Harald Schwiers im kunstportal-bw
Dass wir beim Sprechen verstanden werden, ist eine zur Selbstverständlichkeit gewordene Haltung. Dass es andererseits keine ist, verdeutlichen die immer häufiger auf den TV-Schirmen auftretenden Gebärdensprache-Simultanübersetzer. Stumme Gestiken und die Mimik sind allerdings nicht universell: Schweizer und Österreicher verstehen Grundlagen deutscher Gebärden, mehr aber auch nicht. Zwischen Bayern und Friesen verhält es sich ähnlich. Das Problem ist vergleichbar mit den Verständnisschwierigkeiten beim Sprechen/Verstehen durch einen medizinischen Mundschutz. Da fehlt halt was. Außerdem: Gebärdensprache ist ein tonloses Kommunikationsmittel, also keine Sprache im eigentlichen Sinn.
Und obwohl Sprache ein ganz entscheidendes Hilfsmittel für das Zusammenleben von Menschen ist, so sind doch zahlreiche Sprachen ausgestorben oder vom Aussterben bedroht. 50 davon ging Autorin Rita Mielke nach und hat sie in diesem sehr lesenswerten Kompendium der verlorenen Sprachen übersichtlich zusammengefasst. Ihr Ausflug rund um den Globus beginnt in Amerika, wo es nicht nur verlorene Sprachen gibt, weil eingeborene Völker systematisch ausgerottet wurden, über Europa, wo in den Ursprungsgebieten Kornisch, Bretonisch und Walisisch praktisch ausgestorben sind, Irisch und Schottisch (eng verwandt) nur noch von wenigen, hauptsächlich Alten auf Inseln gesprochen (oder von Folkloregruppen mit Mühe am Leben erhalten) wird oder von Piktisch nur ein paar Zeichen erhalten sind, über Afrika nach Asien und Australien/Ozeanien. Dort gibt es eine Vielzahl ausgestorbener Sprachen, von denen hierzulande nur Spezialisten eine Ahnung haben.
Auch in Deutschland gibt es Sprachen, die kaum ein Mensch kennt und spricht: Etwa das Saterfriesisch, das noch in drei Dörfern im Innern Frieslands gepflegt wird. Dagegen ist die Sprache der Sorben im Spreewald schon allein der guten Gurken wegen relativ bekannt, wenn auch nur den Einheimischen vertraut.
In einem speziellen Kapitel (dem Linguarium) geht die Autorin aber auch sprachlichen Entdeckungen wie dem Kauderwelsch oder der Tonspur nach. Und wer glaubt, Javanais sei eine Sprache auf Java, der täuscht sich. Gewaltig. Es war der Argot der Pariser Nutten ausgangs des 19. Jahrhunderts.
Hanna Zeckau hat der Reise um die Welt mit offenen Ohren zahllose wunderschöne Zeichnungen beigesteuert, die das Werk rundum gelungen und damit zum Schatzkästlein im Bücherregal machen.
Rita Mielke/Hanna Zeckau, Atlas der verlorenen Sprachen, Duden Verlag, ISBN: 978-3- 411-70984-7, zahlr. farbige Illustrationen, Mittelformat, leinengeb., 22 €.