not enough Africa – über Ralf Rabemann

Afrika – oder mit André Heller: Afrika, Afrika! –
sicher nicht nur für mich die erste Assoziation angesichts der Kunst von Ralf Rabemann.

Doch was ist Afrika? Wahrscheinlich liegen die Wurzeln der Menschheit in Afrika und auch zu unserem “roten Faden-Thema“ – dem Zusammenhang zwischen Bildender Kunst und Sprache – gibt Afrika viele Anregungen: den Rap (der Sprechgesang) etwa verdanken wir Afrika und einige andere Musikstile.

Afrika, Wiege der Menschheit und Ursprung aller Wahrheit? Die Gefahr der Verklärung ist groß, Afrika verstehen und von Afrika lernen können wir nicht, wenn wir diesen Kontinent mystifizieren. Wir kommen auf schwieriges Gelände. Naheliegend erscheinende Verbindungen zu Afrika oder auch zur Archaik werden meist verwendet, um etwas einzuordnen – rein in die Schublade und fertig.

Afrika ist dann selbst ein – allerdings unerklärtes – Symbol. Etwa für den Bezug zur Natur, den wir verloren zu haben glauben ohne sicher sein zu können, ihn jemals gehabt zu haben oder auch nur zu wissen, was damit genau gemeint ist. Wer so schnell einsortiert drückt sich auch vor der Frage, was es auf sich hat mit Afrika, mit der afrikanischen Kunst und dieser umfassend erscheinenden, unerklärten Ursprünglichkeit.

So schnell und bequem kommen wir aber nicht weiter und dann ist auch Rabemanns Arbeit zu komplex, um in diese Schubladen zu passen.
Nun versuchen wir einen kleinen dialektischen Trick: vielleicht kommen wir ja, wenn wir Rabemanns Arbeit genau anschauen, dem afrikanischen Mythos auf die Schliche. Die Chance ist gut, denn Ralf Rabemanns künstlerische Arbeit ist entstanden aus der frühen Beschäftigung mit Text, mit Märchen, Sagen und Mythologien. All dies hat sein Sehen, hat seine Wahrnehmung geprägt und ihn offenbar auf besondere Weise sensibilisiert.

Die hochinteressante künstlerische Arbeit von Ralf Rabemann ist für mich Anlass, in unserer Reihe der KünstlerInnenporträts eine Zwischenbilanz zu ziehen: Es geht uns ja gemeinsam darum, der Kunst auf die Spur zu kommen, eine Vorstellung zu erarbeiten von dem, was Kunst für uns ist.

Gesucht haben wir auf verschiedenen Wegen; hilfreich war sicherlich die Untersuchung der Übergänge zur Philosophie und der Grenzen zu anderen Medien, insbesondere der Sprache. Auch aus der Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Kunst und Wissenschaft verdanken wir einige Anregungen. Im letzten Porträt über den Maler Heiko Pippig hat sich ein neuer Aspekt ergeben: die – offenbar besondere – Wahrnehmungsfähigkeit der KünstlerInnen.

Lesen wir, was der Künstler Ralf Rabemann, der schon diese Thematik schon seit 25 Jahren philosophisch wie künstlerisch bearbeitet, zum Thema “Wahrnehmung“ zu sagen hat:

Wahrnehmung

Wer meint, er wäre in auch nur einer Sache nahe bei der Wahrheit, der möge folgendes bedenken:

Nicht alles, was durch die Sinne zu uns kommt gelangt zur Betrachtung.
Nicht alles, was zur Betrachtung kommt, wird uns zur Anschauung.
Nicht alles Angeschaute wird uns gegenwärtig.
Nicht alles Gegenwärtige gelangt zur Wahrnehmung
Nicht alles Wahrgenommene erreicht unser Erkennen.
Nicht alles Erkannte gelangt zur Annahme.
Nicht alles Angenommene können wir uns behalten.
Und selbst dieses Behaltene schwindet uns ständig dahin.
Denn ständig wandelt es sich und ständig verformt es sich zu dem, wie wir es gerne hätten.
So bleiben uns selbst von dem, was uns vom wahren Sein der Wahrheit noch erreicht, nur viele kurze Momente, in denen uns dieses Wenige immer nur das ist, was es uns genau da scheint zu sein.
Denn schon im nächsten Moment scheint es uns anders und dennoch scheint es uns in jedem dieser Momente das einzig Wahre zu sein.
© Rabemann

Ohne in die esoterische Schublade geworfen werden zu wollen: immer wieder erleben wir ich, dass Kunst und Kommunikation auch auf Ebenen stattfinden, die sich der modernen Naturwissenschaft bislang entziehen, Ebenen, von denen frühere Kulturen mehr gespürt zu haben scheinen, insbesondere die afrikanische Kultur, die ja – auch deshalb? – lange ohne Schriftsprache auskam.

Ralf Rabemanns Kunst ist entstanden und lebt aus der Beschäftigung mit Mythen; die (verbale) Sprache empfindet er ähnlich bildhaft wie Bilder im engeren Sinne – etwa die Klangwelten verschiedener Sprachräume kann er intuitiv verbinden mit bestimmten Mentalitäten und Bedeutungen. Ein Thema, das einer wissenschaftlichen Betrachtung wert wäre, die wir hier nicht leisten können:

“Rabemanns aus dem Urprünglichen schöpfendes Gesamtwerk musste in der Konsequenz zu einer Auseinandersetzung mit der Jetztzeit im wörtlichen Sinne zu einer Absetzung von gängigen Wegen führen – auch von „gängig abwegigen“. So führte sein Weg in eine Umsetzung hinein in eine aus Bildern und Worten geformten „Eigenkultur“, die Rabemann jedoch weniger als „private Mythologie“ gilt, wie man sie vielleicht „kunsthistorisch korrekt“ betiteln mag, sondern ihm eher als die einzige Kultur gilt, die alle Kulturen je meinen konnten und durch die er sich auf dieser Ebene auch mit allen archaischen Kulturen verbunden fühlt. (Wie Rabemann in einem seiner Texte ganz richtig bemerkt hat, entspricht dies übrigens auch genau dem Denkansatz, den Carl Gustav Jung in dem von ihm geprägten Begriff „Archaik“ gesehen hat. Genau aus diesem Grund kann er auch Versuche nicht ernst nehmen, Parallelen zwischen seiner Kunst und einer der archaischen Kulturen zu ziehen – „denn wer hier Parallelen sieht, hat stets Recht und Unrecht zugleich – die Parallelen sind da, aber nicht auf der Ebene, auf der diese gesehen werden, sondern in einem viel größerem Mass.“

Fassen wir zusammen: Afrika und auch die Kunst bleiben ein Geheimnis, wir versuchen weiterhin, dieses zu enträtseln. Nicht nur haben wir nun einige weitere Spuren, die zur Verfolgung einladen und zweitens ist diese Suche eben eine lustvolle und schöne Tätigkeit.

So genieße ich einfach die gewaltigen Bilder, die mich an Afrika erinnern – und an eine meiner ersten EDV-Erfahrungen:

The problem with computers is that there is not enough Africa in them“ (Brian Eno).

Ja, trotz vieler Fragen und Unklarheiten, erscheint dies zutreffend:

There is

not enough Africa

Jürgen Linde im März 2008