Hinkelstein 32 | 30.03.2025 | ART 2 B

im letzten Hinkelstein – Nr. 31. vom23.03.2025 – hatte ich einen Rückzieher gemacht: mit dem Projekt, ein Gesamtbild von Kunst und Gesellschaft zu entwickeln, hatte ich mich übernommen. Keineswegs war oder ist dies ein Rückzug aus der aktuellen Diskussion: das Themenfeld – Kunst, Gesellschaft und Wirklichkeitswahrnehmung bleibt unser Arbeitsbereich, den wir nun neu beackern wollen, auf andere Art.
Unsere zentrale Frage bleibt die nach dem Ort, nach der Aufgabe der Kunst in unserer Gesellschaft und für uns selbst, als Menschen. Auch wenn es sicher arrogant wäre, zu behaupten, dies beantworten zu können: die Frage zu stellen ist notwendig.

Zuerst einmal, was wir alle als Kunstbetrachter (und ich auch als Journalist) irgendwann gelernt haben: ein oder zwei Schritte zurücktreten, Abstand nehmen, um (zu versuchen,) das Ganze zu sehen.
Beginnen wir in aufgefrischter Unbescheidenheit mit einem kleinen Rundumschlag: Deutschland befindet sich, auch nach der Wahl und inzwischen nach dem Zig-Mrd.-Paket, weiterhin in einer Depression; die ich, soviel vorweg, als Kulturkrise wahrnehme und interpretiere.

Gerade war die Buchmesse Leipzig: 9000 Besucher mehr als im Vorjahr bei etwas sinkenden Buchverkaufszahlen von 2023 auf 2024; weiterhin werden – vielleicht überraschend – die meisten Bücher offline im Laden gekauft. Einen klaren Trend erlebt die Branche im Bereich des Fantasy-Segments, das deutlich wächst. Ein Zeichen der Flucht in fremde Welten? Welten, die uns inzwischen vertrauter sind als die wirkliche Welt, deren – geopolitIsche wie auch parteipolitische – Veränderungen in ihrer Komplexität viele Menschen schlicht überfordern? Dies noch gemischt mit dem Gefühl, nicht verstehen zu müssen, weil man „ja eh nix ändern kann“? Wohl nur den Wenigsten sind solche Empfindungen fremd.

Fluchtbewegungen sind also gut verständlich; Überforderung und Hoffnungslosikeit sind amtlich / medizinisch belegt:
„Laut DAK“ sind Fehltage wegen Depresssion 2024 um 50% gestiegen“. (183 Fehltage je Hundert Beschäftigte). SZ, vom 24.03.2025; Seite 14.
Im Handelsblatt lesen wir: Das Ifo-Institut erwartet im laufenden Jahr kaum noch Wachstum in der deutschen Wirtschaft. Die Ökonominnen und Ökonomen haben am Montag ihre Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 0,2 Prozent korrigiert. Im Dezember waren sie noch von 0,4 Prozent ausgegangen. Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser spricht von „einer der längsten Stagnationsphasen“ seit geraumer Zeit.

Optimisten hoffen nun, dass das jetzt verabschiedete riesige Schuldenpaket (das mit den Zinsen unsere Enkel belastet) jetzt bald als Konjunkturspritze im keynesianischen Sinne funktionieren wird und die objektive Lage und auch die Stimmung (endlich wieder Party, was kostet die Welt?) verändert. Mögen sie recht haben, das wäre gut.

Die deutsche Depression aber, so denke ich, sitzt viel tiefer: das frühere Deutschland (in dem ich, geboren 1962, wie so viele Babyboomer, existenzangstfrei aufgewachsen bin), ist längst aus der Zeit gefallen:

Deutschland ganz vorne, jahrelang Exportweltmeister, noch länger auf dem sehr guten zweiten Platz, deutsche Ingenieurskunst als Wachtumsmotor und Reichtums-Garantie(?) – alles Schnee von gestern, geschmolzen in einer Zeit, in der Wirtschaft und Gesellschaft sich umfassend gewandelt haben: die (sehr CO2-intensive) Industrie, Stahl – Energie – Maschinenbau – Autos: die CO2 intensiven Branchen, mit denen Deutschland reich wurde, werden heute der Vergangenheit zugeordnet, während die Zukunftsbranchen woanders wachsen:

„Erfinder und Tüftler“, deren Talente unser Land auszeichnete, wandern gerne ab in andere Länder (USA, Israel, Sigapur etc.) wo weniger Bürokratie mehr Freiraum schafft. Wer – etwa als Existenzgründer – kreative Ideen hat zur KI hat, wandert lieber erstmal aus, abgeschreckt allein von der hiesigen Verordnungs- und Gesetzesflut.

