…lass das Sägen einfach sein – über den Medienkünstler Wolfgang Neumann

Wo fange ich nur an, wie kann ich hier – bedroht von einem überwältigend erscheinenden Tsunami von Bildern und Medien im weitesten Sinne – meinen, den oder zumindest einen roten Faden finden?

Dieser Hilferuf erscheint sicherlich vielen Menschen in unserer heutigen Mediengesellschaft kaum fremd, eher schon vertraut. Die “Bilderflut“ im Allgemeinen und im Internet insbesondere die Überschüttung mit (fast immer störender) Werbung ist Teil unseres Alltags geworden. Wir haben gelernt, damit irgendwie klar zu kommen.

Auch die Kunst, die gerade einen historischen „Jahrhundertdiebstahl“ durch die KI beklagt [ “Urheber und Künstler sprechen derzeit von massenhafter Ausbeutung ihrer Kreativität durch generative künstliche Intelligenz (KI)“ … Süddeutsche Zeitung, 10.06.2024; Seite HF12 ], befasst sich ja längst mit diesen Themen.

15 Jahre jünger als ich, gehört Wolfgang Neumann noch nicht zur Generation der Digital-Natives, aber doch zu einer Altersgruppe, die angesichts der heutigen Medienwelt kaum (wie wir Alten) von neuen Medien sprechen würde. Der Künstler kennt dies alles als lange schon normalen Teil der Wirklichkeit, mit der er sich sowohl in seiner künstlerischen Arbeit wie auch als politisch denkender und kritischer Mensch auseinandersetzt.

Der Vielfalt der vielen medialen und damit ja auch sinnlichen Eindrücke begegnet er seinerseits auf allen Ebenen; der in Waiblingen bei Stuttgart lebende Künstler arbeitet in allen Bereichen der Kunst:
Das Standardrepertoir ist nur der Anfang: Malerei, Zeichnung, Radierungen, Druckgraphik, Plastik. Hinzu kommen dann Digitale Grafik, Installation/Objekt und Video, Musik, Lyrik und andere Texte.

Neumann selbst unterteilt auf seiner Website sein Schaffen in mehrere Rubriken: Werke, Räume, Musik, Lyrik, Text. Alles und nicht weniger, so erscheint das Konzept. Mein erster Versuch, damit umzugehen – der Gedanke an das Gesamtkunstwerk Timm Ulrich(s) – scheitert daran, dass Wolfgang Neumann sich keineswegs selbst inszeniert; vielmehr ist es die reale Welt, die uns in  ihrer medialen und sinnlichen Vielfalt umgibt: mit dieser Welt künstlerisch umzugehen, sie aufzunehmen und kritisch reflektiert wieder zu geben hat er sich zur Aufgabe gemacht.

Zuerst und sicher am lautesten erscheint uns heute die Medienwelt, deren Bilder- und Nachrichtenflut wir nicht selten als Tsunami erleben – wir müssen die Wirklichkeit nicht mühsam suchen, sie stürmt, aggressiv und gefährlich (?), auf uns ein und manchmal stehen wir ihr gegenüber abwehrend, manchmal fast hilflos mit dem Rücken zur Wand.

Was ich hier durchaus als beängstigend schildere und auch selbst so empfinde, sieht der Künstler verblüffend gelassen: Sicher und souverän mitten im Leben stehend begegnet er dem beschriebenen Ansturm ohne erkennbare Aufregung: ausgestattet mit sowohl der Fähigkeit zur kritischen Analyse und der notwendigen Distanz, helfen ihm, bei allem Ernst im Umgang mit seinen Themen, kritische Distanz und Humor: fast alle seine Bilder wie auch seine Texte erleben wir auch als humorvoll und satirisch erleben.
Ein Zitat fällt mir ein von Umberto Eco: “Vielleicht gibt es am Ende nur eines zu tun, wenn man die Menschen liebt: sie über die Wahrheit zum Lachen bringen, die Wahrheit zum Lachen bringen.“ (Umberto Eco: “Der Name der Rose”, letztes Kapitel, Seite 624)

„Mit Neumann überstehen wir das optische Dauerfeuer lächelnd“ kommentierten die Stuttgarter Nachrichten im Jahr 2009 Neumanns Ausstellung „richtlinie im Kunstverein Heidenheim. Wir empfehlen den zur Ausstellung erschienenen Katalog mit Neumanns Bleistiftzeichnungen und einem sehr erhellenden Text von Günter Baumann. Dieser analysiert hervorragend die Mischung aus ironischer Distanz und analytischer Klarheit, die wir bei Wolfgang Neumann immer wieder neu entdecken: „Wie wirklich ist die Welt, die wir um uns herum wahrnehmen – ? … Dabei erspart er uns nicht die unbequeme Erkenntnis, dass die Vielschichtigkeit dessen, was wir zu sehen glauben, ein Buch mit sieben Siegeln bleibt.“ Genau so ist es: der Künstler zeigt uns alles, aber – sozusagen bescheiden – bewahrt er das Geheimnis dessen, was auch er nicht zu erklären vermag.

