Karin Kieltsch

Karin Kieltsch; © Foto: privat

Das meiste habe ich erst später erfahren:
1. Karin ist Malerin, und nicht – jedenfalls keineswegs in erster Linie – Fotografin. (inzwischen ist dies eher umgekehrt; Anm. des Red.; März 2002)
2. Karin und ich sind Nachbarn, fast jedenfalls: sie wohnt zehn Hausnummern (zwei Ecken) weiter in derselben Straße in der Südweststadt. Trotzdem haben wir uns dort nie getroffen, was ich recht genau weiß, weil Karin eine auffallend gutaussehende Frau ist.
Was der Autor, also ich, Euch damit sagen will ist, daß es verwirrend war, Karin kennenzulernen; und zwar aus folgendem Grund: eines Tages kam ein großer Briefumschlag bei SWO an, vom Landesgewerbeamt Karlsruhe, dessen Ausstellungsprogramm bekanntlich in SWO präsentiert wird.
Drin waren raffinierte Fotos, Quatsch: Fotos von einer Raffinerie, genauer, von der Mineralölraffinerie Oberrhein MiRO.

Raffinerie MIRO, © Karin Kieltsch, VG Bildkunst Bonn 2022

Diese Fotografien waren von Karin Kieltsch, und das Landesgewerbeamt hat sie geschickt, damit ich sie verwende, um die Ausstellung: „Karin Kieltsch – Raffineriearchitektur aus künstlerischem Blickwinkel“ angemessen anzukündigen, was auch geschah.

Auf der Rückseite der Fotos stand Karins Adresse und Telefonnummer; also rufe ich sie an und besuche sie in ihrem Atelier, das unweit von ihrer eigentlichen Wohnung, auch bewohnbar eingerichtet ist.

Der große Arbeitsraum im Erdgeschoß bietet reichlich Platz für die großen Formate, die Karin als ihr Format sieht und hier malt. Denn, siehe oben, Karin ist eigentlich Malerin und als solche seit Jahren sehr erfolgreich. Die kleinen Formate sind eher als Vorarbeiten zu sehen; ihre Hauptwerke haben dann Kantenlängen von über einem Meter.
Die Wirkung der Farbe an sich interessiert Karin Kieltsch; mit den Grundfarben Rot, Gelb und Blau, häufig in Eitempera, mischt sie jeden gewünschten Farbton.
„Pilze sammeln“ und „sehr gut essen und trinken“ nennt Karin als Hobbys neben der Kunst.

Fotografieren ist nur eine von sehr vielen Aktivitäten, die sie auch macht, und die auch alle weiterverfolgt und vertieft werden wollen. Karin ist voller Energie und Ideen und es gelingt ihr nicht ganz ohne Mühe, sich zu fokussieren, Schwerpunkte zu setzen.

„NIRAK, Blinde Kuh“, 1992 | Eitempera auf Leinwand, 149 x 178 cm | © Karin Kieltsch, VG Bildkunst Bonn 2022

Außer einem: die Malerei ist ihr Beruf und Berufung; schon als Kind deutlich talentiert, war es keine Frage, dass sie Malerei studieren wollte. Aus Leonberg stammend, hat sie sich an den Akademien in Stuttgart und Karlsruhe beworben; letztere bekam aber die bessere Mappe, weil ein gewisser räumlicher Abstand zum Elternhaus zum Erwachsenwerden ja wohl dazugehört.
Bei Gerd van Dülmen hat sie dann an der Akademie in Karlsruhe studiert. Ein Kern ihrer intensiven Lebendigkeit und Präsenz scheint mir etwas zu sein, dem der eigentlich seltsame Begriff „kindliche Begeisterungsfähigkeit“ nahe kommt.

Ebendies nämlich strahlt aus ihren Augen, wenn sie von erlebten oder geplanten Projekten erzählt; etwa der Plattenproduktion Pictures at an exhibition (Modest Mussorgsky).

Dann erzählt sie, wie sich der Südwestkunst-Experte Prof. Günther Wirth, der auch Karin mehrfach mit Empfehlungen unterstützt hat, und Lothar Quinte, Sibylle Wagner und der Berliner Künstler Johannes Gecelli bei ihr kennengelernt haben; oder von dem Projekt „Süd-Südwest – Offene Ateliers“, bei dem am 6. Juni 1993 dreißig Ateliers von Künstlern in Süd- und Südweststadt Karlsruhes ganztägig besucht werden konnten, begleitet von einer ganztägigen Ausstellung bei art-contact und einem Fest.

All das und mehr organisiert Karin nebenher, hauptsächlich malt sie. Ihr Motto dieses Jahres, auf einem Blatt geschrieben, das in ihrem Atelier liegt, lautet: Bleib daneben. Da ich mich selbst oft daneben benehme und meistens ein Stück weit neben mir stehe (oder auch sitze), verstehe ich nicht gleich, was gemeint ist. Aber es stellt sich heraus, daß es in etwa darum geht, die nötige Distanz zu finden, um – sich und anderes – klarer zu sehen.
Diese Distanz entwickelt sich in Karins Malerei, in der sie sich sehr bewusst und sehr reflektiert mit ihrer eigenen Persönlichkeit und deren Entwicklung befasst.

Derzeit eher der monochromen Malerei zugewandt, wie aktuelle, teils noch unbeendete Arbeiten zeigen, hat Karin in den Jahren seit 1988/89 viele NIRAKs gemalt; eine Figur, eine Frau, eingespannt in einen Raum. In immer anderen Varianten des Raums, der Farben und der Körperhaltung ist es offenbar die umgedrehte K a r i n, die den Raum ausspannt und ausfüllt.

Immer war die Figur durchgehendes Thema ihrer Arbeit; vielleicht gemäß einem der Titel „Nach vorne und dagegen“ – bleibt diese Figur nicht statisch, sondern entwickelt sich, und wenn auch Karin sich nicht festlegen läßt und lassen will, lasse ich mich nicht von folgender Vermutung abbringen:

Die Figur, früher mehr zu erahnen, dann deutlich geworden , scheint nun so abstrakt geworden, daß sie – aufgehoben in der Farbe – die Grenzen des Raums transzendiert. Figur findet Freiheit in sich, so daß die Grenzen des Raums irrelevant zuwerden beginnen, sie sind nicht Grenzen der Persönlichkeit.
Die Reduktion auf eine Farbe ist nicht Verlust, sondern Gewinn: an Klarheit, an Selbst. Es ist ein Prozeß, in dem die Begeisterung für vieles nicht verlorengeht, sondern das Ganze in einem sichtbar wird: Konzentration und Ernst sind die Stärken, die Karins aktuelle Arbeiten vor ihren bisherigen auszeichnet.

Und das heißt sicher nicht, daß Karin nicht mehr mit Fotografie arbeiten wird.
Natürlich heißt das auch nicht, daß es nie wieder NIRAKs geben wird. Aber wenn, werden es andere sein.

Ich jedenfalls bin gespannt.
Jürgen Linde