Kunsterleben – Kunstmuseums-Direktor Christoph Bauer begeistert Alt und Jung für die Kunst

Seit 30 Jahren ist Christoph Bauer nun in Singen, wo er das Kunstmuseum leitet.

Bild oben: Kunstmuseum Singen, © Kunstmuseum, Stadt Singen

Ein stolzer Zeitraum, der einen Rückblick verdient. 30 Jahre kontinuierliche und erfolgreiche Arbeit. Wobei wir, wenn es um die Aufgaben eines Museumsdirektors geht, zuerst natürlich an die Ausstellungen denken. Zahlreiche – oft weit über die Region hinaus ausstrahlende – Ausstellungen hat der Kunsthistoriker Bauer konzipiert und kuratiert.

Bild links: Museumsleiter Christoph Bauer M.A.
© Foto: TV drei Magazin

Die Ausstellungsprojekte alle aufzuzählen und zu beschreiben soll jedoch nicht unsere Aufgabe sein. Stattdessen wollen wir Bauers herausragende Arbeit als Kunstvermittler in den Fokus rücken. Bescheiden weist Bauer mehrfach darauf hin, dass die Museumsarbeit – gerade mit einem so kleinen Team wie in Singen – wesentlich Teamarbeit ist. Cornelia Maser, die Leiterin der Museumspädagogik , hat großen Anteil am Gesamterfolg des Museums.

Erfolg ist hier qualitativ zu betrachten: es geht nicht um astronomisch hohe Besucherzahlen, sonderm darum, die Menschen nachhaltig für die (Beschäftigung mit) Kunst zu gewinnen. Genau dieses Ziel verfolgen auch wir mit dem kunstportal-bw. Wir wollen die Kunst für möglichst viele Menschen erreichbar, interessant und verständlich machen. Dabei sind die Kunstvermittler sehr wichtig.

Charakteristisch für Bauers Ausstellungsarbeit ist die systematische Vorgehensweise. Als Kunstgeschichtler beschreibt er seine Arbeit als forschende Tätigkeit. Ausgangspunkt auch bei Ideen und der Konzeption seiner Ausstellungen bildet oft die Kunstsammlung der Stadt Singen, die ja in der Obhut des Museums liegt. Hier findet er viele Ansatzpunkte:

Ergiebig ist es, kunstwissenschaftlich gesehen, das Werk der Künstler in der Sammlung umfassender zu analysieren. Von Otto Dix zum Beispiel, einem der der berühmtesten Künstler in der Sammlung, kennt „jeder“ einige Hauptwerke; vor allem aus den 20er Jahren. Demgegenüber ist Dix‘ spätexpressionistisches Werk kaum bekannt, aber – eben auch für Nicht-Experten hochinteressant: hier nimmt Bauer sein Publikum mit auf Entdeckungsreisen. Fesselnd und unterhaltsam im allerbesten Sinne: auch aufgrund der geschichtlichen Hintergründe und Zusammenhänge, die Bauer kompetent und bestens verständlich erläutert. Die Kontextualisierung der Kunst ist ein zentraler Aspekt der Kunstvermittlung. Wer hier neugierig wird, findet in Bauers sehr erhellendem Buch über das Werk von Dix eine schöne Möglichkeit, das eigene Wissen zu vertiefen.

René Acht (1920-1998): o. T. (Teilung), 1981
Dispersion auf Leinwand, 80 x 80 cm
Aargauer Kunsthaus, Aarau; Foto: Bernhard Strauss, Freiburg
© VG Bild-Kunst, Bonn 2021

Die Sammlung also bildet einen der Ausgangspunkte für die Ausstellungsprojekte des Kunstmuseums; sie ist ein Fundus, der, so Bauer, noch lange nicht erschöpft ist. Ein zweiter Stützpfeiler seines kuratorischen Schaffens bildet für Bauer der regionale Bezug; oft finden wir in den Ausstellungen des Kunstmuseums Singen Künstler aus der Gegend am Hohentwiel und aus dem Vierländereck am Bodensee. Ein Beispiel: der deutsch-schweizerische Künstler René Acht war – von Oktober 2021 bis Januar 2022 – Thema einer großen Schau, die weit überregionale Beachtung fand. Unter dem Titel “Lyrisch konkret“ wurde hier sichtbar, dass der interessante Künstler eine durchaus “ganz eigene“ Kunstrichtung etabliert hat, mit der er sich von der “ganz konkreten“ Kunst abgrenzte.

Bild aus dem aufgezeichneten Gespräch über René Acht: Christoph Bauer und Andreas H.H. Suberg: hier dazu das Video Gespräch mit Andreas H.H. Suberg

Oft verbindet Bauer auch regionale Bezüge mit historischen Dimensionen: in der aktuellen Ausstellung “LIKE IT!“ (noch bis 08. Oktober 2023) erzählt das Kunstmuseum Singen die Geschichte von den(in der Bodensee-Region zentralen Höri-Künstlern bis zur Gegenwartskunst.

Bild: Otto Dix: Grüne Landschaft, 1948 (Twiel mit Stoffeln im Herbst), Ausschnitt, Öl auf Karton, 50,5, x 578,5 cm; Foto: Kuhnle + Knödler GbR, © VG Bildkunst, Bonn, 2023 | Ausstellung: 07.05. – 08.10.2023 | LIKE IT!

