Hausbesuche | Jürgen Linde zur aktuellen Ausstellung der Kunsthalle Tübingen
Kunsthalle Tübingen | 23.03. – 15.09.2024 | „Kunstschätze vom Barock bis zur Gegenwart aus Niederösterreich„
mitten ins Herz der Kunst:
Alte Werke neu gesehen – Kunstschätze- Schau in Tübingen
Bild links: Prof. Sergius Pauser: Katastrophe (Niemals vergessen), 1945
Öl auf Leinwand, 110 x 151 x 3 cm; © Sergius Pauser /Landessammlungen NÖ
„Mal wieder ein paar „alte Schinken“ wird mancher denken, der den Titel der aktuellen Ausstellung liest, die in der Kunsthalle Tübingen gerade eröffnet wurde und noch bis 15. September 2024 zu sehen sein wird. Tatsächlich klingt der Titel ja auch sehr sachlich / wissenschaftlich, eher verstaubt als aktuell oder gar „sensationell“. Der neueste Medienhype ist also kaum zu erwarten.
Doch wer die Arbeit der Kunsthalle Tübingen der letzten Jahre verfolgt hat und vielleicht auch weiß, dass die Direktorin der Kunsthalle, Dr. Nicole Fritz, die auch leitende Kuratorin des Hauses ist, einen hervorragenden Ruf als Ausstellungsmacherin genießt („Ausstellungen sind mein Ding“ sagte sie einmal in einem Interview), ahnt sofort, dass hier mehr zu erwarten ist:
Nach nun zwei Jahren Krieg in der Ukraine bilden dieser Konflikt – und die damit verbunden aktuellen Diskussionen – den Hintergrund, die Folie, vor dem wir wieder einmal deutlich sehen, welch große Bedeutung Kunst und Kultur für unsere Gesellschaft haben.
Dem dreiköpfigen Ausstellungs-Team gelingt es, den Überblick über die letzten 250 Jahre österreichischer Kunstgeschichte so zu präsentieren, dass in jeder der 5 Ausstellungssäle aktuelle Bezüge sichtbar werden.
Bild oben: Blick in die Ausstellung Kunstschätze vom Barock bis zur Gegenwart aus Niederösterreich vom 23.03. bis 15.09.2024 in der Kunsthalle Tübingen. © Foto: Ulrich Metz
Schon am Tag vor der Eröffnung der Ausstellungen veranschaulichte das Bild „Katastrophe (Niemals vergessen), 1945“ von Sergius Pauser (siehe oben) als Titelbild des kunstportals baden-württemberg die hohe Aktualität diese neuen (naturgemäß schon seit vielen Monaten vorbereiteten und offenbar in weiser Vorausschau konzipierten) Schau, die mit mehr als 70 oft erstmalig in Deutschland gezeigten Werken die letzten 250 Jahre österreichischer Kunstgeschichte Revue passieren lässt.
Bild rechts:
Broncia Koller-Pinell: Stillleben mit Früchten und Papagei, 1910
Öl auf Leinwand, 88,2 x 117,2 x 5 cm
© Landessammlungen NÖ
Wie immer in der Kunsthalle Tübingen geht es um gute Kunst und um Politik und Gesellschaft. Naben der Kunsthallenchefin Nicole Fritz waren Gerda Ridler, die künstlerische Direktorin der Landesgalerie Niederösterreich, und Nikolaus Kratzer, Leiter der Kunstsammlungen Land Niederösterreich, an der Präsentation der Ausstellung beteiligt: zuvor hatten beide schon eine Ausstellung ihrer Kunstschätze in Krems gezeigt.
Beim Rundgang weist Gerda Ridler darauf hin, dass „nebenbei“ auch die – nicht nur in Österreich – viel zu geringe Frauenquote in der Kunst in dieser Schau wenigstens aufgebessert wird – zu den hier wieder (- oder neu?) entdeckten Künstlerinnen zählt etwa Broncia Koller-Pinell, deren Stillleben mit Früchten und Papagei von 1910 gezeigt zu sehen ist.:
Bild links: Anton Romako: Mädchen mit Kaninchen, um 1877 | © Landessammlungen NÖ
Nikolaus Kratzer erklärt mit spürbarer Begeisterung, wie das 1877 entstandene Werk „Mädchen mit Kaninchen“ von Anton Romako den Ruf als „die Mona Lisa Österreichs“ erwerben konnte: ein zwar ganz anderes Lächeln, aber eben auch schwer zu erklären und geheimnisvoll….
Den humorvollen Abschluss der Schau bildet die Künstlergruppe Gelitin, die in ihrem Video I like my Job five die antike Laokoon-Gruppe durch sich selbst nachstellen und damit das Konzept der Originalitätskult ad absurdum führen.
Mit Geheimnis und Humor – und wieder
mitten ins Herz der Kunst.