Über Alberto Giacometti. Zwei neue, grandiose Annäherungen an ein Kunstgenie

Buchtipp von Uli Rothfuss

Der Prototyp des Künstlers, unbedingt in seiner Arbeit und in seinem Wollen, von einer grandiosen Inspirationskraft; zuweilen schroff der Umgebung gegenüber, egal die Lebensverhältnisse um ihn her, was zählt, ist die Kunst. So erschafft uns Isaku Yanaihara ein Bild des großen Alberto Gioacometti im Paris zwischen 1956 und 1961, er saß dem großen Zeichner und Bildhauer 228 Mal Modell, und beide verhakten sich in dieser Zeit intellektuell und künstlerisch ineinander, konnten nicht voneinander lassen – Yanaihara beschreibt sinnlich, eindrücklich die Arbeitsweise des Künstlers, der immer nur Annäherung erreichte mit seinen Portraitbildern, zerstörte, neu ansetzte, nur weniges konnte bestehen und blieb.

Akribisch, fast selbstzerstörerisch beschreibt Yanaihara, Philosophieprofessor aus Japan und zu akademischen Recherchen nach Paris gekommen, wie er das alles lässt, um sich ganz auf den Künstler, auf den Austausch mit ihm, auf das rezeptive Erlebnis, dessen Modell für Portraitbilder zu sein, einzulassen. Zum Glück, möchte man sagen, hat er über diese Jahre Tagebuch geführt und das später zu einem wunderbaren Erinnerungsband ausgearbeitet – das Dokument einer Freundschaft auf Distanz, zu mehr war der Künstler scheinbar nicht in der Lage, und der Autor erlaubt Einblicke in Alltägliches, in das Leben, in die Arbeitsunterbrechungen, gemeinsames Essen, Unterhaltungen mit berühmten Besuchern, aber auch tiefe Einsichten in das Denken, Arbeiten des Künstlers. In das dauernde Zweifeln des Künstlers Giacometti am Wert, am Fortschreiten seines eigenen Werks, in die Lust zur Zerstörung und zum Neubeginn. So sind Aussagen Giacomettis erhalten, wie: „Um sicher zu sein, dass etwas unmöglich ist, muss man so weit gehen wie möglich“ – fast das Motto Giacomettis für seine eigene Arbeit.

Das alles spannend erzählt, unmerklich fortschreitend und den Leser hineinziehend in dieses Tagebuch, das viel mehr ist – es stellt Verbindungen her, stellt Theorien der künstlerischen Arbeit auf, die tragen, die sich im Werk in Vollendung wiederfinden. So sind dann auch die im Buch veröffentlichten Zeichnungen, Portraits des Künstlers vom Autor, einzigartig filigran, verdichtete Biografien des Gezeigten. Dazu eindrucksvolle Fotos dieser Beziehung zwischen dem Künstler und Intellektuellen, auf Augenhöhe. Auf dem Cover als das „verfasst aus dem Atelier eines Künstlers, so präzise, dicht und spannend“, angekündigt, hält der schöne, aufwendig gearbeitete Band das, was er verspricht. Man erfährt so viel über den Künstler, über diese einzigartige Zeit in Paris, man wähnt sich dabei. Und man hätte so gerne, dass es mit dem Lesen des Buches einfach für immer weiterginge.

Isaku Yanaihara: Mit Alberto Giacometti. Ein Tagebuch. Brosch., Piet Meyer Verlag, 352 S., Wien 2018. 42 €

Eine ganz andere, wenn auch ebenso reizvolle, Annäherung an Giacometti bietet der Rechercheband „Caroline. Alberto Giacomettis letztes Modell“ von Franck Maubert. Der Autor trifft, befragt Caroline, Giacomettis Modell, Muse, Geliebte, zugleich Prostituierte in Paris, wo Giacometti sie in einer der Restaurantbars kennenlernte – und ihr verfiel, sie zwischen 1961 und 1965 fast täglich traf, zeichnete, modellierte – und liebte. Der Autor findet die Muse in Nizza, verarmt, und spricht mit ihr in ihrer Wohnung, und in diesem Gespräch flammt immer wieder die Wärme einer unmöglichen Liebe auf, eine Leidenschaft, der die alternde Frau bis heute nachhängt; und auch hier tauchen Sichtweisen, Haltungen des Künstlers auf, die er hinterlassen hat, einzigartig: „Erst später versteht sie, dass Alberto nicht wirklich eine Person zeichnet, sondern vielmehr das, was er sieht“ – seine Kunst und ihr beider Leben, verschränken sich ineinander, – „Die Zeichnung ist die Grundlage von allem“, postuliert sie selbstbewusst seine Aussage, und zugleich ungemein fragil, nach einem halben Jahrhundert, und der Leser wird auch hier mitgerissen von dem Stil des Flüchtigen, dem Sog der plötzlich beendeten, aber nicht verbleichenden Liebe in der Erinnerung der Frau, die auf ihrem Balkon sitzt und in Richtung Meer blickt. Eine Annäherung eigener Art an den großen Alberto Giacometti, und auch hier die im Band veröffentlichten Caroline Portraits zeigen die ganze Größe des Künstlers in der Annäherung an sein Modell, immer wieder und immer neu. Großartig.

Franck Maubert: Caroline. Alberto Giacomettis letztes Modell. Brosch., Piet Meyer Verlag, 112 S., Wien 2017, 15,80 €