Wir sehen: die Ausstellungen, die Christoph Bauer macht, sind schon von der Konzeption her auf Kunstvermittlung angelegt. Bauer geht auf Forschungsreise – und nimmt uns mit: Künstler aus der eigenen Region sind interessant, Menschen, deren Geschichten unter Umständen auch mit der eigenen (Familien?-) Geschichte verwoben sein könnten, wecken unsere Neugier. Auch für Kunstwerke, mit denen man auf Anhieb “nichts anfangen kann“, werden Interesse und Verständnis möglich.

Natürlich sprechen wir auch über digitale Wege der Kunstvermittlung

In der Corana-Zeit, in der auch das Kunstmuseum Singen vorübergehend geschlossen werden mußte, wurden diese ja besonders wichtig.

Christoph Bauer ist als Wissenschaftler ein aufgeschlossen-kritischer Freund des Fortschritts. Sehr genau sieht er die enormen Möglichkeiten, Kunstwerke (unter Umständen ja sogar ganze Sammlungen mit allen wichtigen Hintergrundinformationen) im Internet für eine große und internationale Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Schnell jedoch sind wir uns einig, dass hier eher ein Feld liegt für Experten, die ihr Wissen vertiefen möchten.

Bild links: Christoph Bauer; unten: Julian Denzler © Foto: Kunstmuseum Singen
Doppelführung durchdie gemeinsame Ausstellung „Ohne Titel“, in der die Positionen von 57 Künstlern aus Süddeuschland im Museum zu Allerheiligen Schaffhausen und im Kunstmuseum Singen gleichzeitg gezeigt wurden …


Der „Einstieg“ in das Thema Kunst sollte aber, wann immer möglich, in den musealen Räumen stattfinden: in Gruppen- oder Einzelführungen, in Workshops oder Atelierbesuchen.

Das geht auch grenzüberschreitend: zum Beispiel bei Gruppenfahrten in das „befreundete Museum zu Allerheiligen“ Schaffhausen in der Schweiz, das in derselben Kunstregion, aber jenseits einer Staatengrenze liegt.
In ebendiesen Rahmen, an „dritten Orten“ entsteht, nicht selten auch nach der Führung oder während der Busfahrten, die Kommunikation über Kunst. Es ist der Austausch mit anderen Menschen, der oft entscheidend ist für das weitere, wachsende Interesse.

Am schönsten natürlich, wenn die Beschäftigung mit Kunst schon im Kindesalter beginnt. Auch während meines Gesprächs mit Museumsleiter Bauer war im Nebenraum eine Gruppe von 8-10 Kindern zu sehen – und gut zu hören. Bauer legt großen Wert darauf, mit einem reichen Angebot an Workshops und weiteren Aktivitäten auch Kinder und Jugendliche zu erreichen.

Der spielerische Umgang mit Kunst macht Freude. Die beeindruckende Vielfalt dieser Angebote sehen Sie am besten auf der Website des Museums:

Angebote zur Kunstvermittlung:
für Erwachsene | für Knder und Jugendliche | für Schulklassen und KITA-Gruppen

Oft sind die Kinder dabei selbst aktiv, indem sie etwa angeregt durch Werke der Ausstellung, eigene Bilder recht gut  anfertigen. Leicht können wir uns vorstellen, wie sich die kleine Tochter freut, wenn sie nach einem Museums-Workshop nach Hause kommt und „ihr erstes eigenes Kunstwerk“ vorzeigen kann. Der spielerische Umgang mit Kunst macht Freude. Ein gutes Beispiel ist die Workshop-Reihe “Kunst-ABC“, in der viele Begriffe aus der Kunstwelt anschaulich werden. In der Folge: E wie Enkaustik etwa arbeiten die 8 – 16jährige mit farbigem Wachs. Diese Veranstaltungen sind fast immer schnell ausgebucht

Von Goethe kennen wir die schöne Aussage, “Wurzeln und Flügel“ seien das beste, was Eltern ihren Kindern mitgeben können. Vielleicht beschreibt dies recht gut die Arbeitsweise von Christoph Bauer: sein (kunst-) historisches Wissen und die Kunstsammlung der Stadt Singen bilden die Wurzeln seiner Arbeit, die Basis, auf der er und sein Museumsteam dann mit viel Phantasie und Engagement die Vermittlung der Kunst beflügeln.

Ein ganz wesentlicher Aspekt der Kunstvermittlung für junge und erwachsene Menschen ist die Kommunikation. Nach Corona ist es, so ist meine Überzeugung, die Aufgabe der Kunstvermittler, die Menschen ins reale Museum zurück zu holen. Und gerade auch die Kinder sollten erleben, dass es eine Welt und interessante Inhalte und Möglichkeiten auch außerhalb der vorselektierten Smartphone-Wirklichkeit gibt.

Für Jung und Alt gilt nach meiner Erfahrung: Kommunikation funktioniert weiterhin am besten analog, livehaftig.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Kommunikation entsteht zwischen realen Menschen in realen Räumen – ebendies ermöglicht uns ein

Kunsterleben.
Jürgen Linde im Juni 2023