Buchtipps von Uli Rothfuss im kunstportal-bw
Über weite Strecken hat man den Eindruck, diese Erzählung stehe still, kreise um sich selbst, biete dem Leser ein bewegendes sich selbst in den Fokus nehmen, indem er tief, tief sich im Protagonisten verankert und sich seine Sicht auf die Welt zueigen macht. Marica Bodrozic gelingt hier ein äußerst eindringliches Buch, das an vielen Stellen das Unerträgliche des menschlichen Seins im Stillstand auszureizen versucht; und dabei schafft sie es, mit erzählerischer Kraft eine Geschichte zu erzählen, die den Leser, der sich, ehrlich gesagt, manchmal sträubt, mitnimmt, mit hinein zieht in den sprachlichen Sog, ihn zwingt zu anderer Wahrnehmung, zur reduzierten Sichtweise der dem Protagonisten gerade noch – und im Verlauf des Romans immer mehr zur Verfügung stehenden Sinne.
Der liegt in der Klinik, er nimmt wahr, beschränkt, Töne, Geräusche, Gespräche, Licht, er weiß nicht wo, wann, auch nicht, wie er da hin gekommen ist. Er erkennt Stimmen wieder, schafft Zusammenhänge aus gehörten Gesprächen, es entspannt sich zarte innere Zuneigung; es klärt sich langsam auch eine persönliche Geschichte, Erinnerungen kommen mit besuchenden Menschen herauf, Freiräume öffnen sich – weil diese mitunter denken, er nehme (noch) nichts wahr; seine Angst, da manche besuchenden Ärzte keine Fortschritte sehen, gar ihn nicht mehr der Wahrnehmung für fähig halten, dass die Geräte abgeschaltet werden.
Träumt der im Bett liegende Mann, träumt er sich sein bisheriges Leben zusammen, oder setzt er Bruchstücke des Wahrgenommenen zu einem alten Leben zusammen, aus dem er in ein neues aufbrechen kann? Konstruiert er sich so sein Leben neu, ignoriert das, was ihm nicht passend erscheint, bietet die Lage die Chance, das Leben neu aufzustellen und einen restart zu wagen?
Die Autorin zieht alle Register der fein nuancierten Erzählkunst, sehr dichterisch, manchmal ertappt sich der Leser beim Gedanken, dass hier Langeweile – die Langeweile des ans Bett gefesselten, in weiten Teilen von der Außenwelt Abgekoppelten – mit äußerster Sprachkunst so gepflegt wird, dass er, der Rezipierende, gebannt bei der Sache bleibt. Hohe Kunst, das zu können, und ein hohes Wagnis, das die Autorin eingeht, den Leser so an die Grenzen des Erzählbaren zu führen.
Das führt, natürlich, auch zu philosophischen, sich selbst befragenden Fragestellungen, etwa wie: Das erfordert einiges Nachdenken bei mir, weil sie auch verlangt, dass ich alle meine Erzählungen einzeln auf die Waage legen soll, um später einen genaueren Blick auf mich selbst gewinnen zu können. Da ich keine Gegenstände in mir trage, lege ich gehorsam Wörter und Sätze von früher und von heute auf die Waage. Ich beginne, mich für die Gegenwart zu öffnen. – Gerade in der Situation des so auf sich selbst zurückgeworfen Seins tauchen solche Fragen herauf: habe ich das nun erlebt, oder woher kommt die Erinnerung – weil eben Teile fehlen, die das in der Erinnerung Erlebte insgesamt stimmig machen würden.
Marica Bodrozic: Das Wasser unserer Träume. Roman, geb., 224 S., Luchterhand Literaturverlag, München 2016. 22 €.