The beginning of something else


Kunstausflüge mit Sigrid Balke | Der Kosmos Wolfgang Laib im Kunstmuseum Stuttgart

Kunstmuseum Stuttgart | 17.06. – 05.10.2023: Wolfgang Laib:
The beginning of something else

„Der Beginn von etwas anderem“, so beschreibt Wolfgang Laib sein Verständnis von Kunst. „Ich will etwas schaffen, was es so noch nicht gibt. Für das was bereits existiert, braucht es keine Kunst. Wir brauchen Kunst für eine andere Zukunft der Menschheit“. Eine Annäherung an das Werk des außergewöhnlichen Künstlers ermöglicht die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart.

Bild oben: Wolfgang Laib: Ohne Anfang und ohne Ende, 2009; © Wolfgang Laib

Wolfgang Laib studierte Medizin, promovierte, aber er praktizierte nie. Die Reduktion auf die rein naturwissenschaftliche Betrachtung des Menschseins war ihm zu wenig. Seine Vorstellung des großen Ganzen verwirklicht er in seiner Kunst. In Metzingen geboren, lebt Laib mit seiner Frau Carolyn heute bei Biberach und in Südindien, und er gehört zu den international renommierten deutschen Künstlern.

Ihn einzuordnen ist schwierig, ihn zu verstehen gelingt am ehesten über eine Offenheit für östliche Spiritualität, für andere Kulturen und mit Gespür für die Bedeutung des Menschen in der Natur des Kosmos. Instinktiv, meditativ, aber nie mit einem „verstehen müssen“ und definitiven Antworten als Voraussetzung. Laib arbeitet mit einer reduzierten Auswahl an Materialien – Reis, Milch, Bienenwachs, Pollen und Marmor.

Sie stehen für ursprüngliche Naturprodukte, es sind essentielle Lebensmittel, und sie spielen als Opfergabe in vielen Kulturen eine wesentliche Rolle. Kunst als interkulturelle Religion, dieser Denkansatz von Wolfgang Laib wird nachvollziehbar, wenn man das zur Ausstellung erschienene Buch als Teil der Ausstellung versteht. Anders als ein üblicher Ausstellungskatalog enthält das Buch Texte, die Wolfgang Laib bei seinem künstlerischen Schaffen begleiten – von Novalis, Mahatma Ghandi, Laotse, verschiedene Mantras und Gebete. Die in der Originalsprache und in der Übersetzung gedruckten Texte sind bebildert und schon visuell eine Art Kunst, die Auswahl der Texte weist den Weg zu einer faszinierenden Kunst.

Bild rechts: Wolfgang Laib: Türme des Schweigens, 2019 – 2022; © Wolfgang Laib

Eine weitere Ergänzung der Ausstellung ist der Film von Maria Anna Tappeiner, eine Filmemacherrin spezialisiert auf Künstlerporträts, die Wolfgang Laib bei seiner Arbeit ein Jahr lang begleitete. Szenen aus seinem Lebensumfeld in Indien, seinem Atelier in New York und beim Sammeln von Blütenpollen in seiner Biberacher Heimat. Eine Blütenstaubarbeit gibt es auch in Stuttgart zu sehen. In einer genialen Raumsituation, was den Künstler besonders freut. Von allen Seiten sichtbar, aber mit dem nötigen Abstand, denn zu viel Nähe würde die sphärische Wirkung des goldgelben Kieferpollen-Teppichs und nicht zuletzt das Werk selbst, zerstören. Das Sammeln des kostbaren Naturmaterials ist für Wolfgang Laib ein Ritual, das sich über Jahre erstreckt. Der Pollenteppich beeindruckt durch seine reine Farbenkraft, die außergewöhnliche Stofflichkeit und die Vorstellung von seiner mühsamen Aufbereitung.

Die Ausstellung erstreckt sich über drei Etagen und gibt jedem seiner bevorzugten Materialien eine eigene Bühne. Der Duft und die wiederkehrende Formensprache seiner Bienenwachsskulptur Die Stadt des Schweigens verweisen auf traditionelle Lebensformen und Rituale im Nahen Osten. Ein Milchstein, die reine Geometrie von Marmor und Milch, das unterschiedliche Weiß der beiden Materialien, das meditative Malen mit Milch – auch dieses Schlüsselwerk ist – neben einem beeindruckenden „Reisfeld“ – im Kunstmuseum zu erleben. Die kontemplative Anmutung, sowie die organischen, in der Natur vorgefundenen Materialien, zeichnen das Werk von Wolfgang Laib aus, das er, basierend auf diesen Werkgruppen, zyklisch und über Jahre weiterentwickelt. „Anders als Naturwissenschaften braucht Kunst keine Erklärung“ sagt Wolfgang Laib auf die Frage eines Journalisten im Pressegespräch zur Ausstellung, und überlässt dem Betrachter seine ganz individuelle Sichtweise.

Text: Sigrid Balke
Fotos: Harald Lambacher

Noch Zeit und Muße? Nur wenige Schritte vom Kunstmuseum entfernt gibt es ein Kontrastprogramm. Die Ausstellung The Mystery of Bansky – A Genius Mind hat in den Königsbau-Passagen Station gemacht und präsentiert 160 bis 170 Reproduktionen des berühmten Street Art Künstlers – teilweise von mehr als zehn professionellen und international bekannten Graffiti-Künstlern in den Tagen vor der Eröffnung auf die Wände gesprüht. Die Ausstellung ist von Banksy nicht autorisiert – so wie alle anderen Ausstellungen über den anonymen britischen Street-Art-Künstler, der eine kommerzielle Nutzung seiner Kunst ablehnt. Sie steht aber auch nicht auf dem Index „gefälschter“ Ausstellungen auf seiner Webseite.  Zwei unterschiedliche Arten von Kunstverständnis, die für sich auszuloten durchaus reizvoll sein kann.