Museum im Prediger Schwäbisch-Gmünd | 30.11.2024 -21.04.2025 | Eröffnung: Freitag, 29. November, 19 Uhr
Bild links: Ingolf Thiel, Skyscraper, 1979, Serie: Heimweh nach dem Traurigsein. © Deutsche Fotothek / Thiel, Ingolf
Der Stuttgarter Ingolf Thiel (1943–1985) zählte zu seinen Lebzeiten zu den innovativsten Fotografen in Deutschland. Aufträge für Industriefirmen wie Daimler-Benz und Kodak oder für überregional bedeutende Modeunternehmen wie Bleyle in Stuttgart und die Breuninger-Modekaufhäuser machten ihn weithin bekannt. Insbesondere seine für Mustang Jeans in Künzelsau fotografierte Kampagne »Leute von heute« hatte bundesweit eine außergewöhnliche Resonanz. Thiels Aufnahmen erschienen darüber hinaus auch in zahllosen Zeitschriften und Magazinen, darunter Elle, Gala oder auch Playboy.
Parallel und mit zunehmendem Erfolg entstanden auch freie Arbeiten. Bis Ende der 1970er Jahre setzte Thiel seine Ideen bevorzugt mittels Fotomontage um. Danach änderte sich sein Zugang zu den Motiven. Visuell beeinflusst von der New Wave-Szene, die ihn 1979 in New York in den Bann gezogen hatte, entwickelte er konzeptionelle Serien in klassischem Schwarzweiß, darunter »Moderne Gefühle« oder »Heimweh nach dem Traurigsein«. Die Montagen wurden nun durch exakte und unterkühlte Inszenierungen ersetzt, in denen die desillusionierte, melancholisch-romantische Stimmung der No Future-Generation zur prägenden Kondition der Motive wird. Am Ende seines kurzen Lebens entstand schließlich mit »Lanzarote« eine Serie von Männerakten, die eine späte Auseinandersetzung auch mit Klassikern der Kunstgeschichte andeutet.
Doch Ingolf Thiel war nicht nur Fotograf, er war ebenso Modedesigner, Bühnenbildner, Balletttänzer, Schauspieler, Performer. Ganz im Zeitgeist der frühen 1980er Jahre bewegte er sich zwischen den Künsten, probierte sich im Film und als Modeschöpfer, stand auf der Bühne und experimentierte genreübergreifend mit überraschenden Ergebnissen, die Grenzen von High und Low dabei beständig überschreitend. Die ungeheure Dynamik der Punk-Bewegung scheint er ganz in seiner Person aufgesogen zu haben. Voller Neugier und Enthusiasmus probierte er vieles aus, schuf etwa als Modedesigner Schaumstoffkostüme, von eleganten Models getragen. Seine Faszination für das Ballett führte zur mehrfachen Zusammenarbeit mit der Stuttgarter John-Cranko-Schule und vor allem mit William Forsythe.
Zahlreiche Zeugnisse dieses breitgefächerten Interesses zeigt die Ausstellung im Museum im Prediger Schwäbisch Gmünd nach einer ersten Station in Dresden nun erstmals im Großraum Stuttgart. Sie stellt dabei nicht nur das Werk Ingolf Thiels vor, sondern wirft auch einen Blick auf die unabhängige Kulturszene der 1980er Jahre in der baden-württembergischen Hauptstadt.
Bild oben: Ingolf Thiel: Ohne Titel, aus der Serie »Moderne Gefühle«, 1981.
© Deutsche Fotothek / Ingolf Thiel
Die Retrospektive entstand in Zusammenarbeit mit der Deutschen Fotothek in Dresden, die den umfangreichen Nachlass Thiels verwahrt.