Literaturtipps von Uli Rothfuss
Es ist ein Ereignis, diese Wiederveröffentlichung, Erstveröffentlichung der neuen Übersetzung der drei kurzen Romane von Cesare Pavese ins Deutsche von Maja Pflug, erstmals veröffentlicht wurden die Romane 1949 bei Einaudi in Italien – ein grandioses Fest des Erzählens des italienischen Alltags in der Nachkriegszeit der italienischen Provinz, auch von Turin, jedenfalls außerhalb von Rom, das dennoch als Bezugspunkt immer wieder aufscheint und durchsticht.
Freilich, man muss sich einlassen auf dieses unprätentiöse Erzählen, auf dieses Erzählen mitunter der Langeweile des Alltags Heranwachsender, auf das Erzählen eines vor sich hinfließenden Lebensentdeckens junger Menschen nach dem Krieg, der immer wieder in seinen späten Auswirkungen aufscheint, nicht aufdringlich, nicht als Thema, nur als noch wie von weitem vorhandenes Nachleuchten in den italienischen Nächten, in denen sich junge Menschen auf Suche begeben: nach kleinen Abenteuern, nach Ausbrüchen aus dem Alltag, nach dem Eintauchen auch in das Verbotene, das Grenzwertige des noch Erlaubten. Und der Autor ist ein Meister des Erzählens dieser in weiten Strecken Langeweile, in der diese höchst spannend bleibt, die im Erzählfluss so überhaupt nicht langweilig auf den Leser wirkt; im Gegenteil, er, der Autor nimmt den Leser mit, zieht ihn hinein in den italienischen Provinzalltag, und ganz langsam fällt man als Leser heraus aus dem eigenen Umfeld und bewegt sich mit den Protagonisten, kreist um sich selbst wie sie, mit ihnen, wird Teil ihrer Geschichte, macht sie sich zu eigen.
Das Leben ist das, was wir sind – ein Satz im zweiten der drei Romane, ein zentraler Satz, der für alle drei Erzählstücke gilt –
es sind drei Romane, die eigentlich um das selbe Thema kreisen, – und wenn der Autor dies gleich dreimal so intensiv beleuchtet, von verschiedenen Seiten, dann muss es auch sein eigenes gewesen sein: das Erzählen der Entdeckung von gesellschaftlichen Bezügen, der Zugehörigkeit zu einer Zeit und deren Themen, der Suche nach dem eigenen Selbst und dem Zurechtfinden im eigenen Geflecht der Beziehungen, der Bezüge, damit der Ausbildung der eigenen Persönlichkeit. Es scheinen verbliebene gesellschaftliche Unterschiede auf, die Rollen zuweisen, schemenhaft, zwar hinterfragt, aber dennoch zwangsläufig selbstverständlich. Gutsbesitzer bleibt, was er, seine Familie immer war, und auch der Emporkömmling kann da niemals heranreichen. Über die Rolle der Kunst, der Künstler wird sinniert, viel mehr als Staffage sind die Künstler nicht, ihr Selbstverständnis bleibt als Rolle; viel mehr aber nicht.
Der Autor erzählt ruhig, dahinfließend, und in diesem Stil dann doch atemlos, so wie sich die zumeist Jugendlichen in seinen Romanen bewegen. Er macht die Leser zu Mitwirkenden, da in den Romanen niemand wirklich mitleidet mit den Schicksalen der Gebeutelten – und das macht die Leser zwar nicht zu Mitleidenden, aber doch zu feinsinnigen Beobachtern der Geschichten; und zwar zu solchen, die sich ihre Meinung bilden, die im Beobachten sich bilden, die Stellung beziehen, die mitreden könnten. Literatur, ja, gute Literatur bildet – nicht nur Wissen aus, sondern auch intellektuelle Bildung, die Fähigkeit, Stellung zu beziehen, sich zu distanzieren und als Beobachter eigene Urteile zu bilden; mitzumachen oder nicht, ganz hineingezogen zu werden oder eben nicht. Das gelingt diesem Autor mit seiner Erzählweise der Nichtabsicht mühelos. Literatur, das Erzählen so als ein Wunder der Wirkweisen.
Im Nachwort ordnet Natalia Ginzburg Schaffen und Leben des Autors Cesare Pavese kenntnisreich und aus eigener Freund- und Bekanntschaft und schafft so gute Orientierung. Das Buch ist so ein gewichtiges literarisches Ereignis dieses Jahres, wichtig, zeitlos.
Cesare Pavese: Der schöne Sommer. Drei Romane. Geb., 477 S., Rotpunkt Verlag. Zürich 2021, 29 €.