die Erkundung der dunklen Seite des Mondes

Uli Rothfuss: | Thomas Knubben: Franz Anton Messmer, oder die Erkundung der dunklen Seite des Mondes.

Als Wunderheiler verehrt, als Scharlatan verspottet. Und die Psychotherapie mitbegründet: Franz Anton Mesmer oder die Erkundung der Dunklen Seite des Mondes, von Thomas Knubben

Dass diese einzigartige Biografie bisher ganz an mir vorbeigegangen ist, verstehe ich nicht – ein Mann, Arzt, der zu seiner Zeit, Ende 18., Anfang 19. Jahrhundert, halb Europa mit seinen aus seiner Sicht bahnbrechenden, die gesamte Medizin und damit Gesellschaft verändernden Erkenntnissen über den „animalischen Magnetismus“, wie er es nannte, die einen begeisterte, andere zur Weißglut brachte vor Wut. Der, gewissermaßen unfreiwillig, weil er mit seinen kruden Theorien immerhin den Einfluss der Psyche des Menschen auf sich und auf andere hervorhob, so zu einem der Mitbegründer der wissenschaftlichen Psychiatrie, Psychotherapie wurde, und da bis heute seinen Sellenwert hat.

Was für ein Leben spannt sich zwischen der Geburt 1734 und dem Tod am 5. März 1815, von früher Studienzeit war er unermüdlich tätig, höchst überzeugt von seinen Heilkonzepten, mit denen er wiederum nicht wenige, seien es Ärzte oder zum Teil höchstgestellte Patienten, überzeugen konnte, war in den großen Zentren der Wissenschaft und auch Gesellschaft, in München, dann Wien, dann Paris tätig, und kehrte erst zum Schluss seiner „Karriere“ ins badische Meersburg am Bodensee zurück, hochumstritten, von vielen geehrt, von anderen verachtet, eine Existenz zwischen Wunderheiler und Scharlatan, spät auch immerhin gewisse Anerkennung erreichend durch die zumindest umfangreiche Beschäftigung von Akademiekommissionen in Paris und Berlin mit seinen Heilkonzepten.

Thomas Knubben hat (wieder einmal) ein spannendes Thema aufgetan, aus der süddeutschen Heimat folgt er so diesem skurrilen Arzt und umstrittenen Forscher Franz Anton Mesmer von Studienzeiten in Ingolstadt und Dillingen über berufliche Stationen nach Wien und Paris, wo er jeweils in höchsten Kreisen am kaiserlichen und königlichen Hof verkehrte, und seine Magnettherapie anwandte, zum Teil erfolgreich, zum Teil ohne jede Wirkung. Ihm, Mesmer, kam es auf die Anwendung an, auf die Heilerfolge. Wissenschaftliche Untermauerung war ihm zweitrangig, und erst spät unterlegte er seine Therapie mit einigen wissenschaftlichen Glaubenssätzen, die freilich wenig untermauert waren; was es auch den die Methoden untersuchenden Kommissionen im Paris und später Berlin einigermaßen schwer machten, medizinwissenschaftlich anzuerkennen, was da ein den Kosmos und dessen Magnetismus auf die Dinge, und von diesen wiederum auf den Menschen, einbeziehender Überzeugungstäter als die Medizinwelt revolutionierend darstellte.

Manchmal, ja, spielt auch das Glück eine Rolle: er konnte früh und reich und gesellschaftlich hochstehend in Wien einheiraten; führte ein herrschaftliches Haus, in dem gehobenes Bürgertum wie Adel ein- und ausgingen, er hatte gar Kontakt in regierende Häuser, das Umfeld des Kaisers – wie später, nach seiner nicht weniger als Flucht zu bezeichnenden, hastigen Abfahrt nach Misserfolgen in Wien, in Paris. Durch Empfehlungsschreiben gelang ihm der Durchstieg bis zur Königin, die ihm immerhin so viel Gunst gewährte, dass er jahrelang praktizieren und seine wunderlichen Methoden anwenden konnte, diese immer mehr verfeinerte und ausbaute, durchaus Erfolge hatte, sodass der gesamte medizinische Stand ihn kritisch beäugte. Wie so oft war es so, dass ihm bald die Missgunst zuteil wurde, das er gemieden und geschmäht wurde, dass er sich rechtfertigen musste, ja, auch dass ihm seine Magnetmethode gestohlen und andernorts angewandt wurde, ohne dass er es dauerhaft verhindern konnte.

Der Autor erzählt das dokumentarisch, anhand einer Unzahl von recherchierten Fakten und Unterlagen, er hinterlegt es mit konkreten Aussagen, ein umfangreicher Anhang mit Zitatnachweis, Bildbeschreibung, verwendeter Literatur ist Zeugnis dessen und ermöglicht vertiefende Beschäftigung. Er erzählt spannend, füllt Leerstellen mit Einschüben zu den Zeitläuften, und genau und auch das macht dieses Buch so interessant: es gibt Einblick in eine Zeit, die uns aus dem Alltag heraus so wenig geläufig ist, die Zeit der Wende hin zur naturwissenschaftlichen Erkenntnis, und genau das macht sich Mesmer zunutze, die aber in vielem direkte Wegbereiterin unserer heutigen Zeit darstellt. So kann der Leser, die Leserin, Linien ziehen zum Heute, zum Beispiel ersehen, wie die Ursprünge der Psychotherapie, heute eine der wichtigen medizinischen Wissenschaftssäulen, vor 200 Jahren am Suchen war, und wie sich die Methoden in ihren Anfängen entwickelten. Er zeigt aber auch, wie ein starker Charakter, der in den Grundfesten überzeugt war von seinem Tun und von den von ihm gefundenen Beziehungen der Welt, der Dinge unter- und zueinander, von den von ihm dargelegten Einflüssen des Kosmos auf unser Befinden, wie so einer unbeirrt seinen Weg geht, sich von Rückschlägen nicht aufhalten lässt, und im Tod noch überzeugt ist, ein Mittel zum Wohl der Menschheit gefunden zu haben.

Thomas Knubben: Franz Anton Messmer, oder die Erkundung der dunklen Seite des Mondes. Geb., 208 S., Hirzel Verlag, Stuttgart 2022. 22 €.