Kreativität, so scheint es, hat keine Heimat mehr in der deutschen Wirtschaft und Gesellschaft. All dies erinnert mich an eine alte These und Schlagzeile: „Europa wird das Museum der Welt“.
Aylwin Tan muss es wissen. Der Chef Customer Solutions Officer des Projektentwicklers ascendas Singbridge lebte schließlich sechs Jahre in Frankfurt am Main und arbeitete dort für die Regierung Singapurs. Heute ist er bei einem der führenden Projektentwickler, wenn es um Urbanisierung und Nachhaltigkeit geht. (Rohmert Medien AG; 04.07.2016)

Welche Rolle aber bleibt nun für die Kunst, ausgerechnet im Museum Europa?
Der vermuteten Flucht in vertraut-fremde Fantasy-Welten im Buchmarkt steht die wachsende Zahl der Buchinteressenten gegenüber, womit sich, aus meiner Sicht mit gesundem Zweckoptimismus womöglich eine dialektische Wende andeutet ich denke dabei an den alten Film Enemy Mine (Geliebter Feind) , klar zu unterscheiden vom Hollywood-Spektakel „Vertrauter Feind“. Fantasy ist nicht als solche dumm oder nur betäubend, genauso wenig wie Krimis, die übrigens auch weiter im Trend liegen und die ich selbst ständig lese – sicher auch eine Flucht, die aber genauso sicher auch ständig zurückverweist auf unsere ganz reale Welt.

Wer unsere Künstlerporträt-Reihe verfolgt, weiß, dass ich immer wieder Inspiration aus Krimis ziehe, deren ja meist deduktive Logik auch oft sehr hilfreich ist, um künstlerischen Spuren und Entwicklungen nachzugehen. Das vielleicht beste Beispiel aus unserer Reihe (soviel Eitelkeit erlaube ich mir einfach) ist das Künstlerporträt über Christian Jankowski, in welchem ich mit kriminalistischen Mitteln und na gut, ein wenig auch mit Hilfe von Goethe, nachzuweisen versuche, dass affirmative, unkritische Bildende Kunst letztendlich nicht möglich ist. Bitte lesen Sie selbst: | Christian Jankowski says no.

Bild links: Christian Jankowski: Die Jagd, 1992
© Christian Jankowski

Wir arbeiten also weiter in diesem und über dieses große Spannungsfeld Gesellschaft, Politik und Kunst.
Und ich finde, es ist erlaubt, in die Kunst (insbesondere die Musik) manchmal auch zu flüchten und sie einfach nur zu genießen.
Nennen wir dies in gutem internet- amerikanisch:
ART 2 B.

Dazu gehört es auch, ab und zu den vielzitierten Widerspruch zwischen Kunst und Leben selbst und direkt dialektisch-praktisch aufzuheben; hierzu empfehlen wir Ihnen

die guten Nachrichten im kunstportal baden-württemberg am Sonntag, dem 30.03.2025:

Neu am 30. März 2025: | GFjK Baden-Baden | Barbara JägerJürgen KnubbenOMI RiestererGünter Wagner, u.a.: | 13.04.- 05.10.2025 | scultura 2025 in Baden-Baden | Neu hierzu die kunstportal bw-Sonderseite mit den einzelnen Werken: Sculptures at an Exhibition
Neu am 30. März 2025: | Künstler | 06.04. – 06.07.2025 | Brigitte Nowatzke-Kraft u.a. | Forum Hohenwart | Schwarzwald Gruppenausstellung
Neu am 30. März 2025: | Zeppelin-Museum | 06.06.2025 – 12.04.2026: | Bild und Macht. Zeppelin-Fotografie im Fokus
Neu am 30. März 2025: | ZKM Karlsruhe | 08.05.2025; 16 – 18:30 Uhr | Meet-Up: | It’s a match – Art Speed Dating
Neu am 30. März 2025: | Newsletter  Hinkelstein: | Sonntag früh frisch auf den Screen: | Hinkelstein 32 am 30.03.2025 | ART 2 B