinaus: In ihren Verflechtungen verwendet Barbara Karsch-Chaïeb mit ihren selbst herstellten, “steinbasierten“ Pigementfarben vielfach lasierte Leinwand-Streifen, die sie dann präsentiert als Bilder, die von der Rückseite her betrachtet noch klarer das komplexe Flechtwerk zeigen, oder auch als Raumobjekte.

© Foto: Ulrike Reichart

Mit großem Respekt vor dem Material, dessen Herkunft nie verleugnet wird, sondern im Gegenteil, zum integralen Bestandteil des jeweiligen Werkes wird, entsteht so etwas ganz Neues. Die Arbeiten erinnern uns an Zeiten, an Epochen, die wir selbst nicht erlebt haben und die uns auf diese Weise doch als Teil unserer Geschichte bewusst werden.

Bei aller kontemplativen Ruhe und Nachdenklichkeit, die Barbara Karsch-Chaïebs Arbeit dank ihrer Materialien und ihrer besonderen Arbeitsweise ausstrahlt, ist es eine intensive, luftige Sinnlichkeit und Lebendigkeit, die uns die Kunst erleben lässt.

Auf diese Weise vermag es nur die Kunst – um nochmal auf das einleitende Zitat des Künstlers Paul Blau zurückzukommen – manchmal auch Antworten zu versuchen.

Weil mir dies aber fast zu bescheiden klingt, möchte ich abschließend einen berühmten Künstler zitieren – Goethe. Das Zitat ist einem anderen Zusammenhang entnommen: es ging Goethe darum, was Eltern ihren Kindern mitgeben sollten. Was den Eltern nicht immer gelingt, was aber gute Kunst uns geben kann, sind:

Wurzeln und Flügel.
Jürgen Linde im Dezember 2020