Er fordert uns als Betrachter heraus zur eigenen Auseinandersetzung: Was er darstellt ist stattdessen unser eigenen Umgang mit dieser Wirklichkeit, die uns Freude bereiten, die uns aber auch mit Entsetzen, mit Ängsten und Verzweiflung zu erfüllen vermag:

Natürlich versucht der Künstler, die Oberhand zu gewinnen- dem Ansturm Herr zu werden, die Dinge zu ordnen, Zusammenhänge zu erkennen. Dazu nutzt Wolfgang Neumann, der nicht „nur Malerei und Kunstgeschichte“ studiert hat, sondern dann auch  Intermediales Gestalten (Schwerpunkt Video / Performance / Bühne), alle ihm verfügbaren Werkzeuge und Medien:  Medien in umfassenden Sinne:
1. Im Sinne von Wahrnehmungssinnen) (Sehen, hören, riechen) und
2. im Sinne zu konsumierender Medien (Zeitung, Fernsehen, Radio?, Internet) dieser Welt als Inhaltsquelle, als Inspiration nutzt. Kunstgeschichtlich und auch kultursoziologisch umfassend gebildet , greift der Künstler auf alles zurück, was schon da ist: seine Werke sind voller Zitate und oft überraschender Verbindungen: Berühmtheiten von Freud bis Marx, von Filmfiguren (James Bond u.a.) über Comichelden bishin zu Klischeefiguren (The „all-american girl“) – alle erhalten in der Bildwelt Wolfgang Neumanns ihren Platz und ihr Recht; immer wieder auch entdecken wir Selbstporträts – der Künstler ist mittendrin.

Beim unbedingt zu empfehlenden Besuch der Website des Künstlers werden Sie leicht mein erstes Gefühl des Überwältigtseins nachvollziehen können.

Könnten wir angesichts des riesigen (bisherigen) Gesamtwerkes so etwas wie Beliebigkeit befürchten – nein, das genaue Gegenteil ist der Fall:
Tatsächlich erleben wir jede einzelne Arbeit als interessant. Die Welt als Ganzes in ihrer Vielfalt erscheint uns durchaus das – unbescheidene, aber in gewisser Weise auch notwendige Thema des so produktiven Künstlers, der zwar überall, aber auch sehr genau hinschaut und in jedem Bild Zusammenhänge aufscheinen läßt, die nachdenklich machen.

Nun könnten wir jeden der Arbeitsbereiche (die Malerei bildet zweifellos den großen Schwerpunkt des künstlerischen Schaffens von Wolfgang Neumann) in das Zentrum unserer Betrachtungen stellen von Wolfgang Neumann; eigentlich auch jedes aktuelle Thema aus Politik und Gesellschaft: das Internet und die dessen wachsende Dominanz unserer Mediengesellschaft wäre auch ein ergiebiges Thema (ich hatte “Der eindimensionale Mensch 2.0“ als Arbeitstitel im Hinterkopf für dieses Porträt), denn Neumann setzt sich auch immer wieder mit politischen Themen auseinander.

In jedem dieser Fälle aber hätten wir das Gefühl, ein Thema als „das zentrale Thema“ herauszustellen. Was jedoch unangemessen wäre: das Ganze, das geamte Welterleben ist hier der Gegenstand der künstlerischen Betrachtung.

Und dennoch scheint gerade das Überwältigsein durch die berühmte Frage nach
„dem Leben, dem Universum und dem ganze Rest“ („per Anhalter durch die Galaxis“ vierteilige Triologie von Douglas Adams). Ein Text, der, glaube ich, meine Generation ein Stück weit geprägt hat. Zur Erinnerung „42“ ist die vom unvorstellbar leistungsstarken Superrechner nach Jahren etwas kleinlaut vorgebrachte Antwort auf die genannte Frage.

„Die Welt zu begreifen“ (- über Holger Fitterer) hatte ich in 2021 mein Künstlerporträt über dem in Karlsruhe lebenden Maler Holger Fitterer genannt. Tatsächlich erscheint mir ebendies das Programm vieler künstlerischer Projekte zu sein: die Erkenntnis der Welt – bisher dachte ich: durch ein vorsichtiges Herantasten; ähnlich wie ein Musiker sich an ein Thema (ein improvisierender Pianist wie Keith Jarrett im Wortsinne tastend heranarbeitet..

Die Erkenntnis der Welt erscheint mir auch das Thema Wolfgang Neumanns. Zweifellos ist dem Künstler klar, dass einzelner Mensch eine (die?) Antwort auf diese Frage, sollte sie überhaupt möglich, alleine zu bewältigen vermag. Doch erfängt dann schon mal an: nebenberuflich geht er dem Hauptberuf als Kunstlehrer nach; in einem zweiten Neben- und Hauptberuf arbeitet er als Galerist kunstvermittelnd. Der in Waiblingen bei Stuttgart lebende Wolfgang Neumann hat erst kürzlich die Räume einer ehemaligen Apotheke im Waiblinger Ortsteil Bittenfeld bezogen. Der Besucher betritt eine Kunstgalerie, in der Neumann thematische Gruppenausstellungen und dann auch eigene Ausstellungenpräsentieren wird. „Hinter“ der Galerie befinden sich seine Atelier – und Arbeitsräume; im Keller steht ihm darüber hinaus ein weiterer großer Raum zur Verfügung, den er als Lager für seine Werke nutzt.ts und sein diese Aufgabe. All dies firmiert nun unter dem Namen bildzentrale Waiblingen.

Doch dieser Künstler arbeitet auf andere Weise: nicht “von außen“ heranstastend, sondern vom Hier und jetzt ausgehend: im der kritischen Auseinandersetzung mit all den medialen und sinnlichen Eindrücken, mit denen die Welt uns begegnet, arbeitet er daran mit und für uns die Welt zu erfassen – ein Projekt, das grenzenlos gedacht werden muss:

Während wir Skateboarder früher dachten “The Sky’s the Limit“ führe uns Wolfgang Neumanns künstlerische Strategie potentiell noch viel weiter: wäre unsere Zeit unbegrenzt, so führte uns dieses Vorgehen über unseren kleinen Planeten weit hinaus (per Anhalter oder wie auch immer) – mindestens bis

zum Rand des Universums.
Jürgen im Juni 2024.