Das 18. Jahrhundert ist voll literarischer Überraschungen. Goethe und Schiller sind bestens bekannt, aber gerade England und Frankreich haben in diesem Jahrhundert ganz hervorragende Schriftsteller hervorgebracht, die in deutschen Buchläden eher schwer zu finden sind.

Zu den herausragenden Geistern der Insel zählte Philip Dormer Stanhope, 4. Earl of Chesterfield (1694 bis 1773), ein Parlamentarier, Politiker und Schöngeist, der mit den wichtigsten europäischen Persönlichkeiten bestens vernetzt war. Chesterfield schrieb 30 Jahre lang an seinen Sohn Briefe, um ihn auf eine glänzende Karriere und diplomatischen, politischen und parlamentarischen Erfolg vorzubereiten, ihm den Weg zu ebnen. Er schickte seinen Sohn – finanziell bestens ausgestattet – auf die übliche Grand Tour durch Europa, um ihm Bildung einbläuen zu lassen. Genutzt hat das alles nichts: Stanhope-Sohn blamierte sich nach allen Regeln der Kunst, wo er auftrat, brachte nichts zustande und führte mehr oder weniger sein eigenes kurzes Leben (er starb vor seinem Vater).
Obgleich nutzlos geschrieben, liefern diese Briefe ein grandioses Sittenbild der europäischen Höfe, der herrschenden Denkweisen und der Gesellschaft des Jahrhunderts. Stanhope predigte Takt, Mitgefühl, Höflichkeit und Herzensgüte als allgemeine Verhaltensregeln. Nicht schlecht. Mit den Tugenden kann man auch in der Gegenwart noch punkten. Selbst wenn des Autors Frauenbild heute mehr als antiquiert und verstaubt ist, so gesteht er doch Frauen mehr Verstand und Hirn zu, als den Herren der Zeit. Der Mann dachte weiter, als man direkt liest.
Die Briefe in ihrer sinnfälligen Auswahl (es sind derer viel zu viele!) wurden von Gisbert Haefs verständlich übersetzt. Das grandiose Nachwort von Eva Gesine Baur allein ist schon das Büchlein wert!

Earl of Chesterfield: Über die Kunst, ein Gentleman zu sein, Deutsch von Gisbert Haefs, Manesse, 320 S., 24 Euro.